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Valeri Bronznik, Die Tschigorin-Verteidigung

Rezension von Robert Miklos, Februar 2002

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Die Tschigorin-Verteidigung

Schachverlag Kania, 2001
303 Seiten, gebunden; 22,50 Euro
ISBN 3-931192-21-0

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4,5 aus 5


 

Die Tschigorin-Verteidigung

Die Stellung nach 1.d4 d5 2.c4 Sc6
 

Die Tschigorin-Verteidigung, deren Name vom russischen Schachspieler Michail Tschigorin stammt, ist durch den unorthodoxen zweiten schwarzen Zug im Damengambit gekennzeichnet: Nach 1.d4 d5 2.c4 spielt Schwarz nun, ein bisschen antipositionell (da er den c-Bauner blockiert), 2...Sc6. In den meisten Damengambit-Varianten versucht Schwarz ansonsten früher oder später c6 oder c5 zu spielen. Der Vorteil des Springerzuges ist aber auch klar: Schwarz entwickelt als erster eine Figur.

Weiß ist laut den Datenbanken gegen die Tschigorin-Verteidigung erfolgreicher als gegen andere Verteidigungen (z.B. 60% laut BigBase 2001). Das möchte der Autor, Valeri Bronznik, nun ändern. Kurz zum Autor: Er ist 34 Jahre alt, Internationaler Meister und  hat seit vielen Jahren eine Elo über 2400. Er wurde bei seiner Arbeit durch starke Fernschach-Spieler unterstützt: FS-IM Jonathan Tait, FS-IM Bernd Rädeker und vor allem IM/FS-GM Dieter Mohrlok.

Nach den Zügen 1.d4 d5 2.c4 Sc6 werden folgende weiße Antworten untersucht: 3. Sc3, 3. Sf3, 3. cxd5, 3. e3, 3. Lf4 und 3. g3. Einige Partien enden leider ziemlich schnell mit einem groben Patzer oder einem Remis. Der Autor geht auch auf die Zugumstellungen ein (wobei Weiß zuerst Sf3 usw. spielt und auf c4 zuerst oder auch ganz verzichtet). Die diversen Damenbauerspiele werden natürlich nicht ausführlich abgedeckt, in den letzten Kapiteln (mit Lf4 und späterem c4) aber immerhin angeschnitten. Bronznik scheut sich nicht, bisherigen Bewertungen zu widersprechen. Andererseits bricht er manchmal auch eine Analyse ab, wenn sie zu weit abschweifen würde.


Inhaltsangabe:

S.1-9   Inhalt, Zeichenerklärung, Einführung, Danksagung
S.9-298 110 kommentierte Partien in 16 Kapitel, nach Eröffnungszügen geordnet
S.299-303

Quellenverzeichnis (die Datenbanken Mega 2000, Big 2001, Corr 2000 von Chessbase, die Megacorr von Harding, die Millenium 2000 von Millenium, die TWICs bis einschließlich 15.8.2001 - sehr aktuell also - und die privaten Partiesammlungen der FS-IM Rädeker und Tait), Spielerverzeichnis (dabei Super-Großmeister Morosewitsch mit 13 Partien!), Variantenindex

 










Inhaltsangabe

 

1.d4 d5 2.c4 [2.Sf3 Sc6 3.g3 ] 2...Sc6 3.Sf3 [3.Sc3 dxc4 (3...Sf6 ) 4.e3 (4.d5 ; 4.Sf3 ) ; 3.cxd5 Dxd5 4.Sf3 (4.e3 e5 5.Sc3 (5.dxe5 ) 5...Lb4 6.Ld2 Lxc3 7.bxc3 (7.Lxc3 ) ) 4...e5 ; 3.Lf4 Lg4 ] 3...Lg4 [3...e5 ] 4.cxd5 [4.Sc3 ; 4.e3 ; 4.Da4 ] 4...Lxf3 5.gxf3 [5.dxc6 Lxc6 6.Sc3 ] 5...Dxd5 6.e3 e5 [6...e6 7.Sc3 Dh5 8.f4 Dxd1+ 9.Kxd1 0-0-0 ] 7.Sc3 Lb4 8.Ld2 Lxc3 9.Lxc3 Dd6 - eines der zentralen Abspiele der Verteidigung.

  

Diese Verteidigung -  und somit das Buch - wendet sich an den initiativfreudigen Spieler. Da wird schon mal ein Springer für eine Bauernwalze am Damenflügel geopfert. Für Läuferpaar-Fans ist diese "Verteidigung" (Bronznik befürwortet die Umbenennung in Tschigorin-Gegenangriff) eher nicht geeignet, mindestens einer der Läufer tauscht sich für einen weißen Springer. Die Belohnung dafür ist oft eine frühe Initiative. In vielen Partien ist Schwarz gut entwickelt, während Weiß in der Entwicklung zurück liegt und/oder sein König noch unrochiert im Zentrum steht. Die weiße Bauernstellung weist oft gewisse Mängel (Doppelbauer auf f2/f3), dafür ist sein Zentrum oft sehr stark.

