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Aus der Kriminalgeschichte: Morde, die die Welt bewegten

Mord in der Bibliothek, Teil 1

von FM Wolfgang Gerstner, August 2004

zu den Schachtexten

 

   Chief Inspector King klang sehr entschieden: "Nein! Definitiv nicht ich!"

"Hören Sie, Chief Inspector", drang eine sonore Stimme durch den Hörer, "mir ist bewusst, dass Sie auf dieses Thema seit einiger Zeit gereizt reagieren, aber Sie gerade sind der einzige verfügbare Mann im Yard!"

"Nein, Chef! Niemals!" beharrte King energisch.

"Es ist dieses Mal völlig anders", versuchte dieser ihn zu beruhigen. "Nur ein kleiner, harmloser Mord in einer völlig normalen, intakten Familie. Keine Verrückten, keine seltsamen Angestellten, keine Sonderlinge oder spezielle Verhaltensregeln."

"Von wegen der einzige", brummte King missmutig, wohl wissend, dass ein einfacher Befehl das Telefonat sofort beenden konnte. "Als Constabler Queen den Yard informierte und das Schachbrett erwähnte, haben Sie mich doch ganz gewiss sofort angerufen, ohne sich erst um die Dienstpläne zu kümmern."

"Sie sind alles ganz normale Leute", betonte der Chef noch einmal, "das kann ich Ihnen versichern. Erst vor 3 Wochen hatte Sir James die Wohltätigkeitsveranstaltung 'Commonwealth in Not' auf seiner weitläufigen Schlossanlage organisiert, bei welcher ich wieder einmal seiner Familie begegnete. Keine Verrückten, weder der leider verblichene Sir James noch eines seiner Kinder."

"Und weshalb dann das Schachbrett?" entgegnete King immer noch gereizt.

"Nun, in manchen Familien wird Schach zur Entspannung gespielt", beschwichtigte sein Chef, "selbst mein Enkel und ich greifen hin und wieder zu den Figuren; und Sie rechnen uns doch nicht etwa zu Sonderlingen, oder?"

Chief Inspector King wollte erst wahrheitsgemäß antworten, hielt dann aber inne und resignierte: "Okay, Chef, wenn es denn sein muss, fahre ich eben nach Blackwhite Castle und untersuche den Fall."

"Hervorragend!" King vermeinte zu vernehmen, wie auf der anderen Seite der Leitung eine Faust triumphierend einen Tisch zum Wackeln brachte. "Sie schaffen das ganz bestimmt sehr schnell, Sie sind ja schließlich einer unserer gewitztesten Ermittler. Jedenfalls weiß ich die Sache nun in besten Händen."

"Vielen Dank, Chef", blieb King erstaunlich ruhig, "aber mit der Gratulation warte ich besser noch, bis ich weiß, was auf Blackwhite Castle überhaupt vorgefallen ist."

"Ja, ja, natürlich", drängte es den Chef plötzlich, das Gespräch zu Ende zu bringen, "also will ich Sie nicht länger von Ihrem Fall abhalten. Richten Sie der Familie bitte mein tief empfundenes Beileid aus. Bis demnächst!"

Knapp eine Stunde später betrat Chief Inspector King in Begleitung von Constabler Queen die Bibliothek. Der nahezu quadratische, hohe Raum entsprach weitgehend Kings Vorstellungen eines mit breiten Schränken und zahllosen alten Folianten gespickten Zimmers, an dem der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen hatte. Auf der Nordseite befand sich ein breites Fenster, dessen dunkel verglaste Scheiben allerdings das grelle Tageslicht abmildern sollten und die sich dahinter befindende Gartenanlage nur schemenhaft erkennen ließ. Vor dem Fenster füllte ein flacher Schrank mit zahlreichen kleineren Holztüren, auf dem in gleichmäßigem Abstand vier Leuchter standen und einige Bücher teils offen, teils geschlossen herumlagen, die gesamte Wandbreite aus.

