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Der Fall Allwermann

Widersprüchliche Entscheidungen im Fall Clemens Allwermann

von Hartmut Metz, Februar 2000

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   Widersprüchliche Entscheidungen haben die Staatsanwaltschaft Stuttgart und der Bayerische Schachbund (BSB) im Fall Clemens Allwermann gefällt. Während die Schwaben die Ermittlungen mangels ausreichender Beweise gegen den 56-Jährigen einstellten, bestätigte der BSB-Rechtsausschuss in letzter Instanz die härteste Sanktion des Verbandes, einen Ausschluss. Allwermann hatte 1998 beim Turnier in Böblingen dem russischen Großmeister Sergej Kalinitschew im Rausch des erreichten ersten Platzes ein ,,Matt in acht Zügen" angekündigt - und damit nur die neugierig gewordene Szene auf seine Fährte gelockt. Beim Nachspielen der Partien des Kreisligaspielers, der plötzlich wie einer aus den Top 40 der Weltrangliste agierte, zeigte sich eine frappierende Übereinstimmung mit den Zugvorschlägen des Schachprogramms ,,Fritz 5.32". An der störten sich die Laien der Staatsanwaltschaft wenig. "Züge von sehr guten Spielern stimmen oft mit denen von Computern überein", erklärte Pressesprecherin Sabine Mayländer ungeachtet dessen, dass die Chancen des Mannes mit der Deutschen Wertungszahl von 1.925 gegen "sehr gute Spieler" (dafür eine bessere Rating von vielleicht 500 angesetzt) gegen Null tendieren. Überdies habe Allwermann der Einsatz von Hilfsmitteln nicht nachgewiesen werden können.

   In dieselbe Kerbe schlägt Klaus Ulrich Groth. Der Manager von Bundesligist Duisburg und Rechtsanwalt Allwermanns "betont", dass das Verfahren "mangels Tatverdacht" eingestellt wurde, weil "die Turnierleitung keine Beweisführung betrieben" hat. Dies beklagt auch die Kriminalpolizei. Als zweiten Grund für das abrupte wie "überraschende" Ende des Verfahrens sieht die ermittelnde Behörde außerdem die anonym eingegangene Anzeige. Folglich konnte die bis heute unbekannte Person nicht befragt werden, womit sie den Tatverdacht begründet.

    "Unsere Juristen haben die Entscheidung der Staatsanwaltschaft erwartet", gab sich Klaus-Norbert Münch keinen Illusionen hin. Der BSB-Präsident, der den Fall als "Quantensprung, der schlimmer als Doping ist", wertet, kann die Einstellung dennoch nicht verstehen. "Im juristischen Sinne soll kein Betrug vorliegen, weil es Allwermann bei Ausgaben von 4.600 Mark um die Selbstdarstellung ging, nicht um das Preisgeld", erläutert der Augsburger. Dies könne er aus "menschlicher Sicht" jedoch kaum nachvollziehen. "Wenn einer eine Tafel Schokolade klaut, wird er verknackt. 1.660 Mark Preisgeld interessiert hingegen niemanden."

   Den Ausschluss Allwermanns bestätigte der BSB-Rechtsausschuss hingegen aus seiner Sicht wegen eindeutiger Indizien: In einer Expertise hatte Rainer Knaak, Großmeister und Angestellter bei Fritz-Vertreiber Chessbase, keinen Zweifel an der frappierenden Übereinstimmung von Allwermanns Spiel mit dem Computer-Programm gelassen. Zudem schenkte man den Recherchen dieser Zeitschrift Glauben, dass die Übertragung der Züge mit dem Handsprechfunkgerät P93 sowie einem Mini-Ohrhörer erfolgte. Das Equipment hatte der Berkheimer unweit seines Wohnortes bei der Albert Klein Funktechnik GmbH (Bad Grönenbach) erworben. Der patentierte Digitalruf wird üblicherweise mit ein, meist zwei Ziffern bedient; zur Überraschung von Firmeneigner Albert Klein hatte Allwermann jedoch ,,vierstellig wählbare Ziffern" benötigt - um die Züge als vierstelligen Fernschach-Zahlencode eingeben zu können.

   Der in der letzten Runde von Allwermann bezwungene Sergej Kalinitschew hat das Böblinger Turnier mittlerweile abgehakt. "Ich habe nicht erwartet, dass sich noch etwas tut" oder er gar das entgangene Preisgeld in Höhe von 1.660 Mark erhielte.

