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Aus der Kriminalgeschichte: Morde, die die Welt bewegten

Mord in der Bibliothek, Teil 3

von FM Wolfgang Gerstner, August 2004

zu den Schachtexten

 

Die genannten Objekte befanden sich an einem kleinen, aber reich verzierten Tisch in der hinteren Ecke des Salons. Mit wenigen Schritten hatte Matthew diese erreicht und transportierte sie zu der Couchkombination.

"Vielen Dank, Mr. Blackwhite", sagte Queen und nahm Platz. Mate tat es ihm in gleicher Weise nach. Anschließend kehrte Matthew zu seinem Sessel zurück.

"Nach Aussage unseres Mediziners", begann King mit der Vernehmung, "ist der Tod von Sir James zwischen 14 Uhr und 14:30 Uhr eingetreten. Es ist ganz sicher, dass der Täter im Raum war und ihm das Gift in den Whiskey geschüttet hat."

"Er wurde vergiftet?" fragte Stuart eher rhetorisch.

"Ja, ein schnell wirkendes Gift", vermied King aus taktischen Gründen den Namen zu nennen, "welches durch den Geschmack des Whiskeys nahezu völlig überdeckt wurde. Eventuell hat Sir James einen Beigeschmack wahrgenommen, aber sicherlich nicht gemerkt, was diesen Beigeschmack verursacht hatte."

"Schrecklich", vernahm man Cybill, die mit leerem Blick auf den Tisch starrte.

"Ja, Miss Blackwhite, ein scheußliches Verbrechen", pflichtete King ihr bei. "Deshalb wäre es für uns natürlich wichtig zu wissen, ob Sie hier zwischen Lunch und dem Auffinden von Sir James durch John etwas Auffälliges bemerkt haben, insbesondere natürlich fremde Personen, die vielleicht auf dem Anwesen gesehen wurden."

"Gibt es hierfür schon Anhaltspunkte?" erkundigte sich Matthew.

"Nun ja", erläuterte King, "die vorläufigen Ergebnisse der Spurensicherung gleichen eher einem Puzzle, welches noch zusammengesetzt werden muss. Es wäre etwa denkbar, dass der Täter durch das Fenster in die Bibliothek eingestiegen ist."

"Durch das Fenster?" runzelte Stuart die Stirn. "Sie sprachen doch von einem Giftmord. Ganz gewiss hätte unser Vater doch Alarm geschlagen, wenn jemand dort eingedrungen wäre."

"Eventuell ein heimlicher Besucher", warf Queen eifrig ein, "der von Sir James schon erwartet wurde."

"Bitte?" war alles, was von Matthew zu hören war, aber seine Stimme machte mehr als deutlich, was er von dieser Theorie hielt.

"Am besten wäre es", übernahm wieder King die Gesprächsführung, "wenn jeder von Ihnen einmal kurz schildern würde, wie sie oder er die Zeit nach dem Lunch verbracht hat und ob Ihnen dabei - wie schon gesagt - irgendetwas Seltsames aufgefallen ist."

Als Erster äußerte sich nach kurzem Nachdenken Stuart: "Ich kann mit Sicherheit die wenigsten Hinweise geben, Mr. King. Nach dem Lunch ging ich auf mein Zimmer im ersten Stock und hielt einen Mittagsschlaf. Dieser verlief absolut ungestört, und gegen 14:45 Uhr kam ich dann hier in den Salon, wo ich Matthew antraf. Wir unterhielten uns eine Weile, bis John den Tod unseres Vaters meldete."

"So war es", pflichtete sein Bruder bei, "auch ich hörte die ganze Zeit über nichts Verdächtiges, während ich hier im Salon die Tageszeitungen studierte." Mit einer lässigen Bewegung deutete er auf einen Schrank, auf welchem fein gefaltet verschiedene Zeitungen lagen.

"Sie sind vom Speisesaal direkt hierher gegangen?" erkundigte sich King.