Die übrigen drei Wandseiten sahen nahezu identisch aus: Je eine Tür führte in den Flur hinaus, und drum herum reichten die Bücherschränke bis knapp unter die Decke. Glastüren dienten offenbar als Schutz vor Staub und Licht, um manch verborgene, kostbare Rarität vor dem Verfall zu schützen. Momentan waren einige Beamten der Spurensicherung damit beschäftigt, dieses Mobiliar auf verdächtige Hinweise hin zu untersuchen.

In Richtung des Fensters stand ein wuchtiger Eichentisch, auf dem sich verschiedene Werke türmten und einige Schreibutensilien ohne erkennbare Struktur verstreut lagen. Auf jeder der dem Fenster abgewandten Seite stand ein gepolsterter Holzstuhl, deren beste Tage auch schon etwas zurückzuliegen schienen.

Halblinks davon, in der Nähe der Tür, durch welche die beiden Beamten gerade eingetreten waren, erblickte der Chief Inspector einen kleineren Tisch mit zwei eleganten Polstersesseln, und darauf das Objekt seiner Befürchtung: Ein aus feinstem Elfenbein hergestelltes Schachbrett, deren weiße und braune Figuren zweifellos von einem großen Künstler gestaltet worden waren. Kings Befürchtung konkretisierte sich, als er sah, dass nicht etwa die Grundstellung aufgebaut war, sondern eine überschaubare Menge von Figuren einige wenige Felder besetzt hielt.

"Dieses Mal aber nicht!" entfuhr es King spontan. "Dieses Mal löse ich den Fall auch ohne solch ein dusseliges Brett!"

Constabler Queen drehte sich verwundert um: "Wie bitte, Chief Inspector?"

"Entschuldigen Sie bitte, Constabler", wischte King alte Erinnerungen beiseite, "das war nicht an Sie gerichtet. Ich stellte nur Parallelen zu früheren Fällen fest."

"Oh ja", begeisterte sich Queen sofort, "die Morde auf ... wie hießen Sie wieder? Na ja, nicht so wichtig. Dachte sofort daran, als ich hier ins Zimmer kam und das Brett sah. Rief sofort beim Yard an und berichtete davon. Hoffte schon, Sie als Experten auf diesem Gebiet kennen zu lernen. Hat ja wunderbar geklappt!"

"Sie waren das also?!" holte der Chief Inspector tief Luft.

"Genau", fasste der sichtlich wachsende Constabler den Satz als Kompliment auf, "war mir sicher, dass Sie das interessieren würde."

"Wo ist denn eigentlich das Opfer?" wandte sich King brüsk den Ermittlungen zu "Man hatte mir mitgeteilt, Sir James sei in diesem Zimmer aufgefunden worden."

"Genau", vermeldete Queen gewichtig, "in jenem Sessel dort vor dem Schachbrett. Ist aber schon abtransportiert . Unser Doc meinte, das sei ein glasklarer Fall von Blausäurevergiftung."

"Blausäure?" hakte King nach und schnüffelte etwas in der Luft. "Hm, man riecht aber nichts davon."

"Keine Chance", gab Queen Auskunft, "wird alles vom Whiskey überlagert." Dabei zeigte der Constabler auf ein Glas, das neben dem Schachbrett stand. "Unser Doc roch einmal daran, roch an Sir James, und schon war die Diagnose fertig. Wie Sie sehen, ist noch etwas Whiskey im Glas, und unser Doc hat eine Probe davon mitgenommen, für seinen Bericht. Ist sich aber absolut sicher, dass sich im Whiskey eine sehr starke Konzentration von Blausäure befand, die in wenigen Minuten zum Atemstillstand führte."

"Wenige Minuten?" vergewisserte sich King. "Meinen Sie wenige Minuten nach Einnahme des ersten oder des letzten Schluckes?"

"Habe dazu schon Butler John befragt", antwortete Queen. "Er meinte, dass bei Sir James zwischen dem ersten und dem letzten Schluck nicht viel Zeit verstrich - wenn überhaupt."

