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Kasparow will Kreml matt setzen

Götterdämmerung auf dem Brett soll große Politik folgen: Russland ein "rechtsfreier Dschungel"

von FM Hartmut Metz, 10. April 2004

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   Garri Kasparow hat bis auf eine kurze Unterbrechung seit 19 Jahren die Schach-Weltrangliste angeführt. Wie Kaninchen vor der Schlange saßen seine Kontrahenten am Brett. Der Russe musste nur noch die leichte Beute verschlingen. Doch plötzlich begehren die anderen Großmeister auf, anstatt vor sich hinzumümmeln. Götterdämmerung! Wladimir Kramnik, der vor drei Jahren Kasparow als Weltmeister entthronte, sprach das Unaussprechliche nach seinem Turniersieg im spanischen Linares aus: "Meiner Meinung nach ist Kasparow nicht mehr die Nummer eins!" Von den zwölf Partien hatte der 40-Jährige nur eine gewonnen und elf remisiert. Das reichte lediglich für Platz drei, noch hinter Peter Leko. Der Ungar sei, setzte Kramnik süffisant nach, für ihn ein schwerer Kontrahent als Kasparow. Gleiches gelte für den Baden-Ooser Weltranglistenzweiten Viswanathan Anand.

   Kasparow, den viele Organisatoren wegen seiner hohen Gagen wie seiner cholerischen Anfälle nicht mehr einladen, tritt seit Jahren mehr bei Show-Veranstaltungen als bei Turnieren auf. In Dresden signierte er während der Damen-Europameisterschaft den zweiten Band seiner Reihe "Meine großen Vorkämpfer" und gab die folgenden Tage zwei Simultans, eines davon in Berlin. Die Woche zuvor hatte Kasparow ein Schnellschach-Turnier in Reykjavik gewonnen, doch kein einziger Großmeister aus den Top Ten war auf Island vertreten. Im Finale verschenkte Nigel Short den Sieg in der ersten Partie und verlor noch. In der zweiten hatte der Engländer wenigstens die Genugtuung, eine Verluststellung mit drei Bauern weniger zu retten! Solch gewaltige Vorteile hatte Kasparow früher mit der Präzision einer Maschine verwertet. In Reykjavik stand das "Ungeheuer von Baku" dreimal auf Verlust. Sogar ein norwegischer Pimpf, der 13-jährige Magnus Carlsen, hatte ihn am Rande einer Niederlage und nahm ihm immerhin ein Remis ab. Sein Trainer Simen Adgestein - selbst Großmeister und einst Fußball-Nationalspieler - tönte hernach, in "zwei, drei Jahren" werde Carlsen den Weltranglistenersten vom Brett fegen.

   Weil Kasparow der schlechteste Verlierer im Schach-Zirkus ist, bereitet der 40-Jährige wohl seinen Abschied auf Raten vor. Am liebsten würde der gebürtige Aserbaidschaner den Kreml matt setzen und in die große Politik wechseln. Davon versteht er, glaubt der beste Schachspieler aller Zeiten nämlich, ähnlich viel wie vom Tanz der Figuren auf den schwarz-weißen Feldern. Obwohl bereits bei seinem Aufstieg 1985 zum Weltmeister vom KGB-Chef in Baku protegiert, gefällt sich Kasparow in der Rolle als Retter der Demokratie. Erst firmierte der Denkakrobat unter Gorbatschow als "Kind des Wandels", während Gegenspieler Anatoli Karpow als Apparatschick und Kommunist gegeißelt wurde. Als Gorbatschows Stern sank, gründete Kasparow 1990 die Demokratische Partei. Mangels Erfolg unterstützte er 1996 General Alexander Lebed in der Bewegung "Die dritte Kraft". Seit ein paar Wochen steht das Stehaufmännchen dem Komitee für "Freie Wahlen 2008" vor. Das hehre Ziel der liberalen Vereinigung um den ehemaligen Vize-Premierminister Boris Nemtsow besteht darin, für faire Präsidentschafts-Wahlen zu sorgen, die heuer unter Putin nicht möglich gewesen seien. Russland sei ein "Polizeistaat" mit Zensur, ein "rechtsfreier Dschungel" und das "Parlament ein Witz", befand Kasparow.

   Das mag durchaus zutreffen - nur war der erste Vorsitzende des Komitees, der eine Präsidentschaftskandidatur 2008 nicht ausschließt, zu keiner Zeit ein leuchtendes Beispiel für Demokratie und Recht. Der russische Journalist Lew Chariton wirft Kasparow "im Kleinen den gleichen Despotismus und Zensur-Tyrannei auf seiner Schach-Webseite" wie Putin vor. Für das Schach-Genie hört der Kampf gegen die Diktatoren dieser Welt dann auf, wenn's dem eigenen Geldbeutel nutzt: Einen Löwenanteil der 2,2 Millionen Dollar, mit denen Libyens Staatschef Muammar el Gaddafi die anstehende WM des Weltverbandes FIDE im Juni rettete, kassiert Kasparow gerne ab. Er ist nämlich fürs Finale gesetzt - während der offizielle FIDE-Weltmeister, Ruslan Ponomarjow (Ukraine), ausgebootet wurde. Das übernahm sein neuer "Freund" Kirsan Iljumschinow. Dem Präsidenten der FIDE und der Republik Kalmückien hatte Kasparow ein Jahrzehnt lang vorgeworfen, mit der Mafia verbandelt zu sein. Das war angeblich einer der Gründe, warum das "Ungeheuer von Baku" 1993 den Titel von der FIDE abspaltete und unter eigener Regie vermarktet hatte - bis er gegen Kramnik unterlag.

