„Der wird vom Glück geknutscht", kommentierte der Hördener Schachspieler Walter Siemon, den es mittlerweile zum SWR nach Mainz verschlagen hat. Der Radiosprecher mit der sonoren Stimme verfolgte in seiner neuen Heimat auch den Auftritt von Eckhard Freise bei den Chess Classic Mainz. Der erste Gewinner einer Million Mark bei der Quizshow von Günther Jauch zählte zur Prominenz bei den Simultans gegen die Weltmeister Wladimir Kramnik und Viswanathan Anand.

   Während Kramnik auch im Simultan seinen Sicherheitsstil mit 33 Siegen und sieben Unentschieden pflegte, startete Anand furios. Erst nach 20 Siegen gab er das erste von zwei Remis ab. Eine der zwei Niederlagen brachte ihm Freise bei. Der Wuppertaler Professor für mittelalterliche Geschichte spielte dabei eine beeindruckende Partie. Diese kommentierte der Ex-Zweitligaspieler aus Münster exklusiv für die Schachspalte unter dem Motto „Großwildjagd in Mainz".

Der Jauch-Millionär Eckhard Freise war von den Chess Classic begeistert

W: Anand S: Freise 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5!? Der "Spanischen Tortur" (Tartakower; in Anspielung auf ein Folterinstrument, den beruechtigten Spanischen Stiefel) trotzte zuletzt erfolgreich Kramniks beliebte Berliner Mauer (so scherzhaft zur uralten Berliner Verteidigung 3...Sf6) - bis sie neulich unter Kasparows Ansturm (nicht schon in dessen Waterloo-Station, London Braingames WM 2000, sondern Astana 2001) fiel. Auftritt: Der alte Rittmeister Jaenisch von 1847, mit schachromantischen Flausen im Kopf, in der Rechten den zweischneidigen Saebel ... 4.Sc3 ... den der "Tiger von Madras" von nun an haette staendig scharf im Auge behalten sollen. Sc3 ist seit den Analysen des deutschen Fernschachpioniers Dr. Dyckhoff die beliebteste Antwort. d3 und d4 sind ebenfalls spielbar, fuehren aber zu gaenzlich anderen Stellungen, in denen Schwarz immer noch auf versteckte Ressourcen zurueckgreifen kann (Analytiker, aufgepasst!). 4...fxe4 4...Sd4 (auch "Bulgarisches Gambit" genannt) griffe der Bestie tollkuehn in den Rachen! So spielte F. bereits, als Vishy noch in den Tigerwindeln lag - etwa in einer Fernpartie (Gonschior-F. 1977:  5.La4 Sf6 6.0-0 Lc5 7.Sxe5 0-0 8.exf5 d5 9.Se2 Dd6 10.Sxd4 Lxd4 11.Sf3 Sg4 12.c3 Txf5 13.h3 Txf3 14.hxg4 Lxg4 15.De1 Th3! nach dem Vorbild des Oldenburger Meisters Manfred Hermann, der damit ohne Respekt auch Karpow angefallen hatte (in Lauterberg 1977). 5.Sxe4 Sf6 6.Sxf6+ Neuerdings haeufiger 6.De2 mit verteilten Chancen: Man vergleiche etwa  6...d5 7.Sxf6+ (7.Sxe5 dxe4 8.Dc4 Dd5 9.Dxd5 Sxd5 10.Sxc6 Ld7 11.Sd4 c6 12.Le2 Lc5 13.Sb3 Lb6 ) 7...gxf6 8.d4 Lg7 9.dxe5 0-0 10.Lxc6 bxc6 11.e6 Te8 12.Le3 Lxe6 13.0-0-0 Dd6 14.Se5 Ld7 15.Lc5 ] 6...Dxf6 7.De2 Le7 8.0-0 0-0 9.Lxc6 dxc6 10.Sxe5 Lf5 11.d3 Ld6 12.Sc4 Bisher zog Weiss 12.f4 mit der Folge  Tae8 13.d4 Lxe5 14.dxe5 Dg6 und weissfeldriger Blockade (Michail Tseitlin). Ungleichfarbige Laeufer bieten Schwarz trotz des Bauernminus' keine schlechteren Aussichten. 12...Tae8 13.Le3 Dg6 14.Kh1 Doch er fuerchtet sich nicht "weenich", und so zieht er dann den "Geenich" (saechsischer Volksmund) wegen 14. Sxd6 Lh3. 