"Dieses Mal schon", sinnierte King, während er den letzten Sitzplatz des Verstorbenen betrachtete.

"Unser Doc sagte, er muss beim ersten Schluck einen Nebengeschmack bemerkt haben", vervollständigte Queen seinen Bericht. "Nicht deutlich Mandel, aber deutlich genug bemerkbar. Hat wohl den Rest weggestellt."

"Soll das heißen", wunderte sich King, "dass dieser kümmerliche Rest im Glas das Überbleibsel des ersten Schluckes ist?" Der Constabler zuckte zustimmend mit den Schultern. "Nicht schlecht, der alte Knabe."

"Alter Veteran, hat mal im Winter irgendwo in Skandinavien gekämpft", berichtete Queen aus dem ereignisreichen Leben des Sir James, "hat die Nächte dort mit Norwegern und Schweden verbracht."

"Hat der Arzt auch etwas zum Todeszeitpunkt gesagt?" wechselte der Chief Inspector das Thema.

"Hat er", bestätigte Queen, wieder lebendig werdend, "ebenso klarer Fall. Sir James zog sich nach dem Lunch in die Bibliothek zurück. War so gegen halb zwei. Gegen drei Uhr betrat John, der hiesige Butler, die Bibliothek, und entdeckte den Toten." Er legte eine gewichtige Kunstpause ein. "Dazwischen ist der Mord passiert!"

"Nicht zu glauben!" entfuhr es King. "Konnte er den Zeitpunkt noch stärker eingrenzen?"

"Ein wenig", erzählte Queen unverdrossen weiter. "Schätzt zwei Uhr, spätestens halb drei. Hat was mit der Verfärbung der Leiche zu tun. Sah gar nicht gut aus, der alte Sir James. Irgendwie nicht normal, so ganz anders. Bleich, irgendwie. Gar nicht gut."

"Was haben Sie sonst noch herausgefunden?" lenkte der Chief Inspector das Gespräch schnell wieder auf den Grund seines Kommens.

Queens gute Laune verflog etwas und machte einigen Falten Platz. Erst wollte er selbst Auskunft geben, dann aber rief er einen der Ermittler, der gerade den flachen Schrank am Fenster untersuchte: "Miller, kommen Sie doch mal bitte kurz her!"

Der Angesprochene beugte sich gerade über einen Fleck, den er mit einem Sprühmittel auf dem Holz erzeugt hatte, zeigte aber ansonsten keinerlei Reaktion.

"Miller!" wurde er etwas lauter aufgefordert.

"Hm?" kam aus seiner Richtung, ohne dass dem Fleck etwas von seiner Aufmerksamkeit entzogen wurde.

"Der Chief Inspector hat Fragen an Sie", knurrte Queen etwas ungeduldig.

Jetzt richtete sich der Angesprochene auf, blinzelte kurz in die Richtung der beiden Beamten und trat dann bedächtig näher.

"Was können Sie mir zum aktuellen Stand der Spurensuche sagen?" wandte sich der Chief Inspector an Miller.

"Hm", antwortete dieser und kratzte sich langsam am Kopf, "schwer zu sagen."

"Was soll das heißen, schwer zu sagen?" entgegnete King leicht genervt, während Queen mit seinen Augen zu rollen begann.

"Nun ja", hob Miller an, "ich mag es, wenn die Spuren zusammen passen. Bei den uns bislang vorliegenden Spuren bin ich mir aber nicht sicher, ob sie das wirklich tun."

"Kann doch durchaus sein", versuchte es King mit einer ersten Erklärung, "dass Sie hier Spuren der Tat und des Alltagsleben finden, die schwer auseinander zu dividieren sind, nicht?"

"Ich will in diesem Fall die Spuren nicht interpretieren, Chief Inspector", meinte Miller nachdenklich, "sondern das Ihnen überlassen."