Das Material wird in Form von 110 kommentierten Partien präsentiert, manchmal gibt es sogar richtig lange Ausführungen zu den Plänen, der Stellungsbeurteilung oder auch als Zusammenfassung zu einigen Varianten. Die Sprache ist ausführlich aber auf den Punkt, nicht vom Thema abschweifend. Tippfehler gibt es kaum, eine erste Durchsicht ergab einen eher unauffälligen auf Seite 128 oben und einen Fehler in der Notation (Partie Nr. 64). Letzerer hat sich wohl eingeschlichen, weil die Partie mit dem Göring-Gambit eröffnet wurde, dann aber ins Tschigorin-Reich eintauchte. Im Spielerverzeichnis werden die Namen der Spieler angegeben: Wenn der Spieler Weiß hatte, ist die Partienummer normal geschrieben, bei Schwarz ist sie kursiv - nur leider ist es eher schwierig, den Unterschied zu erkennen. Man sollte diese Fehler und Ungenauigkeiten in Relation zur angebotenen Materialfülle setzen, bei fast 300 vollen Seiten geht das völlig in Ordnung.

In einigen Kommentaren wird Junior6 erwähnt, der wohl öfter bei der Analyse mithalf. Die Wahl der Partien und die Kommentare werfen vielleicht ein zu positives Licht auf die schwarze Seite - der Autor ist nun mal von "seiner" Verteidigung überzeugt und auch begeistert.

Schauen wir uns mal ein paar Partien an, die einige Monate nach Fertigstellung des Buches gespielt wurden. Die Kommentare stammen aus dem Buch, sind aber größtenteils stark gekürzt.










Wornath,K (2375) - Schramm,C (2355) [D07]
Unilog-Integrata IM, Griesheim GER (8), 2002

 

1.d4 d5 2.c4 Sc6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 Lg4?! Wie wir sehen werden, ist diese Fortsetzung zweifelhaft. [besser: 4...dxc4] 5.cxd5! Die prinzipiellste und stärkste Fortsetzung. 5...Sxd5 6.e4 Sxc3 7.bxc3 e5 8.d5 Sb8 9.Da4+ Sd7 10.Sxe5 Df6 11.Le2 Dxe5 12.Lxg4 0-0-0 13.0-0 Lc5 14.Tb1 The8 15.Txb7 Kxb7 16.Lxd7 Txd7 17.Dxd7 Lb6 18.c4 Dxe4 19.c5 1-0

 
 
 










Stantic,S (2130) - Kovacevic,B (2440) [D07]
7th HIT Open, Nova Gorica SLO (2), 2002

 

1.d4 d5 2.c4 Sc6 3.Sf3 Lg4 4.cxd5 Lxf3 5.dxc6 Lxc6 6.Sc3 e6 7.e4 Lb4 8.f3 Dh4+ 9.g3 Dh5 10.Lg2 0-0-0 11.Le3 f5 12.Db3 Lxc3+ 13.bxc3 fxe4 14.fxe4 Sf6 diese Stellung kommt bei Bronznik vor, hier lässt er Weiß gierig den e6-Bauern schnappen (Campos-Mendez 1996). 15.Lf4 [15.Dxe6+ Kb8 ] 15...Kb8 16.0-0 Lxe4 17.Dxe6 Lxg2 18.Kxg2 The8 19.Dc4 Te2+ 20.Tf2 Txf2+ 21.Kxf2 Dxh2+ 22.Kf3 Sd5 23.Tb1 Dh5+ 24.Kf2 Sxf4 25.gxf4 Df5 26.Db5 Dxf4+ 27.Ke2 De4+ 28.Kd2 Tf8 0-1

 
 
 










Soshnikov,M - Bely,A [D07]
Kaissa Open, Kharkov UKR (6), 2002

 

