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Schiffeversenken auf dem Schachbrett

Allwermann kaufte Satelliten-Equipment für rund 4.600 Mark

von FM Hartmut Metz, Juni 2004, erschien März 2000

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Der deutsche Großmeister zitterte während der ersten Runde beim 15. Schachfestival in Bad Wörishofen. "Hoffentlich verliert Clemens Allwermann heute und liegt immer mindestens einen halben Punkt hinter mir", bangte die Koryphäe und ulkte, "ansonsten kann ich nur noch hoffen, dass ihn die Polizei abführt, wenn er mir ein Matt in sieben Zügen ankündigt."

   Zu beidem wird es in dem Kneipp-Kurort nicht kommen, auch wenn die Staatsanwaltschaft Stuttgart nach einer anonymen Anzeige die Ermittlungen unter dem Aktenzeichen 104 Js 10542/99 aufgenommen hat. Allwermann hatte am Jahresende beim Turnier in Böblingen dem russischen Großmeister Sergej Kalinitschew im Rausch des erreichten ersten Platzes ein "Matt in acht Zügen" angekündigt - und damit nur die neugierig gewordene Szene auf seine Fährte gelockt. Beim Nachspielen der Partien des Kreisligaspielers, der plötzlich wie einer aus den Top 40 der Weltrangliste agierte, zeigte sich eine frappierende Übereinstimmung mit den Zugvorschlägen des Schachprogramms "Fritz 5.32". Die einzige Frage, die sich den Experten rund um den Globus noch stellte, blieb, wie der bis dato Unbekannte die gegnerischen Züge an einen Komplizen am Computer übermittelte und seine genialen ans Brett zurückbekam.

   Der 55-Jährige hatte seinen Erfolg unter anderem damit erklärt, dass er im "Fernschach dazulernte". In dieser Sparte schicken sich die Kontrahenten per Post oder Email ihre Züge zu und analysieren zusammen mit Programmen im heimischen Kämmerchen. In Allwermanns Ausflucht lag, wenn auch anders als gedacht, doch ein Körnchen Wahrheit: Der Frührentner benutzte bei seinem Coup den im Fernschach international üblichen vierstelligen Nummerncode zur Übermittlung der Züge. Ähnlich wie beim Schiffeversenken hat jedes Feld auf dem Brett eine Kennziffer. Das Feld "a1" links unten heißt so im Fernschach "11", das Feld "h8" rechts oben "88". Zieht zum Beispiel der Königsbauer von e2 nach e4 vor, lautet die Kennung "5254".

   Die jeweiligen Zahlen müssen am Brett per Tastatur ins Handsprechfunkgerät P93 eingegeben worden sein. Zwei davon kaufte der Berkheimer unweit seines Wohnortes bei der Albert Klein Funktechnik GmbH (Bad Grönenbach). Der patentierte Digitalruf wird üblicherweise mit ein, meist zwei Ziffern bedient; zur Überraschung von Firmeneigner Albert Klein benötigte Allwermann jedoch, wie er sich genau erinnert, "vierstellig wählbare Ziffern für seine Satellitenanlage". Da ihm auch eine Reichweite von "500 Metern" (der Funkradius beträgt rund 1,5 Kilometer) genügte, saß der Gehilfe wohl in einem Zimmer des Böblinger Novotels, wo das Turnier stattfand, las die vier eingetippten Fernschach-Zahlen vom zweiten Handsprechfunkgerät ab, gab sie in den Computer ein und sprach die Antwort von "Fritz 5.32" in das P93.

   Dass Allwermann unter seinen langen Haaren einen kleinen Ohrhörer versteckte, scheint ebenso sicher. Das übliche Aufsteckgerät lehnte der ehedem in der Unterhaltungselektronik-Branche tätige Pensionär "zielsicher" ab, auch ein empfohlener Ohrhörer war ihm zu groß. "Er hat einen bestellt, der genau ins Ohr passte", berichtet Klein. Weil der Spieler des SK Memmingen 1907 die nötige Funkfrequenz von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post in Konstanz zugeteilt bekam, roch der Firmenchef beim Verkauf keine Lunte. Presseberichte über die Affäre, die inzwischen selbst in Australien zirkulieren, machten ihn aber stutzig: "Ich dachte, der Gauner wird doch nicht ... Erst dann kam mir das nochmals mit den Ohrhörern." Inzwischen ist sich Klein "zu 98 Prozent sicher", dass sein Kunde sein Patent zum Betrug nutzte. Sein Tennispartner Wolfgang Kränzle - der selbst ein guter Schachspieler ist und als ehemaliger Heimertinger Bürgermeister Allwermann vom aufgelösten dortigen Verein her gut kennt -, habe ihm bestätigt, dass es "unmöglich sei, dass der einen Großmeister schlägt".

