Startseite Rochade Kuppenheim

Lösung der Kombination

Psychologie im Schach

von Reinald Kloska, Juni 2003

zur Kombination


   Als Lösung zur Kombination untenstehend die 1992 im "Rochade Express" veröffentlichte Originalkommentierung dieses Schmuckstücks. Dies hat den Vorteil, dass ich weit weniger Arbeit damit habe.











Verbandsliga 1992

Anhand meiner Partie der 8. Runde in der Verbandsliga, die sich hierzu ausgezeichnet eignet, möchte ich den Wert der Psychologie in der Praxis darstellen. Der erste wichtige Moment einer Partie ist die Vorbereitung auf den Gegner. Taktische Mannschaftsabsprachen sind im Vorfeld genauso wichtig, wie eine exakte eröffnungstheoretsche Vorbereitung jedes einzelnen auf seinen Gegner. Von meinem Gegenüber war bekannt, daß er als Schwarzer das Damengambit mit Slawisch begegnet, folglich gab es bei der Vorbereitung keine Probleme.

1.d4!
Dieser Zug erhält von mir grundsätzlich ein Ausrufezeichen.

1...d5 2.c4 e6
Nach einigen Minuten Überlegens wurde mir sofort klar, das ist kein Slawisch - so ein unfairer Gegner, die Vorbereitung ist im Eimer. Im zweiten Zug bereits der erste psychologische Ansatz, leider zu meinen Ungunsten.

3.Sc3 Lb4
Und bereits im dritten Zug fährt er fort, mich zu verwirren. Was soll man da nur tun? Ganz klar, ruhig bleiben.

4.e3 Sf6 5.Ld2 0-0 6.Sf3 Sbd7 7.Le2 Te8 8.0-0 c6?
Dieses Fragezeichen setzte sich mein Gegner selbst, denn kurz nachdem er den Zug ausgeführt hatte, sah er, daß nun Sxd5 einen Bauern gewinnt. Ich sah dies natürlich auch, doch sind bessere Stellungen nicht mein Stil. Ausserdern wäre es aus schachpsychologischer Sicht ein verhängnisvoller Fehler. In einem derart frühen Stadium des Spiels die innere Euphorie auf Gewinn einzustellen, bringt meist herbe Partieverluste mit sich. Der erfahrene Psychologe wählt deswegen:

9.Db3! Ld6 10.Tad1
Der Beginn einer Reihe von Zügen, die anscheinend keinen Sinn haben. Doch gerade dieser Zug ist derart raffiniert, daß wahrscheinlich gar Kasparow nicht die verborgenen Ideen entdecken würde, die sich dahinter verbergen. Diese waren
a) Verhinderung sowohl von c5 als auch von e5
b) Erzielung einer schlechteren Stellung, um den Schwarzen gedanklich auf Sieg einzustellen und, als Wichtigstes
c) fehlerhafte Einschätzung der Stellung oder aber
d) irgendwohin muß der Turm gezogen werden

10...b6 11.cxd5
Aufgrund der Ignoranz, die mein Gegner zu Tage legte (er würdigte meinen überaus sensiblen 10. Zug nicht), mußte ich schärfere Geschütze auffahren. Erst dieser 11. Zug zeigt deutlich auf, wie sinnlos gut mein 10. war. Ausserdem schlug mein Gegner in einer früheren Begegnung in ähnlicher Stellung mit dem c-Bauern zurück.

11...exd5
Egal wie er schlägt, ab sofort wird zurückgeschlagen.

12.Tc1
Natürlich hätte er auch schon im 10. Zug hier stehen können, doch dann wäre a) bis d) unberücksichtigt geblieben und ich hätte dieses wertvolle Tempo nicht verlieren können. Ausserdem wollte ich, daß Schwarz jetzt Se4 zieht. Darauf hätte Sxd5 für Weiß schon einiges Holz eingebracht. Leider weiß mein Gegenüber meine geradezu ozeantiefen Fallen nicht zu würdigen. Jedenfalls gebietet es der Anstand, in dieser Stellung Se4 zu ziehen!

12...Lb7
phantasielos (siehe letzte Bemerkung)

13.a4!
Nicht einmal Hartmut konnte mit diesem Zug etwas anfangen. Erst nach meiner Erläuterung, daß, obgleich einem nichts einfällt, gezogen werden muß - so sagen es die Regeln, war ihm auf einmal alles klar. Eigentlich war meine Traumstellung erreicht und ich hätte meinem Gegenüber gerne geagt: "Mach doch erst mal ein paar Züge ... ich greife später wieder ein." Aber, was zieht man, wenn man ziehen muß und nicht so recht weiß, was man ziehen soll? Richtig, einen Randbauern!

13...Se4 14.a5 Tb8
Mit b5 hätte er den kecken Ba5 eher früher als später gewinnen können.

15.axb6 axb6 16.Ld3
Gewieft und hinterhältig. Neben Kh1 so ziemlich der einzige Zug, der wieder eine meiner Fallen aufstellt. In solchen Stellungen deckt man den Se4 mit Sdf6. Danach stellt Weiß mittels Sxe4 eine Figur ein. Doch halt! Der Springer auf f6 verhindert, daß die schwarze Dame nach Sg5 eben diesen nehmen kann. exd3 ist nun wegen Sxf7 übel. Folglich kann Weiß den Bauern auf e4 nach Sg5 mit Sgxe4 wegschnabulieren und steht gut, was allerdings aus schachpsychologischer Sicht untragbar wäre. Deshalb muß ich hier meinem Gegner danken, daß er nicht mitspielte.

