Das stiefmütterlich behandelte
Kind hat sich diesmal gut präsentiert: Zwar flimmerte die alljährliche
Schachpartie im WDR erneut zur Unzeit - montags von 0 bis 2 Uhr - über
den Bildschirm, dafür lohnte sich aber heuer wieder einmal das Ausharren.
Zum einen kommentierten die zwei Großmeister Helmut Pfleger und Vlastimil
Hort unterhaltsam wie fachkundig. Dabei bedienten sie die Bandbreite vom
Laien bis zum versierten Vereinsspieler im geschickten Wechselspiel. Für
Tiefgang sorgte Matthias Wüllenweber mit dem Programm Fritz. Ein wenig
mehr hätte man noch die nutzlos an den Brettern herumsitzenden Schachspieler
einbinden können. So degradierte sie Claus Spahn zur Staffage. Dass
sich der Produzent der Sendung diesmal zurückhielt, tat den zwei Stunden
Schach besonders gut. Hauptdarsteller ist nämlich nicht er - was er
in den Vorjahren zu glauben schien -, sondern die zwei Spieler.
Und die gaben ihr Bestes. Wladimir
Kramnik hatte erwogen, das TV-Duell wegen des anstehenden Zweikampfes im
Oktober gegen Garri Kasparow abzusagen. Gut, dass er es nicht tat und gegen
Peter Leko eine Glanzpartie spielte. Ist der russische Weltranglistenzweite
eher spröder Natur, versteht sich der kurz vor der Vermählung stehende
ungarische Nachwuchsstar auf die Show. Er garantiert dem deutschen Publikum
nicht nur wegen seiner exzellenten Sprachkenntnisse beste Unterhaltung. Der
20-Jährige leitete mit der Sizilianischen Verteidigung eine offene
Feldschlacht ein.
Der Weltranglistensiebte musste
dabei allerdings einsehen, dass ihm Kramnik schachlich noch über ist.
Spielt Kramnik in London ähnliche Glanzpartien wie in Köln, muss
Kasparow um seinen WM-Titel bangen.
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Kramnik,W - Leko,P [B47]
WDR-Fernsehpreis 2000
1.e4 Eine Überraschung und eine clevere Wahl! Nicht in Bezug
auf diese Partie, aber im Hinblick auf das Match gegen Kasparow. Bisher zog
Kramnik erst einmal in seiner Karriere - und dann noch bei einer Blindpartie
- zuerst den Königsbauern. Da Kasparow jetzt auch noch diesen Zug in
seiner Vorbereitung in Erwägung ziehen muss, wird sie noch schwieriger
für ihn. 1...c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sc6 5.Le2 Dc7 6.Sc3
a6 7.0-0 b5 8.Sxc6 dxc6 9.Le3 Lb7 10.f4 c5 11.f5! Ein starker Zug, der
die Stellung öffnet. Td8 12.De1 Sf6 13.fxe6 fxe6 14.Lf4 e5
Fatal wäre 14...Ld6? 15.e5 Lxe5 16.Lxe5 Dxe5 17.Lxb5+ axb5
18.Dxe5 mit Damenverlust. 15.Lg5 Le7 16.a4! c4? Kramnik hielt bei
der Analyse 16...b4 für erforderlich. Allerdings wirkt danach 17.Lxf6
Lxf6 18.Sd5 Lxd5 19.exd5 Txd5 20.Lxa6 alles andere als angenehm für
Schwarz. 17.axb5 axb5 18.Kh1 Bloß nicht 18.Sxb5 Db6+
18...b4 19.Lxf6 Lxf6 20.Sd5! Lxd5 21.exd5 Dc5 22.Lh5+ Während
die Fritz-Version auf schnellem Laptop im Fernsehstudio 22.Ta6 mit der Idee
Tc6 empfiehlt - hernach wäre die Zugfolge 22...0-0 23.Tc6 Dxd5 ein schlimmer
Patzer wegen 24.Lxc4 und Damengewinn -, bevorzugt das handelsübliche
Fritzchen auf dem Heim-PC Kramniks Fortsetzung! 22...Ke7 23.Dg3 Droht
24.Txf6 Kxf6 25.Tf1+ Ke7 26.Dxg7+. 23...g6 [23...Thg8 erwog Leko bereits
während der Partie. "Ich wollte mich aber bei knapper Bedenkzeit nicht
auf eine langwierige und komplizierte Verteidigung einlassen", erklärte
der Ungar, warum er das folgende weiße Qualitätsopfer zuließ.
Er hoffte, dass Kramnik danach nicht mehr als ein Dauerschach hat. ]
24.Txf6! Kxf6 Führt zwangsläufig zum Matt oder großem
Materialgewinn. 25.Tf1+ Kg7 Oder [25...Ke7 26.Dxe5+ Kd7 27.Lg4#]
26.Lxg6!! Die prächtige Pointe, die den schwarzen Schutzschild
zertrümmert. 26...hxg6 27.Dxe5+ Kg8 28.De6+ Kh7 29.Tf7+ Kh6 30.Dh3+
Kg5 31.Dg3+ Kh5 32.De5+ Schwarz streckte die Waffen, da das Matt oder
großer Materialverlust unvermeidlich ist. 32.De5+ g5 (oder
32...Kh6 33.Tf4 g5 34.Df6+ Kh5 35.Df7+ Kh6 36.Tf6#) 33.Tg7 Dxd5 34.Txg5+
Kh4 35.Dg3#
1-0
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