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Ex-Veganer Leko fehlt doch Vitamin B12

Kramnik rettet durch 7:7 in der letzten Partie den WM-Titel

von FM Hartmut Metz, 23. Oktober 2004

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   In der 14. und letzten Partie hat Wladimir Kramnik das Ruder noch einmal herumgerissen und den WM-Kampf gegen den Ungarn Peter Leko ausgeglichen. Dank des 7:7 in Brissago bleibt der 29-jährige Russe Weltmeister. Der vier Jahre jüngere Herausforderer muss sich mit der Hälfte des Preisgeldes, rund 330 000 Euro, trösten.

   Eine ulkige Randnotiz ergab sich durch das Interview mit Leko vor der WM. Die erste Frage hatte gelautet: "Herr Leko, Sie sind seit vielen Jahren Veganer. Ohne tierische Produkte fehlt manchem Vitamin B12, was zu Herzklopfen, Müdigkeit und Nervenstörungen führen kann. Schlechte Voraussetzungen, um Weltmeister zu werden." Daraufhin hatte Leko lachend geantwortet: "Wenn es meine Fans beruhigt: Ich habe meine Ernährungsweise zuletzt umgestellt. Ich bin kein so strenger Vegetarier mehr, esse neuerdings Fisch und im Grunde genommen alles außer Fleisch. Deshalb befinde ich mich nervlich auf dem richtigen Weg."

   Physisch war der Weltranglistensechste dem Titelverteidiger zweifellos deutlich überlegen. Letztlich fehlte ihm aber doch Vitamin B12! In der entscheidenden 14. Partie, die Kramnik gewann und so den 6:7-Rückstand egalisierte, kam die Caro-Kann-Verteidigung aufs Brett. Sie trägt den Schach-Eröffnungscode B12!

 

Schach-Weltmeisterschaft Brissago 2004: Die Spieler

Auftakt zur entscheidenden Partie zwischen Wladimir Kramnik (links) und Peter Leko.

 

Wladimir Kramnik

  

Peter Leko

 