"Allerdings", bejahte Matthew, "kurz darauf tauchte noch einmal John auf, um sich nach eventuellen Wünschen zu erkundigen, aber nachdem ich keine anmeldete, verbrachte ich die ganze Zeit hier allein, bis eben Stuart erschien."

"Irgendwelche auffälligen Geräusche aus Richtung der Bibliothek", hakte King nach, "speziell zwischen 14 Uhr und 14:30 Uhr?"

"Nein", schüttelte Matthew den Kopf, "aber da hätte in der Bibliothek schon einiges los sein müssen, damit man hier etwas durch zwei dicke Eichentüren hindurch gehört hätte."

"Verstehe", nickte King, während er sich einige Notizen machte, und sah dann zu Patricia hinüber.

"Nach dem Lunch", kam diese der unausgesprochenen Aufforderung nach, "holte ich aus meinem Zimmer einige berufliche Unterlagen und zog mich mit diesen in das Arbeitszimmer zurück."

"Dieses liegt wo?" unterbrach sie King.

"Gerade auf der anderen Seite der Bibliothek", erklärte Patricia. "Sie haben in der Bibliothek drei Türen gesehen. Die mittlere, die dem Fenster gegenüber liegt, führt zum Speisesaal, die rechte hierher in den Salon und die linke hinüber ins Arbeitszimmer."

"Ah ja", war King für den Lageplan dankbar, "jetzt kann ich mir das Ganze schon besser vorstellen."

"Dort arbeitete ich eine ganze Weile", fuhr Patricia fort, "bis etwa kurz vor drei Uhr. Im Hinblick auf das Ende der Mittagsruhe brachte ich meine Sachen wieder auf mein Zimmer und genoss dann auf der Terrasse noch ein wenig die Sonne."

"Und John schaute auch bei Ihnen kurz herein?" erkundigte sich King.

"Als ich auf mein Zimmer ging, erkundigte er sich nach meinen Wünschen", schilderte Patricia, "und ich bat ihn um eine Flasche Mineralwasser. Kurz nachdem ich meine Arbeit aufgenommen hatte, brachte er mir diese samt Glas."

"Haben Sie etwas Eigentümliches gesehen oder gehört?" wurde King seine Standardfrage los.

"Nein, nichts",

"Dann fehlen noch Sie", schwenkte King gekonnt zu Cybill über.

"Nun, ich machte meinen üblichen Spaziergang", erstattete diese Bericht. "Dazu zog ich auf meinem Zimmer meine festen Schuhe an und verließ dann das Haus. Ich schlenderte wohl bis kurz vor drei durch die Gegend."

"Ist das Gut weitläufig?" forschte King.

"Einigermaßen", äußerte sich Cybill etwas vage, "nach Norden hin gibt es ein kleines Wäldchen, nach Osten hin eine größere Grasfläche mit allen möglichen Sträuchern und Gräsern."

"Und welchen Weg wählten Sie heute?" fragte King geduldig.

"Ich bin im Wald spazieren gegangen", erinnerte sich Cybill, "dort fließt ein kleiner Bach durch, in dessen Nähe einige seltenere Singvögel leben. Ich genieße dort immer das wunderbare Gezwitscher und kann mich bestens entspannen."

"Das kann ich mir gut vorstellen", stimmte King nicht ohne eine gewisse Spur von Neid zu. "Ich entnehme Ihren Worten auch, dass Sie in der Tat ungestört waren."

"Bis auf ein aufgescheuchtes Reh", lächelte Cybill zaghaft, "aber Menschen bin ich nicht begegnet, weder im Wald noch in der Nähe des Hauses."

"Sie kamen nicht zufälligerweise auf der Seite der Bibliothek vorbei?" hoffte King mehr, als dass er es glaubte.

"Nein", entsprach Cybill seinen Befürchtungen, "der Weg geht erst einmal eine Weile nach Osten, ehe er nordswärts abbiegt."