1.d4 d5 2.c4 Sc6 3.cxd5 Dxd5 4.Sf3 e5 5.Sc3 Lb4 6.Ld2 Lxc3 7.Lxc3 e4 8.Se5 Sxe5 hier untersucht Bronznik vor allem das interessantere und agressivere 8...e3, die Partiefortsetzung gilt als "angenehme Alternative" für Schwarz. 9.dxe5 Se7 10.e3 0-0  Hier gibt Bronznik 10...Dxd1 an, mit einer Variante, die zum Ausgleich führt. 11.Le2 Td8 12.0-0 Le6 13.Da4 a6 14.Db4 Sf5 15.Tac1 c5 16.Da4 Dxa2 17.Dxe4 a5 18.Ta1 Dd5 19.Df4 Kh8 20.Lg4 Se7 21.Lxa5 Sg6 22.Dg3 Te8 23.Lf3 Dxe5 24.Lc7 Dxb2 25.Tab1 Dc2 26.Lxb7 Ta2 27.Tbc1 De2 28.Lf3 Db5 29.Dd6 Tc8 30.Txc5 Db2 31.Ld5 Lxd5 32.Dxd5 h6 33.Le5 Txc5 34.Dd8+ 1-0

 
 
 










Rowson,J (2510) - Von Buelow,G (2295) [D07]
Bundesliga (7), 2002

 

1.d4 d5 2.c4 Sc6 3.cxd5 Dxd5 4.e3 e5 5.Sc3 Lb4 6.Ld2 Lxc3 7.Lxc3 exd4 8.Se2 Sge7 [8...Sf6 der "gesündeste" Zug] 9.Sxd4 Sxd4 10.Dxd4 f6 bei Bronznik nur 10...Dxd4 11.Lc4 Dxd4 12.Lxd4 Sf5 13.0-0-0 Ld7 14.Lc3 0-0-0 15.Lb3 Sd6 16.f3 The8 17.The1 Le6 18.Lc2 h6 19.b3 c5 20.Lb2 Kc7 21.Te2 Sf7 22.Txd8 Txd8 23.Td2 Txd2 24.Kxd2 a5 25.f4 a4 26.e4 axb3 27.Lxb3 Lxb3 28.axb3 Kd7 29.g4 Ke7 30.Kd3 b5 31.h3 g5 32.f5 Se5+ 33.Lxe5 fxe5 34.Kc3 1/2-1/2

 
 
 










Nikolic,S (2040) - Barle,J (2375) [D07]
7th HIT Open, Nova Gorica SLO (7), 2002

 

1.d4 d5 2.c4 Sc6 3.e3 e5 4.dxe5 d4 5.a3 Hier der Hinweis der Redaktion, dass die Stellung aus der Theorie von Albins Gegengambit bekannt ist 5...a5 6.Sf3 Lg4 Bronznik untersucht nur: 6...Lc5, der Partiezug ist aber auch logisch. 7.Le2 dxe3 8.Dxd8+ Txd8 9.Lxe3 Lxf3 10.Lxf3 Sxe5 11.Le2 Sd3+ 12.Lxd3 Txd3 13.Sc3 Se7 14.Ke2 Td7 15.Thd1 Sf5 16.Txd7 Kxd7 17.Td1+ Kc8 18.Sd5 Sxe3 19.Sxe3 Lc5 20.a4 g6 21.Td5 b6 22.g4 Td8 23.Kf3 Td6 24.b3 Tf6+ 25.Ke2 Tf4 26.h3 Ld4 27.Kd3 Lc5 28.Ke2 c6 29.Td3 Kc7 30.f3 Tf6 31.Sc2 Te6+ 32.Kd2 g5 33.Se3 Th6 34.Sf5 Txh3 35.Kc2 h5 36.gxh5 Txh5 37.Td1 Th2+ 38.Td2 Th3 39.Td3 Lb4 40.Te3 Th2+ 41.Kd3 Td2+ 42.Ke4 Lc5 43.Te1 Tb2 44.Th1 Txb3 45.Th7 Tc3 46.Txf7+ Kd8 47.Tg7 Txc4+ 48.Ke5 Txa4 49.Txg5 Ta1 50.Tg8+ Kc7 51.Tg7+ Kb8 52.Sd6 Te1+ 53.Se4 a4 0-1

 

Die neuen Partien bestätigen größtenteils die Einschätzungen des Autors, es gibt aber auch einige neue Züge, die Tschigorin-Theorie ist, im Gegensatz zu vielen anderen Systemen, noch nicht ausanalysiert.


Kurzum: Ein gelungenes Buch zur Tschigorin-Verteidigung, mit viel Material und ausführlichen Kommentaren.

Zielgruppe: Fortgeschrittene Spieler bis Meisterspieler (DWZ etwa 1600-2300) mit eher aggressiver Spielweise für die schwarze Seite; Weißspieler, die das Damengambit spielen.

Besonderheit: 110 ausführlich kommentierte Partien zu einer bisher eher vernachlässigten Verteidigung. Das Werk könnte der Anfang einer Tschigorin-Bewegung sein, es gibt noch genug unklare Abspiele und auch viel Neuland zu entdecken.

 

 

das Buch stellte der Schachverlag Kania, Richard-Wagner-Str. 43, 71701 Schwieberdingen für die Rezension zur Verfügung


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