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"Spinnerei" Chess960 findet Akzeptanz

Schmitt etabliert zweite Schach-Variante; Aronjan neuer Weltmeister

von FM Hartmut Metz, 2. September 2006

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   Bis vor vier Jahren haben verschiedene Schachvarianten ein Schattendasein im Vergleich zur „Hauptsparte“ geführt. In Klubs oder im Internet spielte man noch am ehesten Tandemschach. Das ist eine Art Doppel. Die Figuren, die der Partner dem Gegner abknüpft, darf man statt eines Zuges auf seinem Brett einsetzen. Minimale Bedeutung besaß Fischer-Random-Schach. Dafür plädierte Bobby Fischer vehement, weshalb das Spiel auch seinen Namen erhielt – obwohl er nicht Erfinder von „Zufallsschach“ ist. Den Namen „Random“ erhielt die Schachabart, weil die Stellung der Figuren auf beiden Grundreihen per Zufall ausgelost wird. Dadurch werden, so die Intention der amerikanischen Legende Fischer, ellenlang ausanalysierte und zu Hause vorbereitete Eröffnungen vermieden. Der bessere Spieler soll sich vom ersten Zug an beweisen.

   Die Idee kanalisierte Hans-Walter Schmitt. Der erfahrene Marketingfachmann verpasste Fischer-Random-Schach zunächst einen weit eingängigeren Namen: Chess960. Neben dem englischen Begriff für das königliche Spiel gibt die Zahl 960 die möglichen Startpositionen an, unter denen nach einigen verfeinerten Regeln ausgelost wird. So steht beispielsweise der König immer zwischen den Türmen, um die Rochade zu ermöglichen. Nach dieser sind König und Turm wie üblich auf g1 und f1 oder c1 und d1 positioniert.

   Schmitt organisiert bei seinem Turnier, den Chess Classic Mainz, seit 2002 regelmäßig Chess960-Turniere. Anfangs wurde der Organisator dafür der Spinnerei bezichtigt. In der Weltmeisterschaft entthronte heuer der Weltranglistendritte Lewon Aronjan die Nummer fünf, Peter Swidler. Der St. Petersburger zog mit 3:5 den Kürzeren. Nächster Herausforderer von Aronjan wird 2007 in Mainz Etienne Bacrot. Der Franzose spielt ebenso wie Swidler für den deutschen Meister OSC Baden-Baden. Die gestiegene Akzeptanz von Chess960 unter den Großmeistern bewies das exzellent besetzte Finet Chess960-Open. Erst in der letzten Partie rettete Bacrot gegen den Russen Alexander Grischuk ein Remis und damit Platz eins vor dem Aserbaidschaner Schachrijar Mamedjarow (je 9,5:1,5 Zähler).

 










Grischuk,Alexander (2719) - Bacrot,Etienne (2708)
Chess Classic Mainz, 5. FiNet Open Mainz (11), 18.08.2006

Die Partie beginnt aus der Stellung 322 heraus. Diese hat sogar Ähnlichkeit mit der Nummer 518, der Originalstellung. Die Hälfte der Figuren steht normal. Der Turm auf c1 (analog der schwarze Turm und alle weiteren erwähnten Figuren) schon aktiv, und der Läufer auf a1 kann mit b3 auch gleich als Fianchettoläufer aktiviert werden. Selbst der Springer auf h1 wird relativ mühelos nach g3 auf ein vernünftiges Feld entwickelt. Der Turm auf g1 kann dagegen mittels der Rochade auch alsbald in eine gängige Position überführt werden. 1.c4 c5 2.Sg3 Sg6 3.b3 e6 4.e3 b6 5.Ld3 f5 6.Sc3 Sc6 7.Lb1 Le7 8.0-0 0-0 9.f4 Tf7 10.Tf2 Lh4 11.a3 d5! Der aktive Zug schwächt zwar den Bauern f5, garantiert Schwarz jedoch starkes Gegenspiel. 12.cxd5 exd5 13.Dh5 d4 14.Lxf5!? [14.Sd1 Lxg3 15.hxg3 Dd7 verspricht Schwarz leichten Vorteil.] 14...dxc3 15.Lxc3 Sce7!? [15...Tcc7 rettet wegen 16.Le6 keinen Turm. Mit Turm und zwei Bauern für zwei Figuren verfügt Weiß über annähernd gleiche Chancen.] 16.Le6 Ld5 17.Lxf7+ Lxf7 18.Dg4 Lxg3 19.hxg3 Sc6 20.b4 cxb4 21.axb4 b5 22.Te1 Tc7 23.e4 Sd4 24.Te3? [24.Ta1 verspricht dem Anziehenden die besseren Chancen, sobald er die Zentrumsbauern aufrollen lassen kann.] 24...Sc2 25.Tef3 Se1 26.Te3 Sc2 27.Tee2 Grischuk musste gewinnen, um im Open noch Platz eins zu belegen. Deshalb vermied der Russe die Zugwiederholung. 27...Lc4 28.d3 Lxd3 29.Txc2 Lxc2 30.Txc2 Txc3! Die Pointe der Kombination. 31.De6+ Kf8 32.Df5+ Kg8 33.De6+ Kf8 [33...Kh8?? scheitert wegen der schwachen Grundreihe: 34.Txc3 Dd4+ 35.Kh2 Dxc3 36.De8+ Sf8 37.Dxf8# ] 34.Df5+ Kg8 Schwarz ist weiter zufrieden mit dem Remis. 35.Txc3! Angesichts der Turniersituation geht jedoch Grischuk aufs Ganze und verschmäht trotz der Minusfigur die Punkteteilung! 35...Dd4+ 36.Kh2 Dxc3 37.Dxb5 Dc7 38.f5 Sf8 [Das wünschenswerte 38...Se5 mit Blockade der Bauern scheitert am einzügigen 39.De8# ] 39.e5 Df7? [39...Sd7 40.e6 Sf6 kontrolliert die Bauern und sollte gewinnen.] 40.g4 h5 41.e6 Sxe6?! Macht's noch einmal spannend. [41...Dc7+ 42.Kg1 Dc1+ 43.Kf2 Df4+ 44.Kg1 De3+ führt schon zum Dauerschach, dem Weiß mit anderen Königszügen kaum ausweichen kann, will Grischuk nicht sogar verlieren.] 42.fxe6 Dxe6 43.gxh5 Dg4 44.g3 Kh7 45.Dc5 Kh6 46.De3+ Kxh5 47.Dxa7 Dxb4 48.Dxg7 Dd2+ 49.Kh3 Erlaubt Bacrot einen schönen Schlusszug nach einem gelungenen Turnier: 49...Dh2+ und nach dem Nehmen der Dame ist der schwarze König patt! 1/2-1/2

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