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Verlierer Kasparow der große Gewinner

WM-Titelvereinigung bis 2003! / Prag-Sieger Anand außen vor

von Hartmut Metz, Fotos von Harald Fietz, 11. Mai 2002

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Ausgerechnet die Denkstrategen mussten sich mit brachialen Sportlern wie den Boxern vergleichen lassen. Nicht, dass sich die Schachspieler seit damals die Bretter auf die Köpfe schlugen oder unter dem Tisch nach den Schienbeinen der Gegner traten. Vielmehr die Zahl der Schach-Weltmeister lud stets zum Vergleich mit dem Titel-Tohuwabohu bei den Faustkämpfern ein. 1993 hatten sich Weltmeister Garri Kasparow und sein englischer Herausforderer Nigel Short mit dem Schach-Weltverband FIDE überworfen und ihre eigene Organisation ins Leben gerufen. Nach einem Jahrzehnt soll es 2003 endlich wieder nur einen Weltmeister geben. Das war das wichtigste Ergebnis beim mit 500.000 Euro dotierten Schnellschach-Turnier in Prag.

   Im populären Ballhaus Palais Zofin auf einer kleinen Moldau-Insel sah Ex-Weltmeister Viswanathan Anand nur zunächst wie der Sieger aus. Im Finale stoppte der Inder den seinen dritten Frühling erlebenden 50-jährigen Anatoli Karpow (Russland) mit 1,5:0,5. Zuvor hatte der "Tiger von Madras" seinen Ruf als bester Schnellschachspieler der Welt zementiert und im Halbfinale Wassili Iwantschuk ausgeschaltet. Der Vizeweltmeister aus der Ukraine wiederum hatte im Viertelfinale den Weltranglistenersten Kasparow geschlagen, und Karpow einen der beiden aktuellen Weltmeister, Wladimir Kramnik, peinlicherweise schon in Runde zwei aus dem Wettbewerb geworfen.

   Just die von der FIDE abtrünnigen Kramnik und insbesondere Kasparow avancierten aber am Montag nach dem Turnier zu den wirklichen Siegern. Während in einem ersten Papier zur Titelvereinigung auch von einem Match zwischen Anand und Iwantschuk die Rede war, wurden die erfolgreichsten Großmeister von Prag, die bisher mit Nibelungentreue zum Weltverband standen, zu Bauernopfern degradiert. Umso erstaunlicher fiel auf, wie angeregt Kasparow und Kirsan Iljumschinow plauderten. Der direkt aus der russischen Hauptstadt angereiste FIDE-Präsident, der dort das 2:0 seines eigenen Fußballklubs Umelan im Pokal-Finale über Spartak Moskau verfolgt hatte, war über Jahre hinweg von Kasparow attackiert worden. Der Vorwurf, der Präsident der Republik Kalmückien pumpe "schmutziges Geld" in die FIDE-WM, war dabei noch eine der harmloseren Beschuldigungen.

 

Garri Kasparow

Garri Kasparow schied gegen Iwantschuk aus ...

 

   Kasparow beschimpfte auch in Tschechien seinen Erzrivalen Karpow als "alten Kommunisten", während sich der 38-Jährige selbst gerne als "Kind des demokratischen Wandels" in der ehemaligen Sowjetunion präsentiert. Wandel stimmt auch diesmal: Der Opportunist unternimmt alles, um wieder auf den Schach-Thron steigen zu können. Unbestritten ist das in den letzten zehn Turnieren mit klassischer Bedenkzeit ungeschlagene "Ungeheuer von Baku" bester Spieler aller Zeiten. Doch vor zwei Jahren hatte ihm der Weltranglistenzweite Kramnik überraschend "seinen" WM-Titel abgeknöpft und trotz allen Zetern und Mordios kein Revanche-Match gegönnt.

Viswanathan Anand

... und dieser wurde von Viswanathan Anand besiegt

   An einer regulären Qualifikation wollte Kasparow nicht teilnehmen. Er boykottiert das Turnier im Juli in Dortmund, das durch die Absage von Anand und Iwantschuk weiter an Wert verlor. Der neue 18-jährige FIDE-Weltmeister Ruslan Ponomarjow tritt bei der Konkurrenz - der Titelname wechselte unter Kasparows und Kramniks Ägide von Profi-Schachorganisation (PCA) und World Chess Council (WCC) über Braingames bis zu derzeit Einstein TV - sowieso nicht an. Jetzt soll der Ukrainer, der als einziger Topspieler Prag fernblieb, gegen Kasparow ein Match bestreiten. Kramnik wird gegen den Sieger von Dortmund antreten. Anschließend messen sich die beiden Gewinner, vermutlich wieder Kasparow und Kramnik, im Oktober/November 2003. Der derzeit formschwache Einstein-Weltmeister unterzeichnete als zweiter Sieger hinter Kasparow den "Vereinigungsplan von Prag" ebenso gerne. Die Firma Braingames war bereits marode, der neue WM-Rechteinhaber Einstein TV freut sich auch über die Finanzspritze, die die syrisch-französische Milliardärs-Witwe Nahed Ojjeh in Aussicht stellte. Und Iljumschinow ist auch froh, die Schachwelt nicht ständig aus seinem Säckel oder dem Kalmückiens beglücken zu müssen.

   Karpow hatte für das Kandidaten-Match gegen Short anno 1992 eine Eröffnungsvariante vorbereitet. Erst zehn Jahre danach kam sie jetzt in der ersten Runde von Prag aufs Brett. Die Partie-Anmerkungen stammen aus dem neuesten Schach-Magazin 64.

 










W: Karpow S: Short

 

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.Dc2 d5 5.cxd5 exd5 6.Lg5 h6 7.Lh4 c5 8.dxc5 g5 9.Lg3 Se4 10.e3 Da5 11.Sge2 Lf5 12.Le5 Sxc3?! Der Zug gilt als dubios. In einer WM-Partie Kasparow - Short (1993) stand Schwarz allerdings nach 12...0-0 13.Sd4 Lg6 14.Sb3 auch schlechter. 13.Dxf5 Se4+ [13...Sxe2+ 14.Kxe2 0-0 15.Kf3 und Schwarz hat keine Kompensation. 14.Sc3 0-0 Über 14 seiner insgesamt nur 25 Minuten Bedenkzeit verbrauchte Short für die Rochade. Eine gute Fortsetzung fand er nicht: 14...Lxc3+ 15.Lxc3! Sxc3 16.De5+! Kd7 17.bxc3 bringt Weiß in Vorteil. 15.Ld3 Sc6 16.0-0 Tfe8 17.Sxe4! dxe4 18.Lxe4 Txe5 19.Dh7+ Kf8 20.Dxh6+ 1:0. Schwarz verliert viel Material oder sein König geht matt: 20.Dxh6+ Kg8 (20...Ke8 21.Lxc6+ bxc6 22.Dh8+ Kd7 23.Dxe5 ) 21.Lh7+ Kh8 22.Lg6+ Kg8 23.Dh7+ Kf8 24.Dxf7#

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