   In Linares verschwand der Weltranglistenerste zweimal aus dem Turniersaal. Dies ist streng verboten, um keine Computer-Unterstützung zu ermöglichen. Beim zweiten Mal wurde Kasparow beobachtet, wie er rund eine Viertelstunde auf seinem Hotelzimmer blieb. Als die Schiedsrichter nachforschten, gab der Russe vor, er habe wegen Lippen-Herpes eine spezielle Creme holen müssen. "Die hätte ihm auch seine Mutter oder sein Trainer Dochojan bringen können", gibt Ponomarjows Manager Silvio Danailov zu bedenken. Kasparow kam mit einer Verwarnung davon. Andere hätte man disqualifiziert.

 










W: Short S: Kasparow

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Le2 e6 7.f4 Le7 8.Le3 0-0 9.g4 b5 10.g5 Sfd7 11.a3 Lb7 12.Tg1 Sc5 13.f5 Kh8 14.Ld3 Sc6 15.Dh5 15...g6 16.Dh4 Te8 17.0-0-0 Sxd3+ 18.Txd3 Se5 19.fxe6?! Dieses Qualitätsopfer ist gefährlich für Schwarz. Aber noch besser ist das vom Schachprogramm Junior vorgeschlagene [ 19.Sxe6! fxe6 ( 19...Sxd3+? 20.cxd3 fxe6 21.fxg6+- führt zum undeckbaren Matt.) 20.Ld4! Fesselt den Springer und droht Th3. Schwarz kann Materialverlust nicht mehr abwenden. 20...exf5 ( 20...Dc7 21.fxg6 Ld8 22.Tf3 Dg7 23.Tf7 Dxg6 24.Txb7 ) 21.Lxe5+ dxe5 22.Txd8 Taxd8 23.exf5 gxf5 24.Dh3!? Lc5 25.g6! Te7 26.Te1 Ld4 27.Dxf5 und Weiß gewinnt.] 19...fxe6 20.Sxe6 Dd7 21.Sf4 Sxd3+ 22.cxd3 Kg8 23.Ld4! 23...d5 24.Sxg6? [ 24.Scxd5 Lxd5 25.Sxd5 sieht gewinnträchtig aus. Weiß hat zwei Zentrumsbauern für die Qualität und den mächtigen Springer auf d5.] 24...dxe4 [ Natürlich nicht 24...hxg6?? 25.Dh8+ Kf7 26.Dh7+ Ke6 27.Dxg6+ Lf6 28.Dxf6# matt.] 25.Sxe7+ Txe7 26.Lf6?! [ Weiß sollte akzeptieren, dass die Stellung nun ausgeglichen ist. 26.g6 Dxd4 27.gxh7+ Kh8! 28.Tg8+ Txg8 29.hxg8D+ Kxg8 30.Dxe7 De3+ 31.Kb1 Dxd3+ 32.Kc1 De3+ 33.Kb1 ] 26...exd3! [ Bloß nicht 26...Dxd3? 27.Td1! ( 27.Lxe7? De3+ ) 27...De3+ 28.Kb1 Tc7 29.g6 Dc5 30.Dg4! hxg6 31.Dxg6+ Kf8 32.Tf1 Dc4 33.Le7+ Kxe7 34.Dg7+ Kd6 35.Tf6+ Ke5 36.Dg5+ Kd4 37.Td6+ Ld5 38.Txd5+ Dxd5 39.Dxd5+ ] 27.g6? Danach übernimmt Schwarz endgültig die Regie. [ 27.Lxe7 Dxe7 28.Dg3 Td8 29.Td1 sollte remis sein.] 27...d2+ 28.Kc2 [ 28.Kb1? Te1+ 29.Txe1 dxe1D+ 30.Dxe1 Df5+ 31.Ka1 Dxf6 mit Mehrturm.] 28...Df5+! 29.Kxd2 Td7+! 30.Kc1 h5! Damit nimmt Kasparow dem weißen Angriff den Wind aus den Segeln. 31.Lg5 Lf3 32.Lh6 Te8 33.Db4 De6 34.Df4 Lg4 35.h3 Lf5 36.g7? Verliert sofort. Aber Schwarz hätte auch so gewonnen. 36...De1+! [ 36...De1+ 37.Txe1 Txe1+ 38.Sd1 Tdxd1# matt.] 0-1

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