"Damit ergibt sich also", fasste der Chief Inspector zusammen, während er seine Aufzeichnungen konsultierte, "dass Sie alle zwischen etwa 13:45 Uhr und 14:45 Uhr jeweils alleine waren und weder eine verdächtige Person gesehen noch irgendwelche eigentümliche Geräusche gehört haben." Er warf einen fragenden Blick durch die Runde, welcher unkommentiert blieb. "Dann versuchen wir einmal zu ergründen, was in der Bibliothek vorgefallen ist." Die Anspannung nahm sofort merklich zu. "Welchen Tätigkeiten ging denn Ihr Vater in der Mittagspause normalerweise nach?"

"In der Regel katalogisierte er die Bücher", antwortete Stuart, "denn er hatte schon seit Jahren den Überblick verloren. Seit etwa einem halben Jahr zog er nun Buch um Buch heraus und trug Autor, Titel, Erscheinungsjahr, Auflage und andere Details in einen Ordner ein."

"Der schon jetzt ziemlich umfangreich ist", übernahm Patricia, "denn wie Sie sich überzeugen konnten, ist die Büchersammlung hier recht umfangreich. Trotzdem wird er bislang kaum die Hälfte geschafft haben."

"Er wollte dabei auch nicht gestört werden", fügte Matthew hinzu, "nur bei besonders dringlichen Angelegenheiten oder in speziellen Ausnahmefällen."

"Weshalb John auch immer pünktlich um drei ins Zimmer trat", vollendete Stuart.

"Er beschäftigte sich dann nicht mit Schach?" platzte Mate heraus.

"Nur sehr selten", zeigte sich Matthew überrascht, "mitunter analysierte er kurz ein Problem, aber normalerweise verschob er das in die Abendstunden."

"Und Partien spielte er über Mittag gar nicht?" vermutete King.

"Das lehnte er kategorisch ab", bestätigte Stuart, "aber weshalb fragen Sie das?"

"Er wurde in dem Sessel neben dem Schachbrett gefunden", erläuterte King sachlich, "und die Spurensicherung ist sich weitgehend sicher, dass er dort eine ganze Weile gesessen hatte."

"Dann hat er offenbar Rooks Aufgabe zu lösen versucht", schlussfolgerte Matthew.

"Wo wir doch erst gestern Abend eine ganze Weile vor dieser vertrackten Stellung saßen", wunderte sich Cybill, "und doch trotz längerer Analyse keinen schnellen Gewinn entdecken konnten."

"Patricia hatte eine neue Idee", berichtete Stuart, "die auf den ersten Blick recht vielversprechend war."

"Leider konnten wir dann aber eine Verteidigung entdecken", gestand Patricia, "die mir entgangen war."

"Immerhin war sie so gut", ergänzte Matthew, "dass wir mit den Figuren ziehen durften." Er grinste schief, während King irritiert und Mate verständnisvoll drein blickten. "Sie müssen wissen, dass Rook vor fünf Wochen eine schwierigere Position mitbrachte, weil die Aufgaben davor etwas zu einfach waren."

"Was bedeutet, dass wir nur zwei Wochen für die Lösung benötigten", warf Patricia mit leichter Selbstironie ein.

"Dieses Mal jedoch", fuhr Matthew fort, "hatte er das Endspiel einer ungarischen Meisterschaft aus den 50er Jahren in petto, und selbst nach fünf Wochen sind wir noch nicht richtig weiter gekommen."

"Und weil jeder einige spontane Ideen hatte", mutmaßte Mate, "die letzten Endes ins Leere liefen, aber von einem ständigen Hineinfingern begleitet waren, wurde es Sir James irgendwann zu bunt und er stoppte diese Methode."