   Laut der Rechnung, die die Staatsanwaltschaft diese Woche erhält, muss der Kreisligaspieler nach den in Böblingen eingeheimsten 1.660 Mark in Bad Wörishofen mindestens Platz zwei belegen. Nur mit diesen weiteren 3.000 Mark Einnahmen würde sich die Investition von rund 4.600 Mark amortisieren. Doch bereits nach zwei Niederlagen in den ersten drei Runden war der Traum von einer neuerlichen Sensation geplatzt. Allwermann spielte unter den wachsamen Augen der Zuschauer, die sein Brett wie kein zweites umsäumten, wieder in "Normalform". Unter der Ägide von Schiedsrichter Christian Krause war er in Bad Wörishofen schon einmal mit einem Schwindel aufgeflogen. Das Angebot des Verdächtigen, ihn vor der ersten Partie auf Hilfsmittel zu untersuchen, lehnte Krause ab. Er hoffe aber, gab der Referee aus Forstern dem 55-Jährigen zu verstehen, dass er sich auch nach einem überraschenden Sieg so "kooperativ" zeige.

   Neben der Staatsanwaltschaft sitzen Allwermann auch die Schachverbände im Nacken. Kreisturnierleiter Peter Taschner setzte alle Begegnungen des SK Memmingen 1907 aus. Egon Ditt, Präsident des Deutschen Schachbundes (DSB), plädiert für eine mehrjährige Sperre, handele es sich bei "Allwermann doch um mehr als einen Ausreißer. Wir müssen ein Signal setzen, um unseren Turnierbetrieb nicht zu gefährden. Analog zum chemischen Doping in der Leichtathletik sollte das elektronische Doping bestraft werden". Die Leistungsexplosion des Berkheimers, die in etwa einer Steigerung der Hundertmeterzeit von 14,0 auf 10,0 Sekunden entspricht, erachtet Klaus-Norbert Münch als "Quantensprung, der schlimmer als Doping ist". Der mit der Untersuchung betraute Präsident des Bayerischen Schachbundes plädiert vor der Vorstandssitzung am 20. März für die drakonischste aller Maßnahmen: Ausschluss. Spätestens dann hätte sich Allwermanns Ankündigung des "Matts in acht Zügen" als Selbstmatt entpuppt.

Mehr Allwermann-Texte von Hartmut Metz:

Mit der Lizenz zum Schummeln
Januar 1999
  Der Fall Allwermann
Februar 2000

Die Partien von Böblinger Turnier zum online Nachspielen:

 










Allwermann,C - Konz,A [B01]
Böblingen (1), 26.12.1998

1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Da5 4.d4 c6 5.Sf3 Lg4 6.Lc4 e6 7.Ld2 Dc7 8.De2 Sf6 9.0-0-0 Sbd7 10.h3 Lxf3 11.Dxf3 Ld6 12.The1 0-0-0 13.g4 Sb6 14.Lb3 The8 15.g5 Sfd7 16.Dxf7 Te7 17.Dh5 g6 18.Dg4 e5 19.d5 Lc5 20.Le3 Lxe3+ 21.Txe3 cxd5 22.Lxd5 Tf8 23.Sb5 Dd8 24.Dg2 a6 25.Lxb7+ Kb8 26.Lxa6 e4 27.Dg3+ Ka8 28.Dd6 Txf2 29.Dc6+ Kb8 30.Db7# 1-0

 

 










Giacopelli,V (2145) - Allwermann,C [A46]
Böblingen (2), 26.12.1998

1.d4 Sf6 2.Sf3 e6 3.Lg5 c5 4.e3 h6 5.Lxf6 Dxf6 6.Sbd2 cxd4 7.exd4 Sc6 8.c3 d5 9.Ld3 Ld6 10.0-0 0-0 11.Te1 Ld7 12.Sf1 Tac8 13.Se3 a6 14.Sg4 Df4 15.h3 Lc7 16.g3 Dd6 17.Dd2 Se7 18.Sh4 Lb5 19.Lc2 h5 20.Se5 Le8 21.Dd3 g6 22.g4 f6 23.Sef3 hxg4 24.hxg4 Lf7 25.De3 g5 26.Sg2 Kg7 27.Kf1 Th8 28.Ke2 Db6 29.Kd2 Sg6 30.Lxg6 Lxg6 31.b3 Th3 32.De2 Tch8 33.Tg1 Le4 34.Sfe1 Lxg2 35.Sxg2 Th2 1/2-1/2

