Startseite Rochade Kuppenheim

Hut ab vor Botwinnik

Kortschnoi Zweiter bei eigenem Geburtstagsturnier

von Hartmut Metz, 7. April 2001

mehr Schachtexte von Hartmut Metz


Viktor Kortschnoi

Viktor Kortschnoi

   Bei seinem eigenen Geburtstagsturnier hat Viktor Kortschnoi den Unterschied zwischen sich und anderen Großmeistern seiner Generation einmal mehr aufgezeigt: In St. Petersburg belegte der unverwüstliche 70-Jährige den zweiten Platz mit 6:4 Punkten, während der gleichaltrige Mark Taimanow (1,5:8,5) mit dem letzten Rang vorlieb nehmen musste. Den Schnellschach-Wettbewerb gewann Konstantin Sakajew (8:2) vor Kortschnoi und Sergej Rublewski. Letzterer, immerhin Olympiade-Sieger mit Russland, bekam bei seinen zwei Niederlagen demonstriert, dass auch weiterhin mit dem einzigen Senior in der Weltspitze zu rechnen ist.

   Die nachstehende Partie hat Kortschnoi für den ersten Band seiner Biographie, die noch im April erscheinen soll, kommentiert. Dabei bezwang er den dreifachen Weltmeister Michail Botwinnik im Städtevergleich zwischen Leningrad (dem heutigen St. Petersburg) und Moskau. Dem Übervater der sowjetischen Schachschule hält der Emigrant noch heute zugute, dass er nach der Flucht nicht den „berüchtigten Brief der 31 Großmeister gegen mich unterzeichnete". Darin hatte die sowjetische Elite - mit Ausnahme von Boris Spasski, David Bronstein und Boris Gulko - den Ausschluss des Schweizers aus dem Kandidatenturnier gefordert. Erstaunlicherweise unterzeichnete auch Kortschnois Erzrivale Anatoli Karpow das Pamphlet nicht!









Stellung nach:

Kortschnoi - Botwinnik
Match Leningrad - Moskau 1960
Nimzoindisch

In den Jahren als Weltmeister (1948 bis 1963) spielte Botwinnik sehr selten. Neben seinen Matchs mit Bronstein, Smyslow, Tal und Petrosjan nahm er nur an den UdSSR-Meisterschaften von 1951, 1952 und 1955, sowie an einigen Schacholympiaden teil. Auf sein Match gegen Tal bereitete er sich aktiv vor, und jede seriöse Partie war im Sinne des Trainings von großem Interesse. Nun saß er dem jungen UdSSR-Meister gegenüber. Eine Partie gegen den Patriarchen, wie er damals genannt wurde, war allerdings auch für mich außergewöhnlich.

