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Kleiner Trick sorgt für Paukenschlag

Titelverteidiger Kramnik gewinnt gleich erste Partie

von FM Hartmut Metz, 2. Oktober 2004

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Wladimir Kramnik

Weltmeister Wladimir Kramnik.

 

   Die Schach-WM hat vergangenen Samstag mit einem Paukenschlag begonnen. Hatte mancher Experte 14 Remis zwischen Titelverteidiger Wladimir Kramnik und Herausforderer Peter Leko befürchtet, verhinderte der Weltmeister sogleich den "Langweiler-Super-Gau" mit einem Sieg. Kramnik verwertete dabei in Brissago (Schweiz) den kleinen Vorteil von zwei Türmen gegen die Dame.

 

Peter Leko

Der Herausforderer: Peter Leko

 

   In einem Duell bei der sowjetischen Meisterschaft anno 1961 war bereits einmal zwischen Buchuti Gurgenidse und Juri Awerbach dasselbe Endspiel auf Topniveau mit jeweils f-, g- und h-Bauer sowie zwei Türmen gegen Dame aufs Brett gekommen. Konnte damals Gurgenidse das Endspiel relativ leicht gewinnen, bedurfte es bei der WM etwas Schützenhilfe von Leko, der einen Trick Kramniks übersah. Nach vier der 14 Begegnungen führt der Russe mit 2,5:1,5. Ein 7:7 genügt dem 28-Jährigen zur Titelverteidigung. Leko steht deshalb frühzeitig unter Zugzwang.

 

Wladimir Kramnik

  

Peter Leko

 










