Einen ungewohnten Höhenflug
in der Bundesliga erlebt derzeit der SK Passau. Im Vorjahr hielten die Bayern
nur die Klasse, weil Bochum sein Team zurückzog. Jetzt steht der
vermeintliche Abstiegskandidat mit 10:8 Punkten auf Rang sechs.
Unspektakulär agiert für gewöhnlich Philipp Schlosser am
Spitzenbrett der "grauen Maus". Emsig wie ein Eichhörnchen vor dem Winter
Nüsse sammelt, bringt der Leiter der Baden-Badener Karpow-Schachakademie
ein Remis nach dem anderen in die Scheuer.
Der nominell schwächste
Großmeister am ersten Bundesliga-Brett holte so bis dato sieben
Unentschieden und kassierte eine Niederlage. Beim 5,5:2,5-Erfolg über
Lübeck gelang Schlosser nun aber der Clou: Die deutsche Nummer 26 schlug
den Weltranglistenvierten Alexej Schirow. Der stärkste Akteur der Bundesliga
war - wie fast immer bei seinen Engagements im deutschen Oberhaus - bis dahin
ungeschlagen. Nachstehend kommentiert Großmeister Schlosser seine
Gewinnpartie:
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Schlosser - Schirow [A34]
Bundesliga 1999/2000
1.Sf3 Sf6 2.c4 c5 Schon die erste "Überraschung" - ich hatte
damit gerechnet, dass Schirow gegen einen schwächeren Spieler wie mich
Königsindisch spielen würde. 3.Sc3 d5 Die Rubinstein-Varainte
der Englischen Partie, ein System, das ich selbst auch mit Schwarz gerne
spiele. 4.cxd5 Sxd5 5.d4 Sxc3 6.bxc3 g6 7.e3 Lg7 8.Lb5+ Ld7 9.Ld3 0-0
10.0-0 Lc6 11.Tb1 Sd7 12.e4 e6 13.De2 Tc8 14.Le3 Da5 15.Sd2! Ein starker
Zug, der nicht nur dazu dient, die schwarze Dame von ihrer aktiven Position
zu vertreiben: Ohne den zwei Züge später folgenden schwarzen Fehler
hätte der Springer nach d6 gestrebt. 15...cxd4 [15...Dxc3 wird
mit 16.Sc4 gekontert; 15...Dxa2 16.Lc4 Da5 17.Ta1 Dxc3 18.d5 kostet eine
Figur.] 16.cxd4 Sb6?? Ein bei einem Spieler der Klasse Schirows
überraschend grober Fehler! 17.Sb3 Dh5 [17...Da3 18.Sc5! Tfd8
Scheinbar hat Weiß nach diesem natürlichen Zug Probleme, da der
Bauer auf d4 nicht so leicht zu decken ist. Tatsächlich war jedoch
(18...Ld7 mit Verlust des Bauern b7 die einzige Möglichkeit, den
Damenverlust zu vermeiden!) 19.Tb3 Da5 20.Ld2 Dxa2 21.Lb1 Da1 22.Lc3;
17...Dc3 18.Ld2] 18.Dxh5 gxh5 19.Sa5! Tfd8 20.Tb4! Erst in Kombination
mit den beiden letzten Zügen ist der weiße Vorteil nun klar.
20...Lf8 21.Sxc6 Txc6 22.Tb3 Tdc8 23.Tfb1?! Kein schlechter Zug, jedoch
war es hier oder in den nächsten Zügen vordringlich, mit h4 und
g3 den Bauern h5 festzulegen. 23...Tc3 24.Kf1 Le7 25.Ld2 T3c7 26.Ke2 Td7
27.Le3 h4 28.Kf3 Tdc7 29.Lb5 Genauer war es, sofort a4 zu spielen, da
der Läufer auf b5 nicht besonders steht. 29...Td8 30.a4 Sc8 31.Ld3
b6 32.Td1 Sd6 33.La6 Ein typisches Bild: Auf a6 kämpft der Läufer
gegen das schwarze Spiel auf der c-Linie. 33...f5 34.e5 Sf7 35.Ke2 Tc2+
36.Ke1 Sg5 37.Ld3 Ta2 38.f4 Se4 39.Lc4 Kf7 40.d5? [40.Txb6! Schwer zu
sagen, weshalb ich in Zeitnot so einen offensichtlichen Zug übersah,
zumal Weiß dabei nicht nur einen Bauern gewinnt, sondern auch einen
passiven gegen einen aktiven Turm abtauscht!] 40...exd5? [40...Tc8!
41.dxe6+ Kg6 ist nicht eindeutig gewonnen, wie Schirow und ich in der Analyse
nach der Partie feststellten.] 41.Txd5 Txd5 42.Lxd5+ Kg6? [42...Ke8]
43.Txb6+ axb6 44.Lxa2 Sc5 45.Ld5 Sxa4 46.Lc6 Sc5 47.Le8+ Kg7 48.Ke2 Se6
49.Ld7! Kf7 50.Kd3 Ld8 [50...Sc5+ 51.Lxc5 Lxc5 52.Lxf5 verliert trotz
der ungleichfarbigen Läufern.] 51.Kc4 Le7 52.Kd5 Sc7+ 53.Kc6 Se6
54.Kxb6 La3 55.Kc6 Ke7 56.Lc8 Kf7 57.La6 Das Läuferpaar ist in
Verbindung mit dem Mehrbauern zu stark.
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Schachlektüre
Sarah Hurst, "Chess on the Web", Batsford, rund 27,80 Mark
Inzwischen tummeln sich im Internet
mehrere tausend Schachseiten. Das englisch-sprachige Werk des Batsford-Verlags
erwähnt 120 und wertet ihre Eigenschaften aus. Dauerbrenner in Schachkreisen
wie die Kultstatus genießende Seite "The Week in Chess" zählen
zu den Favoriten. Auch wenn sehr gute deutsche Webseiten wie "GMSchach"
unerwähnt bleiben, ist das Werk für Schachspieler, die gerne im
Internet surfen, interessant. Interviews mit Webmastern und die Tipps von
John Saunders runden das 144 Seiten umfassende Buch ab.