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.e3 b6 5.Sge2 Se4 Den Zug 5.Sge2 wandte Botwinnik selber gerne an. In einigen Partien seines Matchs 1957 gegen Smyslow geschah 5...La6 6.a3 Lxc3+ 7.Sxc3 d5 8.b3 mit leichtem Vorteil für Weiß. Trotzdem sieht die moderne Theorie nach 5...La6 in 6.Sg3 den aktivsten Zug (vgl. die Partie Kortschnoi - Short, Madrid 1995). Mein Zug 5…Se4 hat Vorteile und Nachteile. 6.Dc2 Hier steht die Dame nicht schlecht, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass 6.Ld2! energischer ist. Im Laufe der Jahre spielte ich einige Partien gegen 6.Ld2, zum Beispiel die folgende: 6…Sxd2 7.Dxd2 0-0 8.a3 Le7 9.g3 d5 10.cxd5 exd5 11.Sf4 c6 12.b4 a6 13.Lg2 Ld6 14.0-0 Lxf4 15.exf4 Sd7 16.a4 Sf6 17.b5 axb5 18.axb5 Lb7 19.bxc6 Lxc6 20.Tab1 Te8 21.Tb4 Te7 22.Tfb1, und Remis auf Vorschlag von Weiß, der allerdings leichten positionellen Vorteil hat (Speelman - Kortschnoi, Biel 1993). 6...Lb7 7.a3 Lxc3+ 8.Sxc3 f5 Ein zweischneidiger Zug. Als ich später mit Schwarz Botwinniks Aufbau übernahm, kamen mir Zweifel an der Güte von f7-f5. So versuchte ich in einer Partie gegen Ivkov (Amsterdam 1976) 8...Sxc3 9.Dxc3 0-0 10.b4 d6 11.Lb2 Sd7 12.d5 Sf6 und glich nach und nach aus. 9.b3 Weiß behandelt die Eröffnung ziemlich harmlos. Nur 9.d5!? kann das schwarze System wirklich testen. Auch 9.b4 leistet mehr als der Textzug. 9...0-0 10.Lb2 d6 11.d5 Ein pseudoaktiver Zug, der nichts zur gewünschten Öffnung der weißen Läufer-Diagonale beiträgt. Interessant wäre es gewesen, im Stile Tals 11.0-0-0 zu spielen, zumal sich Botwinnik ja auf Tal vorbereitete. In der Heimanalyse gefiel mir auch 11.Le2!?, das Schwarz wegen der Drohung Lf3 praktisch zum Tausch auf c3 zwingt. Und wenn Schwarz nach 11.Le2 Sxc3 12.Dxc3 mit 12…Lxg2 den g-Bauern nimmt, rollt der weiße Angriff nach 13.d5 e5 14.Tg1 Lh3 15.Tg3 entlang der offenen g-Linie. 11...Sxc3 12.Dxc3 e5 13.f4 Offensichtlich fiel es mir psychologisch nicht so leicht, gegen die Leitfigur des Sowjetschachs zu spielen. Für diesen nervösen Zug gibt es keinen Grund. Komfortablen Ausgleich sichern Weiß 13.Td1, 13.Le2 oder 13.Ld3. 13...Sd7 14.Ld3 Dh4+! Provoziert eine Schwächung auf der Diagonalen h1-a8. 15.g3 Dh6 Ein interessanter Moment. Mit 15...Dh3 könnte Botwinnik Weiß zur langen Rochade zwingen, doch zu wessen Vorteil das ist, bleibt unklar. Sicher ist nur, dass die weiße Stellung nach der kurzen Rochade logisch leichter zu verstehen ist. Möglicherweise war Botwinnik der Meinung, 16.0-0-0 sei die für ihn gefährlichere Fortsetzung. Die Dame würde dann auf h6 besser stehen als auf h3. 16.0-0 Wie Botwinnik in einem seiner Artikel richtig bemerkte, habe ich einen ganz anderen Stil als Tal. Ich bevorzuge Stellungen, in denen sich das Geschehen im Einklang mit dem gesunden Menschenverstand entwickelt. 16…c6 17.dxc6 Lxc6 18.Dc2! Man kann nicht recht glauben, dass Weiß ernsthaft den Bauern f5 erobern will. Die Belagerung von f5 verfolgt ein anderes Ziel: Weiß versucht Schwarz dazu zu bringen, die Spannung im Zentrum zu lösen. 