   "Ich bin aber immer noch felsenfest von Allwermanns Betrug überzeugt", sagt der Lübecker Bundesligaspieler und ergänzt, "das nächste Turnier in Bad Wörishofen hat doch alles gezeigt." Im Kneipp-Kurort wurde Allwermann kritisch unter die Lupe genommen und landete - wie bei allen anderen internationalen Open außer Böblingen - weit abgeschlagen mit 4,5:4,5 Punkten im Mittelfeld. Obwohl potenzielle Computer-Betrüger durch die Ermittlungen im Fall Allwermann abgeschreckt wurden, erkennt Münch immer noch "riesigen Zündstoff" für seinen Sport. Dass die Staatsanwaltschaft klein beigibt, liege an mangelndem Interesse. Im Vergleich zur Zahnpasta-Affäre von Leichtathlet Dieter Baumann werde nicht ein ganzer Ermittlungsstab aufgeboten, weil der Schach-Skandal für die Staatsanwaltschaft "ein kleiner Fisch ist, der nur Zeit kostet". Vor ein ordentliches Gericht könnte der Fall trotzdem noch kommen, sofern Allwermann gegen den Ausschluss vorgeht. "Das wäre Erfolg versprechend", meint Groth. Ob dies sein Mandant versuchen will, weiß er nicht. "Ich habe seit Monaten nichts mehr von ihm gehört."

   Der weitere Marsch durch die Instanzen könnte jedoch die Bestrafung weiter verlängern. Durch die Anrufung des BSB-Rechtsausschusses kommt der ehemalige Memminger Kreisligaspieler laut Münch auf eine Ausschlusszeit von deutlich über einem Jahr. Maximal zwei Jahre hält Egon Ditt, Präsident des Deutschen Schachbundes (DSB), analog der Doping-Bestimmungen anderer Sportarten als Strafe für angemessen. Der "kleinen Minderheit" in der Vorstandschaft, die eine lebenslange Sperre fordert, widerspricht er damit. Für den ehemaligen Bremer Senator ist der Fall mit der Entscheidung aus dem BSB "ausgestanden". Wolle Allwermann in einen anderen Landesverband eintreten, sei das Sache zunächst des betreffenden Vereinsvorstandes, danach des zuständigen übergeordneten Verbandes. Landesfürst Hanno Dürr machte indes schon deutlich, dass er den in Württemberg wohnenden Allwermann nicht aufzunehmen gedenkt. Der Ausgeschlossene selbst wollte zunächst mit dem Autoren dieser Zeilen "nicht reden", denn die "Geschichte" sei "schön aufgebaut und aufgebauscht" worden.

   Allwermann sieht sich als Opfer einer Hexenjagd. "Ihren Hirngespinsten, muss ich schon sagen, haben Sie freien Lauf gelassen und andere auch. An der ganzen Geschichte ist nichts dran und war nichts dran. Alles andere haben Sie sich aus den Fingern gesogen", meint der 56-Jährige. "Nutznießer der ganzen Sache" sei lediglich der Autor, der dadurch sein "Geltungsbedürfnis in den Vordergrund gebracht" habe. "Mit Journalismus hat das nichts mehr zu tun. Das Unheil, das Sie anrichten, ist ihnen scheißegal, Hauptsache, Sie haben Ihren journalistischen Erfolg. Das hat man gesehen, das hat man gelesen", befindet Allwermann und ergänzt, "es gibt auch andere, die es wie ich sehen, die es objektiv sehen und nicht irgendwo ihr Gift verspritzen wollen." "Taschen-Deep-Blue als Doping fürs Gehirn" hieß die erste Überschrift zum Fall Allwermann.

   Will der Kreisligaspieler wieder ans Turnierbrett sitzen, ohne ein "Zivilgericht zu bemühen", bietet ihm sein Rechtsanwalt Groth eine Alternative an: "Ich nehme ihn einfach beim PSV Duisburg auf. Dann ist er sofort wieder spielberechtigt." Der umtriebige Manager des Bundesligisten hatte schon einmal für Aufsehen gesorgt, als er an Brett eins mit Kasparow-Bezwinger Deep Blue einen Computer gemeldet hatte ...


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