"Ganz genau", zollte Stuart unverhohlen Anerkennung, was bei Constabler Queen eine leichte Röte verursachte, "unser Vater bestand darauf, dass wir ihm erst die Idee und einige Züge nennen mussten, ehe wir mit der Analyse am Brett beginnen durften."

"Mit Sicherheit die produktivste Methode", konnte sich Mate nicht zurückhalten, während ihn ein drohender Blick des Chief Inspectors traf.

"Leider ebenfalls ohne Erfolg", konstatierte Stuart, "selbst als gestern Abend die Figuren frei gegeben waren und alle ihre neuesten Versuche präsentierten."

"Es war dies das erste Mal seit dem Verbot, dass die Figuren bewegt wurden?" kam King eine plötzliche Eingebung.

"Nein, nein, das nicht", pulverisierte Cybill selbige sofort, "denn vor drei Wochen bei 'Commonwealth in Not' wurde das Elfenbeinbrett in seiner vollen Pracht aufgebaut, und erst letzte Woche gestattete uns Vater das Spielen einer normalen Partie, als es draußen in Strömen goss und wir eine Ablenkung benötigten."

"Hm", grummelte King in sich hinein, "nun gut, kehren wir zu unserem Fall zurück." Er machte eine kurze Pause und überflog noch einmal die Aussagen von John. "Können Sie sich ein Motiv vorstellen, das der Täter gehabt haben könnte?"

Es kehrte Ruhe ein, während die vier Geschwister über diese naheliegende Frage nachdachten. King trieb sie auch keineswegs zur Eile an, sondern studierte sorgfältig ihre Gesichter. Bei Queen und Mate war die Spannung jedoch unverkennbar gestiegen.

"Mir fällt keines ein", äußerte sich schließlich Stuart, "unser Vater war zwar recht direkt und mitunter grantig, aber das ist der typische Menschenschlag hier. Hitzigen Wortgefechten mit Nachbarn folgten Whiskeyabende, aber jeder respektierte ihn auch."

"Keine Feinde?" hakte King nach.

"Den einen oder anderen Gegner vielleicht", meinte Matthew, "etwa einen Anwalt, dem er die Leviten las, oder einen Reporter, den er des Hauses verwies, aber gewiss keine Feinde, die ihm nach dem Leben trachteten."

"Nein, wirklich nicht", bestätigte auch Patricia, "man musste ihn zu nehmen wissen, aber im Grunde war Vater gutherzig."

"Wer ist denn erbberechtigt?" wies King auf ein anderes Motiv hin. "Sie verstehen, eine Pflichtfrage."

"Vermutlich erben wir alle zu gleichen Teilen", sagte Matthew, "zumindest hatte dies Vater vor drei Jahren nach dem Tod unserer Mutter uns mitgeteilt. Er hatte damals das Testament geändert, und meines Wissens nach ist dies auch der jetzige Stand." Er schaute seine Geschwister kurz fragend an, aber alle nickten leicht. "Anne und John erhalten natürlich eine vermutlich großzügige Abfindung."

"Gibt es weitere Verwandte?" versuchte King eine Eingrenzung vorzunehmen.

"Einen Bruder", antwortete Patricia, "aber George ist mit Sicherheit vermögender als Vater. Vielleicht erhält er eine eher symbolisch gemeinte Summe oder einige Kunstwerke aus dem Haus."

"Erinnern Sie sich an einen Streit während des Wohltätigkeitsfestes?" bereitete King langsam seinen Schlag vor.

"Ein Streit?" wiederholte Cybill verblüfft. "Während 'Commonwealth in Not'? Das kann ich mir kaum vorstellen, da war hier vor allem der Adel mit einigen honorigen Gästen vertreten."

"Mir ist auch nichts aufgefallen", zuckte Stuart die Schultern, "Vater war jovial und gut gelaunt wie immer bei diesem Ereignis."

"Hätte er sich denn einen Streit anmerken lassen?" drängte King weiter.

"Wohl nicht", gab Matthew zu, "aber weshalb betonen Sie diesen Punkt so?"

