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Der Verderber naht" per Post

Karlsruher SF Dritter in der Fernschach-Bundesliga

von Hartmut Metz, 14. Oktober 2001

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   Schon fast einen Anachronismus unserer Zeit stellt das Fernschach dar. Die Gegner übermitteln sich per Post ihre Züge. Ein wenig haben sich die Fernschachspieler aber auch angepasst und schicken inzwischen vermehrt ihre Antworten per E-Mail. Das geht schneller und spart Porto. Obwohl im Internet täglich hunderttausende Partien gespielt werden, bevorzugt die gemächliche Spezies der Denkstrategen weiter ihr über 100 Jahre altes Ritual - vor allem, weil Fernschach mehr zur Tiefe erzieht. Langfristige Pläne müssen geschmiedet werden, da der Gegner kaum mit kurzzügigen Varianten zu bezwingen ist.

   Diesen Trend verstärkten die Programme, die inzwischen fast jeder zur Unterstützung heranzieht. Taktisch sind die Computer unübertrefflich. Ein starker Fernschachspieler versteht es aber immer noch, die Kraft der Programme in richtige Bahnen, sprich Varianten, zu lenken. Die Elektronenhirne sind Segen (für die Qualität der Partien) wie Fluch, denn zunehmend viele Fernschachfreunde wenden sich von ihrem Hobby ab, weil die Lust verloren geht, "bloß" gegen Programme anzutreten.

   Unverdrossen kämpft jedoch ein verschworener Haufen in den einzelnen Fernschach-Ligen. Fechenheim eroberte nach zweijährigem Kampf mit 13:3 Zählern den deutschen Titel. Platz zwei ging an Bocholt (11:5/18,5) vor den Karlsruher SF, die als Dritter mit 17,5 Brettpunkten nach 32 Partien einen Zähler schlechter lagen. Immerhin gelang den Badenern mit dem 2,5:1,5 der einzige Sieg über den neuen deutschen Meister. Außerdem verbesserte sich das Team gegenüber der Saison 1997 bis 1999 um einen Rang, obwohl zwei Topkräfte fehlten: Thomas Raupp konzentriert sich auf die Einzel-Weltmeisterschaft und Großmeister Gerhard Löh legte eine längere Pause ein. Lothar Arnold sammelte am Spitzenbrett 3,5 Punkte aus acht Partien, Christof Herbrechtsmeier dahinter 5,5 Zähler, Clemens Werner 4,5 und Bernd Meissner 4. Das Quartett will nun einen neuen Anlauf nehmen und laut Werner "das Ergebnis weiter steigern".

   Herbrechtsmeier soll dabei von Position zwei auf eins vorrücken, verbuchte er doch am zweiten Brett die beste Bilanz aller Bundesligisten mit drei Siegen und fünf Unentschieden. Nachdem der Karlsruher gegen die Fernschach-Weltmeister Nesis und Oim 1989 und 1991 remisierte, gewann er nun den dritten Vergleich mit einem Ex-Weltmeister! Fritz Baumbach streckte nach nur 23 Zügen die Waffen. Für die Meko kommentierte Herbrechtsmeier seinen Erfolg über den Präsidenten des Deutschen Fernschachbundes sowie eine Abbruchstellung samt einer sehenswerten Partie seines Mannschaftskameraden Clemens Werner.

 










Werner,C - Hofmann,R [C01]
corr 99-01, 2001
[Herbrechtsmeier,Christof]