16...f5 17.Se2 g5 18.Lc3!
Man sieht es ihm nicht an, 31 Züge später gewinnt dieser Läufer von diesem Feld aus die Partie. Wenn man bedenkt, daß in dieser, meiner Partie, die wohl tiefste psychologische Kombination der gesamten Schachgeschichte zur Anwendung gelangt, so darf's niemanden wundern, daß mich dies nicht unerheblich mit Stolz erfüllt.

18...g4 19.Sd2 Dh4 20.g3 Dh3
Natürlich wäre Sf4 schachlich gesehen stärker gewesen, doch muß man bedenken, daß
a) meine Kombination gefährdet gewesen wäre,
b) das mittlerweile erfolgte 3:0 der Dreiländereckler zu deren Mannschaftssieg noch nicht reichte
c) in der Landesliga die Gegner aus den nahem Umkreis kommen, und
d) Hartmut meine Stellung noch zu gut fand.

21.Lxe4 fxe4 22.Tfe1 Te6 23.Sf4?!
Das Fragezeichen steht für Figurenverlust bzw. Matt, das Ausrufezeichen für angewandte Psychologie.

23...Lxf4 24.exf4
Um das Matt, welches mit La6 eingeleitet werden kann zu verhindern, müßte schon Ta1 geschehen. Doch es widerstrebt mir im Innersten, mit einem Klötzchen weniger zu spielen. Zudem kann man hier - übrigens erstmals seit Lasker - Schachpsychologie der Extraklasse bewundern. Schwarz, völlig siegessicher - sozusagen: jeder Zug gewinnt - denkt nicht mehr an Gegenwehr des Weißen. Gedankenlos wird mattgesetzt.

24...Th6?
Also, La6 hätte mir tatsächlich den Garaus gemacht.

25.Ta1!
Ab sofort wird Schach gespielt, die Psychologie hat das Ihre bereits geleistet.

25...Dxh2+ 26.Kf1 e3 27.fxe3 Dxg3
Entläßt den weißen König aus seinem Käfig. Das so sichere und von Schwarz ausgelassene schnelle Matt geht ihm nicht mehr aus dem Sinn. Noch immer, und das bis zum Schluß der Partie, gilt für ihn: "Egal was ich ziehe, die Partie ist gewonnen!"

28.Ke2 Dg2+ 29.Kd3 Th2 30.Dd1 Sf6
Dieser Springer auf f6 gefiel mir überhaupt nicht, deckt er doch alle Felder um den schwarzen König.

31.Tg1 Dh3 32.Sf3!
Einfach weil mir der Zug gefällt.

32...Tg2 33.Sg5 Dg3
Alles psychologisch zu erklären, denn Txg1 verbietet sich, weil
a) Schwarz nach Damen- und Turmtausch nicht mehr schnell mattsetzen kann,
b) die besser stehende Partei der schwächeren keinen entlastenden Tausch erlauben sollte, und
c) Kuppenheim bei einem zu erwartenden Verlust meinerseits wohl sicher absteigen würde.

34.Th1 Lc8 35.Ld2 Lf5+ 36.Kc3
Nach kurzem Überlegen. Nirgends steht er besser!

36...Se4+
Endlich ist der von f6 weg, und das endgültig!

37.Sxe4 Lxe4 38.Th6
Beginn des Gegenangriffs. Egal ob etwas droht oder nicht, jeder fühlt sich verunsichert, wenn so ein gegnerischer Turm dicht am eigenen König auftaucht.

38...c5 39.Ta7
Da ist schon der zweite!

39...cxd4+ 40.Kxd4
Er treibt meinen König dahin, wo er gerne hingeht.

40...Df2 41.Lc3
Und wieder ist er auf dem Siegesfeld!

41...Tg3 42.Dd2 Df1
Nur nicht tauschen, dann gibt es nämlich kein schnelles Matt mehr.

43.Ke5 Dc4 44.Dd4 Db5??
Wie bereits gesagt, tauschen oder mattsetzen. Mein Gegner entscheidet sich für mattsetzen. Wie man leicht sehen kann, liegt meine Spielweise eher beim Tauschen. Aber wenn ich nicht darf:

45.Tg7+
Und da wäre das Matt!

45...Kf8
[ 45...Kxg7 46.Kd6+ Kxh6 ( 46...Kg8 47.Dg7# ; 46...Kf7 47.Df6+ Ke8 48.De7# ) 47.Dg7+ Kh5 48.Dg5# ]

46.Kf6 Dc6+ 47.Kg5 Lg6 48.Lb4+ Ke8 49.De5+
und von Schwarz aufgegeben!
1-0

Resümee: Dies ist ein für mich typischer Sieg. Mein Gegner überspielt mich klar, greift jedoch kurz vor dem Ziel fehl. Gewonnen ist die Stellung für ihn noch immer, doch, enttäuscht durch das Auslassen des schnellen Gewinns, verfehlt er diesen zuletzt im 44. Zug. Die Partie wurde von mir unverdienterweise gewonnen, und ich hoffe, daß mein Gegner, sollte er diese "Analyse" lesen, Spaß versteht.




zur Kombination mehr Schachkombinationen nächste Schachkombination