"Weil John an jenem Tag gehört hat", ließ King die Bombe platzen, "wie Sir James jemandem mit der Enterbung drohte."

Es trat Totenstille ein, in welcher sich diese Worte erst einmal setzen mussten. Die Bandbreite der Gefühle in den Gesichtern der Anwesenden bewegte sich zwischen ungläubigem Staunen und Schock.

"Und wem drohte Vater?" durchbrach schließlich Cybills tonlose Stimme die Stille.

"Das wissen wir leider nicht", gestand King nach kurzem Zögern, "denn Ihr Butler war so diskret, sich nicht weiter um diese Sache zu kümmern. Er konnte nicht erkennen, mit wem sich Sir James unterhielt."

"Sie wollen damit andeuten, dass es einer von uns war", nahm Stuart den Chief Inspector scharf ins Visier.

"Ich deute ein mögliches Motiv an", korrigierte King unbeeindruckt, "das keinesfalls das einzige sein muss. Deshalb habe ich mich zunächst nach weiteren Motiven erkundigt; und selbst ein Motiv allein reicht noch nicht aus, um daraus auch den Täter ableiten zu können."

Mit einem Seitenblick erhaschte er Mate, der sich mit seinem Mobiltelefon in eine Ecke zurückgezogen hatte und aufgeregt hinein sprach. King, der ihm am nächsten saß, vernahm nur ein paar Wortfetzen: "Nein, Harry ... muss geändert werden ... vergiss die Verschwörung ... 'Rache des Enterbten' ... Artikel folgt ..."

"Aber zumindest sind wir stark verdächtig", bemerkte Patricia nüchtern, "oder irre ich mich da."

"Bislang weisen Sie hier das einzige Motiv auf", räumte King ein. Er vermied bewusst die Frage, ob einer vom anderen wisse, dass sie oder er einen Streit mit Sir James gehabt hatte.

"Das mag so aussehen", erhob plötzlich Stuart kämpferisch die Stimme, "aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand von uns diese Tat begangen hat." Nachdrückliches Kopfnicken bei den übrigen Dreien. "Vielleicht sollten Sie noch anderen Hinweisen nachgehen."

"Zum Beispiel?" ging King bereitwillig auf ihn ein.

"Die Tatwaffe etwa", schlug Stuart vor. "Sie sprachen vorhin von Gift, das sich im Whiskey befand."

"So ist es", pflichtete King interessiert bei.

"Haben Sie eine Erklärung, wie es dort hineingekommen ist?" traf Stuart einen wunden Punkt.

"Das ist in der Tat schwer zu sagen", gestand King, "denn vermutlich hat Sir James die Bibliothek nicht verlassen."

"Und sowohl am Glas als auch an der Flasche", fügte Queen dienstbeflissen hinzu, "wurden nur die Fingerabdrücke von Sir James gefunden. Er hat sich den Whiskey offenbar selbst eingegossen."

"Nur seine Fingerabdrücke waren an der Flasche?" wunderte sich King, der diese Information noch nicht bekommen hatte.

"Die Flasche war noch fast voll", meinte Queen beinahe entschuldigend.

"Die alte wurde am vergangenen Wochenende geleert", berichtete Cybill, "als wir während des Unwetters unsere Zeit nur mit Lesen, Schach spielen und einem guten Whiskey vertreiben konnten."

"Wie viele Partien wurden denn gespielt?" schaltete sich Mate ausnahmsweise wieder ein.

"Vielleicht drei oder vier", gab Matthew sichtlich unwillig Auskunft, "Cybill spielte nur eine kurze Partie und wandte sich dann ihrer Lektüre zu, während Vater, Stuart und ich uns beim Spielen abwechselten."

"Ein Glück war ich an diesem Wochenende bei einem Seminar", warf Patricia ein, "vermutlich hätte ich mich zu Tode gelangweilt."