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.exd5 exd5 5.Ld3 Se7 6.Dh5 Sbc6 [Besser 6...c5 7.dxc5 und jetzt 7...Sd7! (7...d4?! ist zweischneidig) ] 7.a3 Lxc3+ 8.bxc3 Le6 9.Tb1 b6 10.Sf3 Dd7 11.Sg5 In den 90er-Jahren gab es hierzu einige Partien 11...0-0-0 12.Sxe6 Dxe6+ 13.Le3 g6 14.Df3 Sf5 15.0-0 Sxe3 16.Tfe1 [16.fxe3 f5 und Weiß kann wegen der Dame auf e6 die Öffnung c3-c4 nicht realisieren] 16...Dd6 Andere Züge wurden auch schon erprobt; dies erscheint jedoch konsequent 17.fxe3 f5 18.c4 Dxa3 Neuerung [18...dxc4 19.Lxc4 Kb8 /\ Sxd4 20.Lb5 Sa5 21.c4 (21.g3!? /\ Lb5-f1-g2+/=) ] 19.cxd5 Sb4 20.Tb3 [20.d6 Sxd3 21.dxc7 Sxe1 bringt W nicht weiter] 20...Da4 [20...Da5 21.d6! Sxd3 22.Teb1 Dd2 ist kompliziert] 21.Le2 Kb8 22.Teb1 Sxc2 23.Lb5 Sxd4 24.exd4 Dxd4+ 25.Kh1 Dxd5 Eine interessante Konstellation ist entstanden: L vs. 4 B 26.Df1 Die Damen sollte W natürlich nicht tauschen 26...Td6 27.Td3 De5 28.Txd6 Dxd6 Die Stellung ist schwierig einzuschätzen. Materiell ist S in Vorteil, in Wahrheit kann W aber ohne Risiko auf Gewinn spielen 29.Td1 De5?! [29...Df6 mit der Idee Td8 war vorzuziehen, W hat aber auch dann sehr aktives Spiel, evtl. sogar mit Le2-f3] 30.h3 a5 31.Lc6 Ka7 32.Lf3 Jetzt steht W bereits auf Gewinn! 32...Te8 33.Dc4 Dc5 34.Df7 De7 35.Dd5 Tb8[] Da jetzt und in der Folge S oft nur einen einzigen Zug hat, zeigt deutlich, dass es zu gefährlich war, den Turm zu behalten 36.Tc1! c5 Verpflichtend, weil auf b6 eine dauerhafte Schwäche entsteht. Besseres ist jedoch nicht zu sehen 37.Dc6 g5 [Nach 37...Td8? 38.Tb1 Tb8 39.Txb6 ist es schon aus] 38.Td1 Ka6[] 39.Ld5 Td8 40.Tb1 Tb8[] 41.Tf1 [41.Db5+ Ka7 42.Lc4 Db7[] 43.Td1 Tc8[] gewinnt auch 44.Td6 ] 41...f4 Diese Stellung kann man in einer Fernpartie getrost aufgeben. Mit Computerunterstützung kann der Angreifer die Gewinnrealisierung in allen Untervarianten exakt berechnen 42.Lc4+ Ka7 43.Db5 Db7 44.Td1 Tc8[] 45.Td6 [45.Le2 geht auch] 45...f3 46.Kg1! f2+ 47.Kxf2 h5 48.Kg1 Den Rest wollte sich S doch nicht mehr zeigen lassen: [48.Kg1 g4 (48...Tc7 49.Ld5 Db8 50.Te6 nebst Te8 - das Gewinnmanöver) 49.hxg4 hxg4 50.Le6 Tc7 51.Ld5 Db8 52.Te6 Th7 53.Te8 Dh2+ 54.Kf1 Df4+ 55.Ke2 mit Matt in 12. Mit diesem Sieg bezwang Karlsruhe den deutschen Meister 2001, Fechenheim, mit 2,5:1,5.] 1-0

 

 










Herbrechtsmeier,C - Baumbach,F [B36]
corr 99-01, 2001
[Herbrechtsmeier, Christof]