 

 










Allwermann,C - Czech,L (2160) [C18]
Böblingen (3), 27.12.1998

1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 c5 5.a3 Lxc3+ 6.bxc3 Dc7 7.Ld2 Sc6 8.Sf3 Sge7 9.Le2 h6 10.0-0 Ld7 11.Tb1 0-0-0 12.Dc1 c4 13.Lf4 g5 14.Le3 Tdf8 15.Dd2 Sg6 16.g3 f5 17.exf6 Txf6 18.Tb2 Sf4 19.Lxf4 gxf4 20.g4 Tg8 21.h3 Da5 22.Tfb1 Sd8 23.Kh1 Dxa3 24.Tb4 Da6 25.Se5 Dd6 26.Dc1 a6 27.Da3 Lc6 28.Lf3 Tg7 29.Da5 Dc7 30.Dc5 Lb5 31.Txb5 axb5 32.Dxb5 Sc6 33.Ta1 Sb8 34.Ta7 Tg8 35.Sxc4 Tf7 36.Txb7 dxc4 37.Txc7+ Txc7 38.d5 exd5 39.Lxd5 Td8 40.Le6+ Sd7 41.Lxc4 Te8 42.Da6+ Kd8 43.Ld3 Txc3 44.Dxh6 f3 45.Kh2 Kc7 46.Lb5 Te7 47.Df4+ Kc8 48.Db4 1-0

 

 










Bagaturov,G (2540) - Allwermann,C [D77]
Böblingen (4), 27.12.1998

1.d4 Sf6 2.Sf3 g6 3.g3 Lg7 4.Lg2 d5 5.c4 0-0 6.0-0 dxc4 7.Sa3 c3 8.bxc3 c5 9.e3 Sc6 10.Lb2 Dc7 11.De2 Td8 12.e4 Lg4 13.h3 Lxf3 14.Lxf3 Se8 15.e5 Dd7 16.Tad1 cxd4 17.cxd4 Dxh3 18.d5 Sb4 19.e6 f6 20.Td4 a5 21.Th4 Df5 22.Le4 Dg5 23.Kg2 f5 24.f4 Dxh4 25.gxh4 fxe4 26.f5 Sxd5 27.Lxg7 Sxg7 28.fxg6 hxg6 29.Dxe4 Ta6 30.Sc4 Txe6 31.Se5 Sf5 32.Kh2 Sde3 33.Tg1 Td4 34.Dxd4 Sxd4 35.Txg6+ Txg6 36.Sxg6 Sef5 37.Kh3 Kf7 38.Se5+ Ke6 39.Sc4 a4 40.Sb6 a3 41.Sc4 b5 0-1

 

 










Allwermann,C - Solomunovic,I (2340) [B60]
Böblingen (5), 28.12.1998

1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Db6 5.Sb3 Sc6 6.Sc3 Sf6 7.Ld3 Le7 8.0-0 d6 9.Kh1 a6 10.Lg5 Dc7 11.f4 Ld7 12.De2 h6 13.Lh4 g5 14.Lg3 gxf4 15.Txf4 Se5 16.Taf1 Sg8 17.T4f2 Th7 18.Lxe5 dxe5 19.Dg4 0-0-0 20.Txf7 Txf7 21.Txf7 Dd6 22.Dg7 Lg5 23.Sa5 b5 24.a4 Dc7 25.Sb3 Sf6 26.Txf6 Lxf6 27.Dxf6 bxa4 28.Lxa6+ Kb8 29.Sc5 1-0

 

 










Galdunts,S (2465) - Allwermann,C [B86]
Böblingen (6), 28.12.1998

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lc4 e6 7.a4 Sxe4 8.Sxe4 d5 9.Sd2 dxc4 10.Sxc4 Dc7 11.De2 Lb4+ 12.c3 Le7 13.a5 Sd7 14.Le3 Sf6 15.Sb6 Tb8 16.0-0 0-0 17.Tfe1 Td8 18.Df3 Ld6 19.Lg5 Lxh2+ 20.Kh1 Ld6 21.Lxf6 gxf6 22.Dxf6 Le7 23.Dh6 Lf8 24.Dh4 Le7 25.Dh6 Lf8 26.Dh4 Le7 27.Dh5 Df4 28.Sf3 Lf8 29.Ta4 Df6 30.Se5 Lg7 31.Tg4 h6 32.f4 Td6 33.Te3 Df5 34.Dh4 Td1+ 35.Kh2 h5 36.Tgg3 Db1 37.Txg7+ Kxg7 38.Dg5+ Kf8 39.Dh6+ Ke7 40.Dg5+ Kf8 41.Dh6+ Ke7 42.Dg5+ Kf8 1/2-1/2