Kramnik,W (2770) - Leko,P (2741) [B12]
WM Brissago SUI (14), 18.10.2004

1.e4 Bis zu diesem Moment hatte Wladimir Kramnik mit dem Königsbauern-Zug mehrere gute Stellungen bei der WM erreicht, aber keine einzige davon gewonnen! 1...c6 Wiederum Caro-Kann, auf das sich Leko stützte. Der erwartete Schlagabtausch in der sizilianischen Sweschnikow-Variante blieb dagegen aus. Der Ungar vertraute in diesem Wettkampf noch ansonsten auf 1...e5 als Entgegnung. 2.d4 d5 3.e5 Lf5 4.h4 Diese seltene Variante war zuletzt in den 90er Jahren kurzzeitig populär. Zudem wandte sie Michail Tal 1961 im WM-Duell mit Michail Botwinnik an. Das Ergebnis in den fünf Partien fiel trostlos aus für Weiß: Tal verlor zwei Begegnungen und remisierte drei mit diesem Zug, was dazu führte, dass er den Titel wieder an Botwinnik verlor. 4...h6 5.g4 Ld7 6.Sd2N Die beliebteste Fortsetzung war bisher 6.h5, um die schwarzen Möglichkeiten am Königsflügel einzuschränken. Mit dieser neuen Idee versucht Kramnik den folgenden Bauernvorstoß nach c5 zu entkräften. 6...c5 7.dxc5 e6 8.Sb3 Lxc5!? Ein Zug, der bei Caro-Kann-Spielern zwiespältige Gefühle auslöst: Eigentlich möchte man den starken schwarzfeldrigen Läufer unbedingt bewahren. WM-Kommentator Artur Jussupow hielt den Zug aber trotzdem für richtig, weil sich Schwarz danach leichter entwickeln kann. 9.Sxc5 Da5+ 10.c3 Dxc5 11.Sf3 Se7 12.Ld3 Sbc6 13.Le3 Da5 14.Dd2 Andere Damenzüge erlauben Schwarz den Vorstoß d4. Ein Beispiel: [14.Db3 d4 15.Sxd4 (15.Lxd4 Sxd4 16.Sxd4 Dxe5+ ) 15...Sxe5 16.Le4 Sxg4 17.Dxb7 Td8 18.Sb3 De5 19.Ld4 Df4 20.Sc5 e5 21.Sd3 Df6 22.Lc5 mit zweischneidiger Stellung, in der aber wohl die weißen Chancen höher sind.] 14...Sg6 15.Ld4 [15.Lxg6 fxg6 ist nur auf den ersten Blick für Weiß gut: Die schwarzen Bauerninseln fallen nicht ins Gewicht, weil der Nachziehende starkes Gegenspiel auf der f-Linie erhält.] 15...Sxd4 16.cxd4 Dxd2+ 17.Kxd2 Weiß verfügt nun lediglich über einen akademisch kleinen Vorteil, kann aber als einziger auf Gewinn spielen. Hier zweifelten die ungarischen Fans kaum noch daran, dass ihr Peter Leko mit einem Remis den Titel abklammert. 17...Sf4 Vielleicht etwas zu forsch. Der Standardplan, den der Belgier Michail Gurewitsch regelmäßig in ähnlichen Stellungen verfolgt, besteht in Se7 und dem Vorstoß f6, um das weiße Zentrum unter Beschuss zu nehmen. 18.Tac1 h5? Damit beginnen die schwarzen Probleme auf der g-Linie. Im Centro Dannemann wurde [18...Sxd3 19.Kxd3 Lb5+ 20.Ke3 Kd7 diskutiert. Kramnik hat dann zwar den etwas besseren Springer gegen den Läufer, vermutlich reicht das aber angesichts der fehlenden schwarzen Bauernschwächen kaum zum Sieg aus.] 19.Thg1! [19.g5 legt zwar die gegnerischen Bauern auf weißen Feldern fest, aber danach fehlen die Ansatzpunkte für einen Angriff.] 19...Lc6? Eine äußerst passive Fortsetzung, die vom Weltmeister widerlegt wird. [19...Tc8 20.Txc8+ Lxc8 21.gxh5 Sxh5 22.Tc1 Kd8 23.Sg5 Tf8 24.Ke3 f6 25.Sh7 Th8 ist ebenso schlechter für Schwarz, aber doch verteidigungsfähig.] 20.gxh5 Sxh5 21.b4 a6 22.a4! [22.Ke3 bleibt eine brauchbare Alternative, wonach der schwarze Springer kein gutes Feld mehr zur Verfügung hat.] 22...Kd8? [22...Lxa4 23.Tc7 Lb5! (Nichts taugt dagegen 23...0-0?! 24.Sg5 Lb5 25.Lh7+ Kh8 26.Lc2 Kg8 27.Ld1 Sf4 28.Ke3 Sg6 29.h5 Sh4 30.Lg4 ; und als noch schlechter erweist sich 23...Lc6? 24.Sg5 0-0 25.Ke3 Tac8 26.Txc8 Txc8 27.Le2 g6 28.Lxh5 gxh5 29.Sxe6++- Kh8 30.Sf4 ) 24.Lxb5+ axb5 muss versucht werden. Schwarz verfügt dann über Gegenspiel.] 23.Sg5 Le8 24.b5 [24.Ke3 sieht erneut stark aus, um den Springer zu kontrollieren - aber Kramnik verfolgt eine andere gewinnträchtige Idee.] 24...Sf4 25.b6! Schafft das Einbruchsfeld c7. 25...Sxd3 26.Kxd3 Tc8 27.Txc8+ Kxc8 28.Tc1+ Lc6 [28...Kb8 29.Tc7 Txh4 30.Sxf7 Lxf7 31.Txf7 Th3+ 32.Kd2 Kc8 33.Tc7+ Kb8 34.Txg7 Kc8 35.Tc7+ Kb8 36.Te7 ist keine erfreuliche Zwickmühle mit dem ständig drohenden Grundlinienmatt.] 29.Sxf7 Txh4 30.Sd6+ Kd8 31.Tg1 31...Th3+ [31...Th7 32.a5 und Schwarz kann sich kaum mehr regen.] 32.Ke2 Ta3 33.Txg7 Txa4 34.f4!+- Eine letzte Pointe, die rasch zum Sieg führt. 34...Ta2+ [34...Txd4 35.f5! exf5 36.e6 Te4+ Nur so kann Schwarz noch das drohende Matt verhindern. 37.Sxe4 fxe4 38.Tc7 d4 39.e7+ Ke8 40.Txc6! bxc6 41.b7 und ein Bauer geht zur Dame.] 35.Kf3 Ta3+ 36.Kg4 Td3 [36...Ta1 37.Tc7 Tg1+ 38.Kh5 a5 39.f5 exf5 40.e6 Te1 41.Sf7+ Ke8 42.Se5 Tb1 43.Sxc6 bxc6 44.b7 f4 45.Kg5 f3 46.Kf6 f2 47.Tc8# ] 37.f5 Txd4+ 38.Kg5 exf5 39.Kf6 Dank des doppelten Bauernopfers kann sich der König hinter einem schwarzen Bauern verschanzen und hilft beim abschließenden Mattangriff. 39...Tg4 40.Tc7! Th4 41.Sf7+ [Das Matt nach 41.Sf7+ Ke8 42.Tc8+ Kd7 43.Td8# ließ sich Leko nicht mehr zeigen.] 1-0

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