1.e4 Meine dritte Partie gegen einen Fernschach-Weltmeister; gegen Nesis und Oim remisierte ich 1989 bzw. 1991. 1...c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 g6 5.c4 Es war für mich eine Herausforderung, diese Variante gegen "den" Spezialisten des "Beschleunigten Drachen" zu spielen. 5...Sf6 6.Sc3 d6 7.Le2 Sxd4 8.Dxd4 Lg7 9.Lg5 0-0 10.De3 Le6 11.0-0 Db6 12.Dd2 Tfc8 13.b3 a6 14.Tad1 Tab8? Mit der Idee, f4 so lange wie möglich zu verhindern und später mit b5 selbst die Initiative zu übernehmen. Schwarz kommt jedoch nicht mehr dazu. [14...Dc5 15.Sa4! war Mahlings Neuerung im selben Turnier gegen mich mit vertauschten Farben; nach 15...Dc7 16.De3 Te8 17.f4 Tad8 18.f5 Ld7 19.Sb6 Lc6 endete die Partie nach interessantem Spiel remis; 14...Da5 ist die Theoriefortsetzung, die allerdings im Normalfall nach 10.Dd2 Le6 11.0-0 Da5 12.Tad1 Tfc8 13.b3 a6 entsteht. 15.f4! (15.Lxf6 Lxf6 16.Sd5 Dxd2 17.Sxf6+ Kg7 18.Sh5+ gxh5 19.Txd2 Tc5 ) 15...b5 16.f5 b4 17.fxe6 bxc3 18.exf7+ führt zu einer unklaren Stellung.] 15.Kh1 Dc7 [Ebenfalls im selben Turnier spielte Baumbach gegen Mahling hier 15...Dc5 16.f4 Te8 17.f5 Ld7 und konnte trotz schlechter Stellung Remis halten; 15...Da5! ist wohl besser.] 16.f4 Te8 [16...b5 geht nicht: 17.f5 b4 sonst gewinnt W mit Lxf6 nebst Sd5 mindestens einen Bauern 18.fxe6 bxc3 19.exf7+ nebst Dxc3.] 17.f5 Lc8 [Vielleicht hätte Schwarz besser mit 17...gxf5 18.exf5 Ld7 19.Lxf6 exf6 ein Bauernopfer anbieten sollen.] 18.Df4 Mit Verzicht auf den Bauerngewinn durch [18.Lxf6 Lxf6 19.Sd5 Dd8 20.Sxf6+ exf6 21.Lf3 nebst Dxd6.] 18...gxf5?! [18...Da5 ist besser. Allerdings verheißt 19.fxg6 nebst Sd5 auch klaren Vorteil.] 19.Td3! "Der Verderber naht" (Baumbach). Dieses Opfer habe ich sicher über 30 Stunden analysiert [19.exf5 Da5 20.Td3 De5 21.Dxe5 dxe5 22.Te3 war die "positionelle" Lösung (Christian Kratochwil).] 19...Da5 Der beste Zug. 20.Tg3 Für den Angriff kam auch 20.Lh6 bzw. 20.Dh4 (führt wohl mit Zugumstellung zur Partie) stark in Betracht. 20...Kh8 Der einzige Zug. 21.Dh4 [21.exf5 Sg8 ] 21...Sxe4 [21...fxe4? 22.Lxf6 exf6 (22...Lxf6 23.Txf6 ) 23.Txg7 Kxg7 24.Dxf6+ Kg8 25.Dxf7+ ; 21...f4 22.Lxf4 Tg8 (22...Sg8 23.Sd5! Le6 24.e5 ; 22...Le6 23.e5 dxe5 24.Dg5 Tg8 25.Lxe5 Tbc8 26.Se4 Dxa2 27.Sxf6 ) 23.b4! Dxb4 24.e5 dxe5 25.Lxe5 Ta8 26.Ld3 ; 21...Tg8 22.b4! Dd8 23.Sd5 ; 21...Sg8 22.Dh5! Lxc3 (22...Tf8 23.Tf4! ) 23.Th3 Kg7[] 24.Lh6+! ; 21...b5 verliert Material, entspricht aber am besten der