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Der Tiger so gefährlich wie ein lahmer Esel

Im Duell der Weltmeister taut Anand erst im Tiebreak auf

von Hartmut Metz, 7. Juli 2001

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   Wer ist der wahre Schach-Weltmeister? Wladimir Kramnik betonte Tag für Tag gebetsmühlenartig, dass bei den Chess Classic Mainz kein Fingerzeig auf diese Frage zu erwarten sei - so als ob der Braingames-Champion seine unglückliche Niederlage ahnte. Der Moskauer sieht das Spiel auf den 64 Feldern mehr als Kunst und Wissenschaft denn als Sport. Daher bevorzugt Kramnik längere Bedenkzeiten mit zwei Stunden für 40 Züge. Damit hat Viswanathan Anand keine Probleme. Mit dieser Zeitkadenz eroberte er im Dezember den WM-Titel des Weltverbandes Fide. Aber „Speedy Gonzales" blüht erst richtig auf, wenn es schneller zugeht.

Chess Classic Mainz 2001: Wladimir Kramnik

Chess Classic Mainz 2001: Wladimir Kramnik

 

   So wie bei den Chess Classic, bei denen er in den vergangenen vier Jahren dreimal das schwarze Jackett des Siegers überstreifen durfte. Diesmal blieb jedoch Anand trotz seines 6,5:5,5-Sieges im „Wimbledon des Schnellschachs" den Beweis seiner Extraklasse schuldig. „Ich schaue derzeit besser nicht auf Kasparows Webseite", ulkte der Inder angesichts seiner unerklärlichen Schwächen bis zum 5:5. Im Internet versprüht der von Kramnik entthronte Weltmeister Garri Kasparow bevorzugt Hohn und Spott gegenüber lästiger Konkurrenz. Die Analysen des „Ungeheuers von Baku" - Kasparows aserbaidschanischer Geburtsort ist seit 1984 die Partnerstadt von Mainz - fallen diesmal aber zu Recht negativ aus.

   Erst als ganz sicher war, dass beide Weltmeister mit dem 5:5 ihr Gesicht gewahrt hatten, taute Anand in der Verlängerung auf. Der 31-Jährige spielte seine erste brillante Partie. Weil Kramnik danach auch im zweiten Blitzduell die Eröffnung missriet, konnte der Moskauer ein Dauerschach und das Remis zum 5,5:6,5 nicht verhindern. Eine bittere Pille für den 26-Jährigen, besaß er doch in mehreren Vergleichen sehr gute Gewinnchancen. Diese ließ der Braingames-Weltmeister bis auf eine Ausnahme ungenutzt. „Solch einen Unfall habe ich noch nie erlebt", haderte Kramnik vor allem mit der siebten Partie, in der selbst zwei Bauern mehr nicht zum vollen Punkt genügten.

Chess Classic Mainz 2001: Viswanathan Anand

Chess Classic Mainz 2001: Viswanathan Anand

 

   „Erst als ich die Peitsche bekam, begann ich zu galoppieren", sah sich Anand eher als lahmer Esel denn als reißender „Tiger von Madras" und klagte nach nur einem Sieg und acht Remis bis zum Tiebreak, „mein Kopf fing immer erst zu arbeiten an, wenn ich auf Verlust stand."

   Ist nun Anand der wahre Weltmeister? Eine eindeutige Antwort blieben die Protagonisten angesichts des wechselhaften Wettkampfs schuldig. Kramnik, der am 1. Juli die Schallmauer von 2 800 Elo-Punkten um zwei Zähler übertraf und nun Übervater Kasparow (2 838) bei den Ratingzahlen im Visier hat, und Anand glauben nicht an ein richtiges Vereinigungsmatch. Der Weltverband Fide zeigt sich unversöhnlich, und Braingames, der Sponsor des Kramnik-Titels, kocht lieber sein eigenes publicityträchtiges Süppchen.

   Das ist vielleicht auch besser so. In Mainz erklärte Kramnik die vielen Schnitzer mit dem „enormen Druck durch die Medien, die viel Prestige in das Duell hineininterpretieren. Wir waren beide sehr aufgeregt. Würden wir in der Küche allein gegeneinander spielen, wären wir sicher sehr viel besser." Die Millionen Fans im Internet akzeptieren aber auch diesen WM-Spielort - Hauptsache, aus Anands oder Kramniks Küche erfolgt eine Live-Übertragung der Züge ins weltweite Netz.

 










W: Anand S: Kramnik

 

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Db6 5.Sb3 Sf6 6.Sc3 e6 7.De2 Lb4 8.Ld2 0-0 9.a3 Le7 10.0-0-0 d6 11.g4 a6 12.g5 Sd7 13.h4 Dc7 14.f4 b5 15.Kb1 b4 16.axb4 Sxb4 17.f5 Tb8 18.Lf4 exf5?!
Meist ist es in solchen Stellungen nachteilig, Weiß das wichtige Feld d5 zu überlassen. Wahrscheinlich spielte Kramnik nicht sofort Se5, weil er sich vor dem weiteren Bauernvorstoß nach f6 fürchtete. 19.exf5 Se5 20.Lh3 Te8 21.g6! Weiß greift bedingungslos an und öffnet Linien gegen den König. 21...hxg6 22.Lxe5 dxe5 23.fxg6 fxg6 24.h5! Lf5? Danach verliert Schwarz rasch. g5 ist zwar auch nicht schön anzuschauen, aber Schwarz kann sich zäher verteidigen. 25.hxg6! Lxh3 Traurige Pflicht. Das geplante 25...Lxc2+ scheitert an 26.Dxc2! Sxc2 27.Le6+ Kf8 28.Th8# ; 25...Lxg6 taugt ebenso nichts wegen  26.Le6+ Lf7 27.Lxf7+ Kxf7 28.Dh5+ und der Angriff schlägt durch. 26.Dh5 Lg5 27.Se4 Lf4 28.Sbc5 Gegen 29.Dc4+ gibt es keine vernünftige Verteidigung mehr. Der indisponierte Kramnik streckte deshalb die Waffen. 1-0

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