Fauler, chaotischer SprengmeisterLevon Aronjan gewinnt in Linares vor Weltmeister Topalow und Radjabowvon FM Hartmut Metz, 18. März 2006 |
Levon Aronjan charakterisiert sich selbst als faul und Eröffnungs-Banausen mit einem chaotischen, defensiven Stil. Der Armenier gibt vor, ein Gedächtnis wie ein löchriger Schweizer Käse zu haben: Ich vergesse meine Partien sofort, nachdem ich sie gespielt habe. Wie der in Berlin-Hohenschönhausen lebende 23-Jährige nahezu ohne Training in die Weltspitze vorstoßen konnte, ist ihm selbst ein Rätsel. Ich habe bisher lediglich ein paar billige Partien gewonnen, befand Aronjan nach seinem mit 80.000 Dollar dotierten Weltcup-Sieg Ende 2005 in Russland und kokettierte weiter, das Wissen von Spielern wie Weltmeister Wladimir Kramnik oder Peter Leko sei viel größer als seines.
Levon Aronjan
Just den Ungarn Leko ließ der Kreuzberger Bundesligaspieler in der letzten Runde des Turniers in Linares wie einen blutigen Anfänger aussehen. Der Wettbewerb in Spanien gilt als Wimbledon des Schachs und war heuer mit der Rekordpreissumme von 380.000 Euro dotiert. Aronjan überflügelte mit dem Abschlusserfolg und 8,5 Punkten den bis zur zwölften von 14 Runden souverän führenden Leko (7,5), der noch bis auf Platz vier abrutschte. Zwischen die beiden schoben sich der 19-jährige aserbaidschanische Jungstar Teimour Radjabow und Wesselin Topalow (beide 8). Der Weltmeister des Schach-Weltverbandes FIDE hatte einen katastrophalen Start erwischt. Im südmexikanischen Morelia, wohin die erste Hälfte des Linares-Turniers vergeben wurde und dort für einen Zuschaueransturm sorgte, war Topalow völlig von der Rolle. Mit 2,5:4,5 Punkten lag der Bulgare abgeschlagen am Ende des achtköpfigen Feldes. Hätte ihm nicht ausgerechnet Schlusslicht Francisco Vallejo Pons (Spanien/5) im letzten Duell ein Remis abgeknöpft, dann wäre Topalows Aufholjagd mit dem Platz an der Sonne gekrönt worden. Schwach schnitten die drei Top-Ten-Großmeister Wassili Iwantschuk (Ukraine), Peter Swidler (Russland/beide 6,5) und Etienne Bacrot (Frankreich/6) auf den Rängen fünf bis sieben ab.
An dem zunächst mit drei Siegen fulminant in Morelia gestarteten Weltranglistendritten Swidler zog Aronjan nicht nur in Linares vorbei, sondern wohl auch im nächsten Ranking im April. Erstaunlich für einen, der sich als typischen armenischen Schachspieler charakterisiert. Wir haben alle eines gemein: Wir sind faul sowie Eröffnungs-Ignoranten und sehr optimistisch. Aronjan lädt zwar wie die Konkurrenten die wichtigsten aktuellen Partien im Internet herunter, schaut sie aber angeblich nur kurz an, ohne sie zu analysieren. Während Rivalen wie Leko täglich acht bis zehn Stunden im stillen Kämmerlein neue Eröffnungsideen ausbrüten, spielt der frisch gebackene armenische Sportler des Jahres lieber Basketball oder erkundet mit seinem Vater, einem arbeitslosen Physiker mit dem Spezialbereich Lasertechnik, mit dem Fahrrad das Berliner Umland.
Vor fünf Jahren war Aronjan wegen seines Engagements für Kreuzberg, den derzeit stärksten der drei Berliner Erstligisten, mit der gesamten Familie umgesiedelt. Kurzzeitig spielte der U20-Weltmeister von 2002 unter deutscher Flagge, ehe er doch von seinem alten Heimatverband in Eriwan Unterstützung erfuhr und seitdem wieder für diesen antritt. Nach seinem Weltcup-Sieg avancierte Aronjan zum Nationalhelden und erhielt eine Audienz beim Staatspräsidenten gewährt. Der Rummel sei ihm peinlich, betonte der Weltranglistenvierte im Interview mit der Fachzeitschrift Schach und erzählte, die 80.000 Dollar Preisgeld habe er vor allem der Verwandtschaft zugesteckt.
Der Russe Jewgeni Barejew, Sekundant des ebenfalls in Berlin groß gewordenen Weltmeisters Kramnik, unterschätzt Aronjan schon lange nicht mehr und hält das Understatement des vermeintlich schlampigen Genies für listig. Letztlich gibt der Linares-Gewinner doch einen Teil seines Erfolgsgeheimnisses preis. Ich habe natürlich auch meine Vorzüge: Ich bin entspannt, ich mache mir nicht zu viele Gedanken, ich laufe während der Partien viel herum und bleibe dadurch frisch, zählt Aronjan auf und gesteht, manchmal entflammt am Brett meine Leidenschaft. Wenn ich eine scharfe Stellung bekomme, fange ich an, mich brennend dafür zu interessieren. Dann ergibt sich für die Gegner eine gefährliche, hochexplosive Mischung. Das Talent dafür muss ihm seine Mutter als gelernte Sprengmeisterin in die Wiege gelegt haben.
An spektakulären Siegen mangelte es Aronjan in Morelia und Linares. Entweder beschwindelte er Gegner wie den Franzosen Etienne Bacrot oder erwies sich als Würgeschlange in vermeintlich langweiliger Stellung. Bestes Beispiel das Endspiel gegen den Baden-Badener Bundesligaspieler Swidler.
|
Aronjan,Levon (2752) - Swidler,Peter (2765) [D80]
|