"War halb so schlimm", bemerkte ihre Schwester, "nach knapp zwei Stunden hatte sich der Regen wieder verzogen, danach konnte man noch einiges unternehmen."

"Ich frage mich immer noch", kehrte der Chief Inspector zu der vorherigen Frage zurück, "wie das Gift unbemerkt in den Whiskey gelangen konnte. Sie müssen meine Frage verzeihen, wenn sie auf Sie verletzend wirkt: Kommt für Sie ein Selbstmord in Betracht?"

"Selbstmord?" riss Stuart entgeistert die Augen auf. "Mit Gift? Niemals!"

"Es gab keinen Grund dafür", stimmte Patricia bei, "Vater war von einigen Altersbeschwerden abgesehen sehr rüstig für sein Alter, weder unglücklich noch depressiv."

"Und wenn", fügte Matthew bitter hinzu, "dann hätte er standesgemäß die Pistole gewählt."

"Deutet denn etwas auf Selbstmord hin?" erkundigte sich Cybill ungläubig.

"Eigentlich nicht", räumte King ein, "aber wir müssen natürlich alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, so unwahrscheinlich sie auch aussehen mögen."

"Aber hier sind Sie nahezu sicher auf dem Holzweg", bekräftigte Matthew.

"Noch eine Frage", wechselte King ein weiteres Mal das Thema, nachdem er kurz in seinem Notizbuch geblättert hatte, "enthält die Büchersammlung von Sir James einige besonders wertvolle Bände?"

"Ganz sicher", antwortete Matthew ohne nachzudenken, "wir haben hier einige Erstausgaben und auch das eine oder andere Unikat. Fehlen etwa einige Bücher?"

"Nicht dass wir das hätten feststellen können", sagte King mehr beiläufig, "aber wir haben Stevensons 'Schatzinsel' gefunden. Ziemlich alt. Ist irgendetwas Besonderes an diesem Buch?"

"Stevensons 'Schatzinsel'?" dehnte Cybill überrascht. "Das hat von uns bestimmt seit Jahren niemand mehr gelesen."

"Ist auch keine besonders wertvolle Ausgabe", warf Matthew ein, "jedenfalls keine Rarität. Weshalb ..."

"Jetzt hab ich's!" wurde dieser unsanft von Mate unterbrochen, der plötzlich wie elektrisiert wirkte. Alle Augen richteten sich auf den Reporter.

"Sie kennen den Täter?" wunderte sich Queen.

"Nein, nein", wehrte Mate immer noch erregt ab, "aber ich kenne die Lösung des Schachproblems!"

"Raus hier!" konnte sich der aufspringende King nicht mehr beherrschen, während die übrigen Anwesenden teils verwirrt, teils verärgert die Szene beobachteten.

"Aber Chief Inspector", wandte Mate ein, "das ist wirklich raffiniert. Stellen Sie sich vor ..."

"Raus hier, Mate!" fauchte der Chief Inspector mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen, während er Mate am Arm nahm.

"Hören Sie, Chief Inspector, ...", versuchte es Mate noch einmal.

"Kein Wort mehr von Ihnen!" befahl der aufgebrachte Chief Inspector. "Wir hatten eine klare Abmachung, das reicht jetzt."

Er riss die Eichentür auf und schob den Reporter in den Flur hinaus. Queen konnte sich trotz des Ernstes der Lage ein Grinsen nicht verkneifen. Während die Eichentür langsam zurückschwang, drangen noch unterdrückte Laute aus dem Flur ins Zimmer. Plötzlich verstummte Kings Stimme. Kurze Zeit war gar nichts zu vernehmen, dann hörte man die beiden zurückkommen. Zum großen Erstaunen der Anwesenden begaben sie sich jedoch in die Bibliothek, wobei man gerade noch Kings Worte hörte: "So, Mate, und jetzt zeigen Sie mir mal die ganze Lösung ..."

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