Reti für Einsteiger Nigel Davis: The Dynamic Reti Rezension von Harald Fietz, September 2004 Kommentare zur Rezension können im Schach-Forum präsentiert werden |
Everyman 2004
ISBN: 1-85744-352-7
144 Seiten; 23,40 Euro
Englisch: Basic level
Bewertung des Rezensenten:
Einsteigen, umsteigen, Zeit sparen, flexibel sein - alles Attribute, die Nigel Davis für seinen Zuschnitt eines Reti-Repertoires für den Weißspieler in Anspruch nimmt. Und wahrlich, welcher strategisch ausgerichtete Spieler im Bereich zwischen DWZ 1500 bis 2000 kommt nicht ins Grübeln, ob nicht eine solche Eröffnungswaffe für sein Level zweckdienlich sein könnte. Ruhig und solide durch die erste Partiephase kommen, im Mittel- oder zur Not im Endspiel kann man es immer noch richten. Bent Larsen, einer der großen Anhänger von Flankeneröffnungen wie dem Reti-System, merkte einmal an: "Sie führen nicht oft zu Vereinfachungen. Und wenn der Angriff pariert wird, hat man für gewöhnlich die Möglichkeit, an anderer Stelle etwas anzuzetteln." Und in diesem Glauben stand er während seiner Glanzzeit in den 60er bis 80er Jahren nicht alleine: Leonid Stein, Viktor Kortschnoi, Wassili Smyslow, Lew Polugajewski, Ulf Andersson, Zoltan Ribli, Oleg Romanischin, Michail Suba, Tony Miles, Jonathan Speelman und Rafael Waganjan bürgen als eifrige Verfechter für Qualität und Erfolg. Was hilft das dem Amateur?
Zunächst sollte er vom Stil her ein aktiver Positionsspieler sein, der Hauptvarianten und Vereinfachungen gerne umgeht, und dazu neigt, am Damenflügel vorzupreschen, während der König mit der kurzen Rochade in Sicherheit bleibt (Ausnahmen - wie die abenteuerliche, unten gezeigte Partie - nicht ausgeschlossen!). Er muss bereit sein, sich mit ungefähr zehn schwarzen Aufbautypen vertraut zu machen. Er sollte eher Ideen als Zugfolgen lernen wollen und er müsste schon einen Sommer für kontinuierliche Vorbereitung aufwenden. Dann kann die nächste Saison mit neuem Elan kommen ... Und bis dahin sollte er dem Etappenplan für Einsteiger von Davis folgen, den dieser schon in anderen Eröffnungsbüchern propagierte. Für die 65 Reti-Modellpartien scheint er wie geschaffen:
Man gewöhnt sich an die Eröffnung, in dem man die Stammpartien in schnellem Tempo durchsieht (Analysen, Anmerkungen und zusätzliche Partien sollten noch ignoriert werden);
Man experimentiert mit Reti in Schnellpartien oder auf Internetspielplattformen;
Man schaut sich die Abspiele aus der eigenen Praxis an und vergleicht diese mit den Varianten im Buch;
Man wiederholt die Schritte zwei und drei über einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen;
Man studiert die Varianten im Buch genauer und notiert alles von Interesse. Idealerweise werden diese Punkte mit Freunden diskutiert;
Man wendet die neue Eröffnung in Turnierpartien an, aber zunächst nicht in jeder Weißbegegnung;
Man analysiert seine Turnierpartien und identifiziert wichtige Wendepunkte und Möglichkeiten zur Verbesserung.
Allerdings muss man sich klar darüber sein, dass es unterschiedlichste Aufbauideen gibt. Doch Davis hilft, da er die Reti-Varianten in Anlehnung an andere Eröffnungen charakterisiert (u.a. Slawisches Damengambit, Benoni mit vertauschen Farben, königsindischer oder holländischer Typus, symmetrische Englische Eröffnung). Außerdem gilt es richtig zu reagieren, wenn Schwarz eher eine geschlossene oder eine offene Bauernstruktur anstrebt (z.B. nach 1.Sf3 d4 2.c4 e6 3.g3 Sf6 4.Lg2 auf c4 nimmt oder mit 4... Le7 fortsetzt).
Reti kennzeichnet zudem, dass Weiß ziemlich genau wissen - mit wachsende Routine intuitiv fühlen - muss, wann welche Figuren wohin ziehen. Schwarz kann beim ersten Zögern häufig ausgleichen. So muss Weiß nach 1.Sf3 d5 2.c4 e6 3.g3 dxc4 beispielsweise 4.Lg2 spielen, statt mit 4.Da4+ Sd7 5.Dxc4 c5 6.Lg2 Sfg6 gleiches Spiel zuzulassen. Mit vielen solcher Tipps erleichtert Davis in den ersten 12 bis 15 Zügen gerade dem Neuling den Einstieg. Mancher psychologischer Hinweis verrät auch, wo plötzliches Einlenken in Hauptvarianten (z.B. die katalanischen Eröffnung) gleichwertig Überraschungen birgt. In den einleitenden Kapiteln hält der Waliser mit eignen Empfehlungen nicht zurück und so werden auch spielstärkere Reti-Fans an Stellen vom ausgewogenen Abgleich bedeutender Partien aus den letzten drei Jahrzehnten profitieren. In erster Linie trifft Davis jedoch den Ton für das Schachvolk. Aber sind wir ehrlich: 98% aller deutschen Schachspieler müssen sich nicht oft mit Titelträgern herumschlagen und profitieren nur bedingt von verästelten Analysen der Supergroßmeister. Davis bietet auf 144 Seiten natürlich kein vollständiges Kompendium, aber er resümiert das Wesentliche. Wie kapriolenreich Spezialisten ihre Eröffnung bisweilen behandeln, legt die folgende, auszugsweise zitierte Partie offen.
Und wer sich gut erinnert, dem fällt ein, dass selbst der große Garry Kasparow anno 1987 in einer Alles-oder-Nichts-Situation mit 1.Sf3 begann, als er die 24. WM-Partie gegen Anatoli Karpow gewinnen musste, um den Titel zu verteidigen! Wer sollte jetzt nicht überzeugt sein?
die Rezension erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 16 / 2004, S.
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das Buch stellte Schach
Niggemann (Industriestr. 10, 46359 Heiden) zur Verfügung