Leko,P (2741) - Kramnik,W (2770) [C42]
WM Brissago SUI (1), 25.09.2004

1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sxe5 d6 4.Sf3 Sxe4 5.d4 d5 6.Ld3 Sc6 7.0-0 Le7 8.c4 Sb4 9.Le2 0-0 10.Sc3 Lf5 11.a3 Sxc3 12.bxc3 Sc6 13.Te1 Te8 14.cxd5 Dxd5 15.Lf4 Tac8 16.h3 Der Zug stammt von Kramnik selbst, der ihn 2003 in Wijk aan Zee gegen Viswanathan Anand einführte. Gegen den Inder spielte Leko im Vorjahr in Linares erfolgreich 16.Ld3. In der dritten Partie zog Leko gegen Kramnik lieber gleich das ebenfalls bekannte 16.c4, was sieben Züge später zum Remis führte. 16...Le4 Anand spielte Lf6. Die neue Idee stammt von Viorel Bologan, der diese vor zwei Monaten in Dortmund ins Spiel brachte und remisierte. 17.Le3 Sa5 Alter Wein in neuen Schläuchen: Dies ist zwar eine theoretische Neuerung, aber die Fortsetzung liegt durchaus auf der Hand. Schwarz will den c-Bauern blockieren. [ Die Schnellschach-Tiebreak-Partie zwischen Leko und Bologan in Dortmund 2004 ergab leichten Vorteil für Weiß: 17...Tcd8 18.Sd2 Lg6 19.Lf3 Dd7 20.Da4 Se5 21.Dxd7 Sxf3+ 22.Sxf3 Txd7 23.Se5 Td5 24.Sxg6 fxg6 25.a4 Kf7 26.Teb1 ] 18.c4?! [ 18.Da4 b6 19.c4 Dd6 oder; 18.Sd2 Lf5 ( 18...Lxg2? 19.c4 Dc6 20.d5 Dg6 21.Lh5 Lf3+ 22.Lxg6 Lxd1 23.Lf5+- ) 19.Lf3 Dd7 sind sicher Fortsetzungen, die Kramnik in seiner Vorbereitung auf die WM ausarbeitete.] 18...Sxc4! 19.Lxc4 Dxc4 20.Sd2 Dd5 21.Sxe4 Dxe4 22.Lg5 Was jetzt? Die Dame ist unter Beschuss und der Läufer auf e7 geht verloren, sollte sie weichen. Der Weltmeister hatte natürlich eine Lösung ausgeknobelt. 22...Dxe1+! 23.Dxe1 Lxg5 24.Da5 Lf6 25.Dxa7 c5! 26.Dxb7 Lxd4 Schwarz befindet sich zwar rechnerisch in materiellem Nachteil, weil aber der c-Bauer gefährlicher als der a-Bauer ist, befindet sich die Stellung wohl im dynamischen Gleichgewicht. 27.Ta2 c4 28.Te2 Ted8 29.a4? Im Internet Chess Club plädierten stattdessen einige Könner für [ 29.Td2! Lf6 ( 29...c3?? 30.Txd4 Txd4 31.Dxc8+ ) 30.Txd8+ Txd8 31.Dc7 c3 32.a4 g6 33.a5 Td2 34.a6 c2 35.a7 Td1+ 36.Kh2 c1D 37.Dxc1 Txc1 38.a8D+ Kg7 mit Friedensschluss.] 29...c3 30.De4 Lb6 31.Dc2 g6 32.Db3 Td6 33.Tc2 [ Das pseudoaktive 33.Te7? verliert nun wegen 33...Tf6! 34.Te2 Txf2! 35.Txf2 Lxf2+ 36.Kxf2 c2 und Umwandlung des Bauern in eine Dame.] 33...La5 34.g4 Td2 35.Kg2 Tcd8 36.Txc3?! Weiß hofft, das Endspiel retten zu können. [ 36.g5!? Txc2 37.Dxc2 Td2 38.Db3 c2 39.Dc4 Kg7 40.Dc5 Lb4! 41.De5+ Kg8 42.De8+ Kg7 43.De5+ führt ins Remis.] 36...Lxc3 37.Dxc3 T2d5 38.Dc6 Ta5 39.Kg3 Tda8 40.h4 T5a6 41.Dc1 Ta5 42.Dh6 Txa4 43.h5 T4a5 44.Df4? Laut Kramnik der entscheidende Fehler. Leko entging der Trick im 45. Zug. Weiß muss auf g6 tauschen, um die Zahl der Bauern weiter zu reduzieren. Der Schutzschild um den schwarzen König wird so noch geringer und ermöglicht eher Dauerschachs. 44...g5 45.Df6 45...h6! Ein netter Trick! [ 45...T8a6 46.Dd8+ Kg7 47.Dd4+ Kf8 ( 47...Tf6? 48.h6+ Kg6 49.f4!! gxf4+ 50.Kh4 f3 51.Dd3+ Kxh6 52.Dd2+ Kg7 53.Dxa5 f2 54.Dg5+ Tg6 55.Db5 Tf6 56.Df1 Tf3 57.g5 Kg6 ist mit knapper Not für Schwarz remis, weil sich die Dame wegen des Freibauern auf f2 kaum rühren kann.; 47...f6? 48.Dd7+ Kh6 49.Df7 führt zum Matt.) 48.Dd8+ mit Dauerschach.] 46.f3 [ 46.Dxh6? T8a6 fängt die Dame.] 46...T5a6 47.Dc3 Ta4 48.Dc6 T8a6 49.De8+ Kg7 50.Db5 T4a5 51.Db4 Td5 52.Db3 Tad6 53.Dc4 Td3 54.Kf2 Ta3 55.Dc5 Ta2+ 56.Kg3 Tf6 Endlich hat Schwarz einen Turm nach f6 gebracht. Nun muss lediglich noch der zweite Turm auf den wunden Punkt f3 drücken, dann kann Leko aufgeben. 57.Db4 Taa6 58.Kg2 Tf4 59.Db2+ Taf6 60.De5 Txf3 61.Da1 Tf1 62.Dc3 T1f2+ 63.Kg3 [ 63.Kg1 T2f4 verliert auch noch den g-Bauern.] 63...T2f3+ 64.Dxf3 Txf3+ 65.Kxf3 Kf6 Das Bauernendspiel ist hoffnungslos. [ 65...Kf6 66.Ke4 Ke6 67.Kf3 ( 67.Kd4 f5 ) 67...Ke5 68.Ke3 f5 69.gxf5 Kxf5 70.Kf3 g4+ 71.Kg3 Kg5 ] 0-1