18...Tae8? Eine Schachpartie ist ein Kampf zweier Charaktere. Er will, dass ich die Spannung aus dem Zentrum nehme? Diesen Gefallen mache ich ihm nicht! Der Textzug ist trotzdem schwach. Zu allererst: Nach 18...exf4 19.exf4 (19.Txf4 Se5) 19...Tae8 hat Schwarz einigen Vorteil, weil 20.Lxf5 aus mehreren Gründen nicht funktioniert, hauptsächlich wegen 20…Txf5 21.Dxf5 Te2, und Weiß kann die Stellung nicht mehr halten. Aber wenn wir schon von einem Kampf der Charaktere sprechen, dann ist 18...Sc5!? 19.Lxf5 Sxb3 stärker. Es droht Sd2 und nach 20.Tad1 Sc5 hat Schwarz Vorteil. Also muss Weiß auf b3 schlagen und nach 20.Dxb3 Txf5 21.c5+ Kh8 22.cxd6 exf4 steht die Partie ungefähr gleich. 19.Lxf5 Wie sich in der gemeinsamen Analyse nach der Partie herausstellte, hat Botwinnik den Bauern schlicht eingestellt. 19…Sc5 Auf 19...exf4 kann 20.Txf4 Txe3 21.Th4 Txg3+ 22.hxg3 De3+ 23.Df2 Dxf2+ 24.Kxf2 Txf5+ 25.Tf4 Th5 26.Td1! folgen mit Gewinnchancen für Weiß. Und auf 20...g5 hält nur 21.Lxd7! den weißen Materialvorteil fest. Ob Botwinnik diese Varianten gesehen hat oder nicht werden wir nie erfahren. 20.b4 La4 Am Brett war ich der Meinung, 20...Sa4 21.b5 Lb7 komme in Betracht. Zu Hause fand ich dann das Manöver 22.Ld7 Te7 23.Lc6, und Weiß steht besser. 21.Lxh7+ Dxh7 Oder 21...Kh8 22.Dg6. Schlecht ist 22…Sb3 wegen 23.Dxh6 gxh6 24.Lc2 usw. 22.Dxh7+ Kxh7 23.bxc5 exf4! Nur so verhindert Schwarz den Verlust eines zweiten Bauern: 23...bxc5 24.fxe5 Txf1+ 25.Txf1 dxe5 26.Tf7. 24.cxb6 axb6 Schwarz hat einige interessante Möglichkeiten (24...f3 oder 24...fxe3), aber Botwinnik wollte keinen starken Freibauern auf a7 zulassen. 25.exf4 Te4 26.Tae1 Tfe8 27.Kf2 Txc4 28.Txe8 Lxe8 29.Tc1 Txc1 30.Lxc1 Die letzten Züge waren auf beiden Seiten erzwungen. Zum Pech von Schwarz ist das nun entstandene Endspiel verloren, weil sich Weiß zwei verbundene Freibauern verschafft. 30...g6 31.g4 Kg7? Botwinnik sieht die stärkste Verteidigung nicht. Unmittelbar nach der Partie verwirrte er mich mit folgender Variante: 31...Lc6 32.Kg3 b5 33.Kh4 Lg2 34.Kg5 Lh3, und Weiß kommt plötzlich nicht mehr dazu, auf der f- und der g-Linie die gewünschten Freibauern zu bilden. Erst später fand ich auch in dieser Stellung den Gewinn. Weiß bildet die Freibauern auf der f- und der h-Linie und tauscht später einen der beiden für den schwarzen b-Bauern Danach gewinnt er den schwarzen Läufer für den freien a-Bauern. In etwa könnte das so gehen: 35.Ld2 Kg7 36.Lb4 d5 37.Lc3+ Kf7 38.f5 gxf5 39.gxf5 Kf8 40.Kg6 Ke8 41.Le5 Kf8 42.Ld4 Kg8 43.Lc5 d4. Der schwarze Läufer eilt helfend zu seinem König. 44.Lxd4 Lg2 45.h4 Ld5 46.h5 Lf7+ 47.Kg5 La2 48.f6 Kf7 49.h6 Lb1 50.Lf2 Lc2 51.Lh4 Lb1 52.Kf4 Kg6 53.Lg5 Kf7 54.Ke5 Lc2 55.Kd5 Ld3 56.Kc5 Ke6 57.Lh4 Kf7 58.h7 Lxh7 59.Kxb5 Ld3+ 60.Kb4 Ke6 61.a4 Lg6 62.Kc5 Kd7 63.Kb6 Kc8 64.Lg3. 32.Kg3 Lc6 33.Kh4 Lg2 34.Kg5 Lh3 35.Lb2+ Kf7 36.a4! Wegen der Drohung Ld4 muss der schwarze Läufer das Blockadefeld aufgeben. 36…Lg2 37.h4 Lc6 38.h5 gxh5 39.Kxh5 Lxa4 40.f5 Ld1 41.Kg5 b5 42.Lc3 1:0.

Nichts hält die weißen Bauern auf. Wenn Schwarz zum Beispiel seinen König auf h7 und den Läufer auf die Diagonale h5-e8 stellt, bringt Weiß seinen König nach f6 und gewinnt mit g5-g6.

Die Partie zum Download (pgn)


vorherige Meko

Meko-Übersicht

nächste Meko