 

 










Allwermann,C - Berezovsky,I (2375) [C77]
Böblingen (7), 29.12.1998

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.De2 a6 5.La4 d6 6.0-0 b5 7.Lb3 Sa5 8.d4 Sxb3 9.axb3 Lb7 10.d5 g6 11.c4 b4 12.Td1 Sd7 13.Lg5 f6 14.Le3 Sc5 15.Sbd2 a5 16.Ta2 Ta6 17.Se1 Da8 18.Tda1 Le7 19.Sc2 0-0 20.Lxc5 dxc5 21.Se3 Lc8 22.Df3 Ld7 23.Dg3 Ld6 24.Sf3 Kg7 25.h3 Db7 26.Sh4 Kf7 27.Sg4 Ke7 28.Sf3 Kf7 29.Dh4 Kg7 30.Dh6+ Kg8 31.Sxf6+ Txf6 32.Sg5 Le8 33.Dxh7+ Kf8 34.Dh8+ Ke7 35.Dg7+ Tf7 36.Sxf7 Lxf7 37.f4 Ke8 38.fxe5 Lf8 39.Dh7 Dc8 40.Txa5 Txa5 41.Txa5 Dd8 42.Ta6 Dg5 43.Tf6 Lxd5 44.exd5 De3+ 45.Tf2 Le7 46.Dxg6+ Kd7 47.Dc6+ Kc8 48.Da8+ Kd7 49.e6+ Kd6 50.Dc6+ Ke5 51.Dxc7+ Ld6 52.Dg7+ Ke4 53.e7 Kd3 54.Dg6+ Kd4 55.e8D Lh2+ 56.Kf1 Le5 57.Dxe5+ 1-0

 

 










Ikonnikov,V (2555) - Allwermann,C [D58]
Böblingen (8), 29.12.1998

1.d4 Sf6 2.Sf3 e6 3.c4 d5 4.Sc3 Le7 5.Lg5 h6 6.Lh4 0-0 7.e3 b6 8.Db3 Lb7 9.Lxf6 Lxf6 10.cxd5 exd5 11.Le2 Te8 12.0-0 c6 13.Tfe1 Sd7 14.a4 Tb8 15.a5 bxa5 16.Da4 Sb6 17.Dxa5 Lc8 18.Dc5 Le7 19.Da5 Ld6 20.Tec1 Tb7 21.Sd1 Tc7 22.b3 Le6 23.Sb2 Db8 24.Sd3 Sd7 25.Sc5 Lxc5 26.dxc5 Lg4 27.Sd4 Lxe2 28.Sxe2 Sf8 29.Sd4 Se6 30.Ta4 Sxd4 31.Txd4 Tb7 32.Da4 Tb5 33.g3 a5 34.e4 dxe4 35.Txe4 Dd8 36.Dc4 Txe4 37.Dxe4 Dd2 38.Tc4 Dd5 39.Dxd5 cxd5 40.Tc3 d4 41.Tc4 Txb3 42.c6 Tb8 43.Txd4 Tc8 1/2-1/2

 

 










Allwermann,C - Kalinitschew,S (2505) [B32]
Böblingen (9), 30.12.1999

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e5 5.Sb5 d6 6.c4 Le7 7.Le2 a6 8.S5c3 Sf6 9.0-0 Le6 10.Le3 0-0 11.Sa3 Sd7 12.Dd2 Sc5 13.Sc2 f5 14.exf5 Lxf5 15.Lf3 Kh8 16.Ld5 De8 17.Tad1 Dg6 18.Sa3 e4 19.f3 exf3 20.Lxf3 Se5 21.Sd5 Lh4 22.Sf4 Sxf3+ 23.Txf3 De8 24.Sd5 Se6 25.Tdf1 Dg6 26.b3 Tf7 27.Sc2 Sg5 28.Lxg5 Lxg5 29.Df2 Lxc2 30.Txf7 Lf6 31.Da7 Tg8 32.Dxb7 Le4 33.Sf4 Df5 34.Dd7 De5 35.Kh1 g5 36.Sh3 g4 37.Sf2 Lf5 38.Sxg4 Le4 39.T7xf6 Lxg2+ 40.Kxg2 De4+ 41.Kh3 1-0

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