 

   1961 in Baku sicherte sich Buchuti Gurgenidse ausgerechnet gegen den Endspiel-Guru Juri Awerbach - Autor zahlreicher fundierter Endspielbücher - den ganzen Punkt dank der zwei Türme.

 










Gurgenidse,B - Awerbach,J [D40]
UdSSR-Meisterschaft 29 Baku (19), 15.12.1961

1.Sf3 d5 2.d4 Sf6 3.c4 e6 4.Sc3 c5 5.e3 Sc6 6.Le2 dxc4 7.Lxc4 cxd4 8.exd4 Le7 9.0-0 0-0 10.Lg5 b6 11.Dd2 Lb7 12.Tad1 Tc8 13.De2 Sb4 14.Se5 Sfd5 15.Ld2 Sxc3 16.bxc3 Sd5 17.Tc1 La3 18.Tc2 b5 19.Ld3 a6 20.De4 g6 21.Sg4 Te8 22.Df3 Lf8 23.a4 Lg7 24.axb5 axb5 25.Lxb5 Sxc3 26.Dxb7 Tb8 27.Dxb8 Dxb8 28.Lxe8 Se2+ 29.Kh1 h5 30.Ld7 Dd6 31.Sh6+ Lxh6 32.Lxh6 Sxd4 33.Td2 Dxd7 34.Tfd1 e5 35.Le3 Df5 36.Lxd4 exd4 Auch diese Partie verlief ziemlich ähnlich wie Leko - Kramnik: Die Damen-Partei besaß einen Mehrbauern, konnte den aber nicht verteidigen. Zunächst deckt die überlegene Turm-Seite daher den Schwachpunkt auf f2 und verbessert anschließend seine Stellung Zug um Zug. 37.Kg1 Kg7 38.Txd4 Db5 39.h4 De2 40.T1d2 De1+ 41.Kh2 De5+ 42.g3 De1 43.Kg2 Kh6 44.Td1 De2 45.Td7 Dc2 46.Kg1 Plant Te1 nebst Te7. Gleich ging dies nicht wegen des Damenschachs auf c6 und der Turm auf d7 ginge verloren. 46...f5 [ 46...Da4 47.T1d4 Da1+ 48.Kh2 Da2 49.Tf4 erzwingt den Bauernvorstoß nach f5 früher oder später. 49...f5 ] 47.Te1 Dc8 48.Tee7 Dank der Mattdrohung auf h7 ist die Dame künftig gebunden, was eine hübsche weiße Königswanderung zulässt. 48...Dh8 49.f4 Da1+ 50.Kh2 Db2+ 51.Kh3 Dh8 52.Tb7 Dg8 53.Tf7 Dh8 54.Kg2 Dg8 55.Kf2 Dh8 56.Ke2 De8+ 57.Kd2 Dd8+ 58.Kc2 Dc8+ 59.Tbc7 Dh8 60.Kd3 Dd8+ 61.Kc4 Dg8 62.Kc5 Dh8 Nun kann der König sich zwar nicht mehr weiter heranpirschen, ohne ständig von der Dame mit Schachs behelligt zu werden - doch dafür taucht nun eine Abwicklung ins gewonnene Bauernendspiel auf! 63.Th7+ Dxh7 64.Txh7+ Kxh7 65.Kd5 Kg7 66.Ke6 Da Schwarz den Verlust der Bauern nicht mehr verhindern kann, streckte Awerbach die Waffen. 1-0

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