"Na, dann fangen Sie doch endlich an!" warf der Constabler ungeduldig ein. "Berichten Sie, was Sie wissen, und wir werden dann schon die entsprechenden Schlüsse ziehen."

"Ihr Wort in Gottes Ohr", war alles, was daraufhin von King zu hören war.

"Zunächst einmal die einfachen Details", begann Miller. "Keine aufgebrochenen Schlösser, weder an den Bücherschränken, noch an diesem Schrank dort", er zeigte auf das soeben untersuchte Möbelstück, "noch an den Fenstern oder den Türen. Kein gewaltsames Eindringen, keine Durchsuchung des Raumes."

"Das ist doch schon einmal eine schöne Aussage", ermunterte King den Ermittler.

"Tja, dann haben wir in den Schränken nachgeschaut, ob etwas fehlt, verrückt wurde oder andere Auffälligkeiten zu bemerken sind", fuhr Miller fort, "und sind uns relativ sicher, dass nichts fehlt. Für die Bücher kann ich letztlich nicht garantieren, aber der Staub an den Rändern deutet darauf hin, dass die meisten Bücherschränke heute Vormittag zum letzten Mal geöffnet wurden."

"Also vor dem Tatzeitpunkt", schlussfolgerte King.

"Genau", bestätigte Miller. "Wie gesagt, eine starke Vermutung, keine letztliche Sicherheit. Es wurde jedoch in dem dort hinten", - er zeigte auf den Bücherschrank hinter Constabler Queen -, "ein spezielles Buch bewegt: Thomas Stevensons "Die Schatzinsel" scheint herausgezogen und anschließend wieder an seinen Platz gestellt worden zu sein."

"Weshalb sind Sie sich da so sicher?" hakte King nach.

"Nun, die Bücher sind sehr akribisch geordnet", erläuterte Miller mit einer gewissen Unsicherheit in seiner Stimme, "alle schön in einer Reihe - nur Stevensons Werk steht hervor." Er hielt kurz inne. "Ziemlich deutlich sogar."

"Zu deutlich?" erahnte King die Gedanken des Spezialisten.

"Vielleicht war dort eine Karte versteckt, die zu einem Schatz im Garten führte", gab ein plötzlich aufgeregter Queen zu bedenken, aber niemand nahm den Faden auf.

"Wie gesagt", antwortete dieser, "die Interpretation ist ihre Sache. Jedenfalls sind auf diesem Buch keine Fingerabdrücke zu finden, ganz im Gegensatz zu den daneben stehenden Büchern. Es kommen aber noch weitere Ungereimtheiten hinzu."

"Der Fleck dort drüber auf dem Schrank?" mutmaßte King.

"Ganz genau, Chief Inspector", nickte Miller und kehrte zu dem Möbelstück zurück, "der ist ebenfalls reichlich seltsam. Jemand hat dort sehr akribisch den Schrank abgewischt, sogar einen der Leuchter verschoben, aber wir haben keine Ahnung, weshalb. Keine verdächtigen Rückstände auf dem Holz, kein Blut, keine Fingerabdrücke, keine Fußabdrücke ..."

"Fußabdrücke?" Queens Gesicht hatte die Form eines Fragezeichens angenommen.

"Nun", wandte sich Miller dem Constabler zu, "immerhin war das Fenster, welches sich direkt über der bewussten Stelle befindet, unverschlossen. Alle anderen Fenster waren verriegelt. Also haben wir geprüft, ob der Täter den Raum vielleicht durch das Fenster verließ und anschließend seine Spuren verwischen wollte."

"Sie zweifeln das aber an?", vermutete King.

"Vielleicht kam der Täter ja durch das Fenster herein und musste dann seine Spuren verwischen", warf Queen ein.

"Ihr Job", meinte Miller trocken, "aber was ich sagen kann, ist, dass es eigentlich keine Spuren gibt, welche das Fenster als Fluchtweg bestätigen - außer dass der Fenstergriff fein säuberlich abgewischt wurde. Aber keine Spuren auf dem Fenstersims oder außen vor dem Gebäude."