Stellung 22.Th3 f4 23.Lxf6 Lxh3 24.Lxg7+ Kxg7 25.Dxh3 b4 26.Dg4+ Kh8 27.Sd5 Dxa2 28.Txf4 ] 22.Sxe4 fxe4 23.Le3 Nachdem ich mich in der Vorausberechnung (bei 19.Td3) lange mit 23.Lxe7 beschäftigt hatte, habe ich mich schließlich für diesen "ruhigen" Zug entschieden: Alle weißen Figuren sind am Angriff beteiligt. Mein sympathischer Gegner, der übrigens Präsident des Deutschen Fernschachbundes ist, gab (mit zwei Mehrbauern) auf! [23.Lxe7 Txe7[] 24.Txg7!? (24.Dxe7 Le6[] 25.Lg4 Dd8! ) 24...Kxg7 25.Dxe7 (25.Df6+!? ) 25...Le6 26.Dxd6 Te8! 27.Df4 e3 28.Lg4! ; 23.Le3 Tg8 (23...f6? 24.Lh5+- ; 23...Lf5? 24.Dg5+- ; 23...Ld7? 24.Txf7+- ; 23...Le6? 24.Txg7 Kxg7 25.Ld4+ f6 26.Txf6 ; 23...Lc3 24.Txf7 Lf5 25.Th3 Kg8 (25...Lg7 26.Ld4! Tg8 27.b4!+- ) 26.Lb6! ; 23...De5 24.Txf7 Tg8 25.Tg5! Da1+ 26.Lg1+- ; 23...Dc3 24.Lh6 Lf6 25.Lg7+! Lxg7 26.Txc3 Lxc3 27.Txf7 Lg7 28.Dxe4 Kg8[] 29.Tf3 Tf8 30.Dd5+ e6 31.Txf8+ Lxf8 32.Dg5+ Lg7 33.Dd8+ Lf8 34.Dc7 Ta8 35.Lh5+- ) 24.Tg5 (24.Txf7 gewinnt auch - dieser Zug ist aber "ästhetischer".) 24...Dc3[] (24...Lf6 25.Txf6 Txg5 26.Txf7 Tg7 27.Tf8+ Tg8 28.Ld4+ Das Matt in fünf Zügen ist mit Computer natürlich problemlos.) 25.Th5 Tf8 Auf andere Turmzüge entscheidet Txf7. 26.Txh7+ Kg8 27.Lh6 Lf6 (27...Lxh6 28.Txh6 Dg7 29.Th5 f6 30.Dxe4 nebst Tf3) 28.Dxe4 De5 29.Ld3 Dxe4[] 30.Lxe4 Ld7 31.Tf3 Le5[] 32.Lxf8 Txf8 33.Th5 Tb8 Sonst geschieht profan Lxb7. 34.Tg5+ Kf8 35.Lh7 Lg7 36.Tfg3 ] 1-0

 

Fernschach

 

Die Begegnung SF-München/Pasing wurde beim Stand von 1,5:1,5 abgebrochen. Wolf weigerte sich zu Beginn der Partie, diese per E-Mail zu spielen und sandte seine Postkarten von Eupen (Belgien) nach Murten (Schweiz). Die Schlussstellung wurde vom BdF als gewonnen für Weiß abgeschätzt; beide Spieler konnten Analysen einreichen. Die Argumentation des Abschätzers: "Beide Spieler sind sich einig, dass W besser steht. W legt mit der Fortsetzung 42.Tc4 überzeugend dar, dass er seinen Vorteil entscheidend vergrößern kann. S stellt allgemeine Überlegungen an. Dabei berücksichtigt er nicht, dass die Öffnung des Spiels mit g3 nach hxg3 zwar zu schwachen Bauern auf f3 und h3 führt; aber die Schwächung des Bauern g5, der nicht zu verteidigen ist, schwerer wiegt."

Mit dem Mannschaftssieg erreichte KSF den 3. Platz, und Pasing musste absteigen.

Wie geht es weiter? Analysen können ins Diskussionsforum gestellt werden, die Partiestellung zum Download.


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