14...Le5!? Neu im Varianten-Zoo, am Brett gefunden. Le7 fuehrt zu unguenstigerem Spiel. 15.Sxe5 Txe5 Ein wahrer Elefant in der Schlacht, elf Zuege spaeter der wahre Tiger-Killer. 16.Dd2 Tfe8 17.Dc3 h5 Auf zum Sturmlauf, zugleich hat der Koenig auf h7 ein Schlupfloch (vergleiche Zug 38!). Solider war gewiss erst 17...b6 18.Tae1 Die Alternative Db3+ gewinnt zwar Bauern am Damenfluegel, treibt diegefraessig e Tiger-Dame aber ins Abseits. 18...h4 Gut gemeckert, Ziege - Lockspeise fuer Vishy! 19.Dc4+ Df7 Dem Tiger zittern vor Hunger die Schnurrbarthaare - 20.Dxh4 Und so frisst er die vorwitzige Ziege auf h4; denn die schwarze Grosswildjaeger-Lady hat sich doch auf a2 im Dschungel verirrt?! Auf 20.Dxf7+ Kxf7 rueckt freilich die Remis-Manege sehr viel naeher. 20...Dxa2 21.Dd4 c5 Jetzt aber kommen die Treiber! 22.Dc3 Dd5 23.Ta1 Lh3 Und schon ist die Buechse geladen. Es droht auf g2 der Blattschuss. 24.Tg1 T8e6! Der zweite Elefant versperrt weise die Diagonale b3/g8. 25.Txa7?! Die linke Tatze langt zu! Aber: Gesprungen als Tiger ... (Fortsetzung Zug 30). 25...b5! Noch ein weiterer Treiber: Auf 26. Db3 folgt c4! 27. dxc4 Lxg2+ 28. Txg2 Dd1+ 29. Tg1 Df3+ 30. Tg2 Tg5 nebst Matt auf e1 oder g2. 26.De1?! Welcher Tiger geht schon gern freiwillig in den Kaefig? Auf 26.Db3 waere 26...c4! 27.dxc4 Lxg2+ 28.Txg2 Dd1+ 29.Tg1 Df3+ 30.Tg2 Tg5 nebst Matt auf e1 oder g2 gefolgt; 26.Dxc5! Lxg2+ 27.Txg2 Df3! haette Vishy auf die sanfte Dauerschach-Schaukel befoerdert. Mehr Happyend war fuer ihn schon nicht mehr drin. 26...Tg5! Erbarmen, die Elefanten kommen! 27. Lxg5 geht nicht wegen Txe1. Auf 26. ... Tg6?! waere Vishy mit Df1 noch entwischt. 27.f3 [27.Lxg5 Txe1 ; 27.Df1 reicht jetzt nicht mehr aus: 27...Txg2 28.Txg2 Df3 29.Kg1 Lxg2 30.Dxg2 Dd1+ 31.Df1 Tg6+ ] 27...Lxg2+! Peng, getroffen! 28.Txg2 Dxf3 29.Df2 Txe3! Ta1 ... gelandet als Bettvorleger (siehe oben 25.)! Beisst der Tiger die kuehne Lady auf f3, trampeln ihn die Elefanten platt: 30.Dxf3 Te1+ 31.Tg1 Texg1# 30...Dxg2+ 31.Dxg2 Txg2 32.Kxg2 Te2+ 33.Kg3 Txc2 Nach dem Gemetzel schleicht der Tiger ohne Reisszaehne waidwund in ein schlechtes Turmendspiel. 34.Ta7 Td2! Viel genauer als das remisverdaechtige Txb2. Es winken verbundene Freibauern. 35.Kf4 Txd3 36.Txc7 c4 37.b4 Tb3 Besser als 37...cxb3 38.Tc1 b2 39.Tb1 Td2 40.h3 38.Kf5 Heftiges Gebruell - steht der weisse Koenig auf g6, droht ploetzlich Matt. 38...Kh7 Rein in die Huette! 39.Ke6 Txb4 40.Kf7 Tb2 41.Tc5 Tf2+ Schrecksekunde! Ploetzlich stand Vishy vor dem Brett - und der Jaeger hatte sich gerade in seinen Gedankenpfaden verlaufen. 42.Ke6 Tb2 43.Kf7 Kh6 44.Tc6+ Kg5 45.Tc5+ Kf4 46.h4 Ke4 47.h5 Kd4 Der Tiger streckte brav seine Pranke aus, murmelte etwas Unverstaendliches in sein nettes Doppelkinn. Jaeger (nach Haendedruck, alarmiert): "I don't accept a draw (Auf keinen Fall Unentschieden!)." Tiger (jetzt ganz Gentleman Vishy): "No, no, I resign! (Ich gebe auf)." Sprach's, signierte Partieformular und PR-Foto mit unleserlicher Klaue - und schritt von dannen, um die restlichen Ziegen im Simultan-Geviert abzuschlachten. 0-1

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