"Hm", zog King grübelnd die Stirn in Falten, "noch mehr Indizien von dieser Sorte?"

"Allerdings." Miller zeigte etwas unterhalb des Fleckes. "Was sich alles in den verschiedenen Fächern des flachen Schranks befand, können wir natürlich noch nicht sagen, aber sie wurden jedenfalls nicht durchsucht. Wir haben dort dann wie im übrigen Raum die Fingerabdrücke genommen, und dabei ist uns eine Sache aufgefallen."

King horchte auf.

"Am besten zeige ich es Ihnen." Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich Miller wieder um und steuerte auf eines der rechten Fächer des Schrankes zu. Die Tür stand offen, und die Beamten erblickten darin einen Kasten sowie ein Sammelsurium von kleinen Heften, schmalen Büchern und einigen Kerzenständern. "Sehen Sie diesen Kasten?"

"Ja, klar und deutlich", antwortete King leicht amüsiert.

"Darin befinden sich diejenigen Schachfiguren, welche nicht auf dem Tisch dort stehen", erläuterte Miller und zeigte grob in die Richtung des Elfenbeinbrettes.

"Es fehlt eine Figur?" mutmaßte King sofort.

"Nein", widerlegte ihn Miller, "es fehlt keine Figur. Wie gesagt, wir haben überall Fingerabdrücke genommen, auch von allen 32 Figuren. Das Ergebnis: Auf den Figuren, die dort auf dem Tisch stehen, wimmelt es von unterschiedlichen Abdrücken, ebenso diese hier im Schrank - mit Ausnahme eines schwarzen Springers, der überhaupt keine Fingerabdrücke aufweist."

"Und?" hakte King nach, als Miller eine Pause machte. "Sie vermuten, dass der Täter den Springer abgewischt hat?"

"Es könnten auch Blutspuren daran gewesen sein", schaltete sich erneut Queen mit zerfurchter Stirn ein.

"Keine Ahnung", antwortete Miller sichtlich indigniert, "ich erwähnte doch, dass ich es mir nicht erklären kann. Sie dürfen daraus Ihre Schlussfolgerungen ziehen. Blutrückstände hätten wir übrigens in jedem Fall identifiziert, es gab aber keine."

"Schon gut, Miller", lenkte der Chief Inspector enttäuscht ein, "vielleicht ergibt sich ein klareres Bild, wenn wir alle Fakten kennen. Haben Sie noch mehr zu bieten?"

"Noch eine Kleinigkeit", nickte Miller. "Die Türklinke dieser Tür", er deutete auf die mittlere Tür gegenüber des Fensters, "ist ebenfalls abgewischt worden. Keinerlei Fingerabdrücke."

"Deutet auf einen Fremden hin", sinnierte Queen, "denn die Fingerabdrücke der Hausbewohner wären ja völlig unverdächtig gewesen. Bestimmt hat jeder von ihnen die Bibliothek wenigstens einmal betreten."

"Ich darf also zusammenfassen", konnte sich der Chief Inspector eines Kommentars nicht mehr enthalten. "Ein Fremder steigt durch das Fenster ein, mischt Sir James einen Blausäure-Whiskey-Cocktail, sticht vorsichtshalber noch einmal mit einem Springer zu, den er flugs aus dem Schrank holt ..."

"Er könnte auch auf dem Brett gestanden haben", wehrte sich Queen, "und nach der Tat in den Figurenkasten gelegt worden sein."

"... schnappt sich Stevenson's 'Schatzinsel'", überhörte King den Einwand, "entwendet den sich dort befindenden Lageplan des im Garten versteckten Schatzes, beseitigt alle Spuren und verschwindet durch die mittlere Tür."

"Nun ja", wandte Queen etwas zaghafter ein, "aber ein Fremder ..."

Er wurde unsanft in seinen Ausführungen gestört, denn in diesem Moment wurde eben jene Tür aufgerissen und ein Mann mittleren Alters stürmte herein, verfolgt von zwei uniformierten Beamten.

"Was in aller Welt ...", setzte King an.

"Ah, Chief Inspector King", unterbrach ihn der Ankömmling sofort, "Sie sind genau der richtige Mann für mich."

"Wer zum Donner ...", versuchte es der Chief Inspector erneut.

"Harold Mate", kam die Antwort schneller als die Frage, während sich die beiden Beamten rechts und links vom Sprecher postierten, ganz offenbar in der Hoffnung, sich durch einen Wink des Chief Inspectors des Mannes entledigen zu können, "vom 'London Observer'. Trifft es zu, dass Sir James ermordet wurde?"

"Auch das noch!" entfuhr es King spontan. "Sie sind Reporter?"

"Genau, Chief Inspector", antwortete dieser, "aber zurück zu meiner Frage."

"Sind Sie Gast hier auf Blackwhite Castle?" ließ sich King nicht beirren.

"Äh, nein", äußerte sich Mate irritiert, "ich bin gerade erst angekommen."

"Darf ich einmal Ihren Presseausweis sehen?" erledigte King erst einmal die formalen Dinge.

Wortlos überreichte ihm Mate ein kleines Dokument. Während der Chief Inspector den Ausweis kurz inspizierte, blickte sich der Reporter neugierig im Raum um. Eine leichte Enttäuschung war ihm anzumerken, dass Sir James nirgends mehr zu sehen war.

"Was führt Sie denn nach Blackwhite Castle?" nahm King den Faden wieder auf, nachdem er den Ausweis zurückgegeben hatte. "Sind Sie privat oder beruflich hierher gekommen?"

"Natürlich beruflich", wandte sich Mate wieder King zu, "ich kam mit Sir James anlässlich von 'Commonwealth in Not' ins Gespräch. Ich leite nämlich die Sparte Kultur beim 'Observer'."

"Das war die Wohltätigkeitsveranstaltung vor drei Wochen, nicht wahr?" erinnerte sich King.

"Genau, Chief Inspector", bestätigte Mate, "und dabei bot mir Sir James an, heute hier vorbei zu kommen, um mir einige seltene Manuskripte englischer Poeten aus dem 16. und 17. Jahrhundert zeigen zu können."

"Schade", meinte King kurzerhand, "das fällt nun offenbar aus. Tut mir Leid, dass Sie den Weg von London aus hierher gemacht haben."

"Oh, kein Problem", winkte Mate gutmütig ab, "ein Mord ist auch nicht zu verachten. Haben Sie den Täter schon?"

"Nein, Mr. Mate", schlug King einen resoluteren Ton an, "wir sind noch bei der Spurensuche, aber ..."

"Verstehe", unterbrach ihn Mate, während er wieder seine Augen durch den Raum schweifen ließ, "aber irgendwelche Hinweise?"

"Auch noch nicht", sagte King ungeduldig, "aber ..."

"Schon Zeugen befragt?" ließ sich Mate nicht beirren.

"Ich bin selbst erst vor kurzem eingetroffen", erläuterte King merklich angespannter, "und habe die Ermittlungen gerade aufgenommen, aber jetzt ..."

"Saß Sir James hier in diesem Sessel?" deutete Mate auf die Sitzgelegenheit vor dem Elfenbeinbrett.

"Ja, das ist richtig", erwiderte King überrascht, "wie kommen Sie darauf?"

"Nun", führte Mate kurz aus, "das Glas mit einem Rest ... Whiskey, würde ich vermuten ... und das Schachbrett deuten darauf hin, dass hier eine gemütliche Schachpartie ausgetragen wurde, nicht?"

"Schon möglich", gab King ihm recht.

"Eine interessante Position", kommentierte der Reporter und näherte sich dem Brett.

 

Weiterlesen: Schach-Krimi Teil 2


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