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Thriller einer nimmermüden Legende

Viktor Kortschnoi: Mein Leben für das Schach

Rezension von FM Hartmut Metz, Januar 2005

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Viktor Kortschnoi: Mein Leben für das Schach

Edition Olms
249 Seiten, etwa 30 €
ISBN: 3-487-00409-9

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 5 aus 5

 

   Es gibt wohl keinen anderen Großmeister, der dem Schach alles - selbst andere Menschen - so unterordnete: Der dritte Teil der Autobiographie von Viktor Kortschnoi lautet daher äußerst treffend "Mein Leben für das Schach". Zweimal scheiterte der 73-Jährige erst auf der letzten Stufe zum WM-Thron - während aber alle Weltmeister (so sie nicht früh starben) irgendwann die Lust am Spiel verloren, erlosch bei Kortschnoi nie das Feuer! Jüngster Beweis war das Turnier im norwegischen Drammen. Dort traf der Wahl-Schweizer auf Magnus Carlsen. Der 14-jährige Wunderknabe, seines Zeichens jüngster Großmeister des Planeten, könnte Kortschnois Urenkel sein. Gnade kannte "Viktor der Schreckliche" trotzdem nicht. Mit gewohntem Einsatz erteilte der einstige St. Petersburger in 40 Zügen dem kleinen Norweger eine kostenlose Lektion. Wie die stets unterhaltsame Webseite der Hamburger Firma ChessBase ausrechnete, ist Kortschnoi damit gegen Topspieler in einer Altersspanne von 101 Jahren angetreten! Vor rund einem halben Jahrhundert war der Wohlener am Brett auf den 1889 geborenen Grigori Löwenfisch getroffen. Ein besonderer Rekord.

   Nach den beiden "Meine besten Kämpfe" (jeweils 25 Euro), die Kortschnois wichtigsten Erfolge mit Weiß (Band 1) und Schwarz (Band 2) beinhalten, ist der dritte und letzte Teil vor allem ein Schach-Thriller. In "Mein Leben für das Schach" finden sich auf den 248 Seiten keine Gewinnpartien des Altmeisters mehr. Lediglich zehn Duelle werden aufgelistet, beispielsweise die Niederlage 1962 beim Interzonenturnier in Stockholm gegen Bobby Fischer oder Kortschnois Remis 1986 in Brüssel gegen Garri Kasparow. Siege des Schweizers fehlen - schließlich hatte er diese zuhauf in den beiden ersten Bänden veröffentlicht. Als Ersatz gibt es aber in Band 3 eine CD mit 4.250 Partien der nimmermüden Legende.

 

Viktor Kortschnoi

Viktor Kortschnoi

 

   Bei dem Werk handelt es sich somit vor allem um ein Lesebuch - und was für eines! Das liegt zum einen am bewegten Leben des 1976 aus der Sowjetunion geflüchteten Vizeweltmeisters, zum anderen an seinen kompromisslosen subjektiven Erzählungen. Kortschnoi nutzt die Trilogie zu einer Abrechnung an all jenen, die ihm seiner Ansicht nach Unrecht zufügten. Im Mittelpunkt dabei: sein Erzfeind Anatoli Karpow, der ihn 1978 in Baguio und 1981 in Meran vom höchsten Titel fern hielt. Ihr Fett weg bekommen auch die Weltmeister Michail Botwinnik, Wassili Smyslow und Tigran Petrosjan. Eigene Fehler und Unsportlichkeiten gesteht der in über 150 Turnieren siegreiche Großmeister jedoch ebenso ein. Ungeachtet dessen, dass Kortschnoi selbst häufig am Brett seinen geäußerten moralischen Ansprüchen nicht gerecht wurde, nimmt "Mein Leben für das Schach" einen besonderen Platz in der Historie des Denksports ein. Und nicht nur das! Es ist vor allem ein zeitgeschichtliches Werk zum von Politik bestimmten Sport in der Sowjetunion.

   Im Epilog des Werks verweist Kortschnoi auf das, was ihm am meisten Freude macht: Siege am Schachbrett. Im Sommer gewann der 73-Jährige, wie er gerne erwähnt, die Turniere im ungarischen Paks und in Montreal. Von dort stammt die nachstehende Partie.

 










Hebert,Jean (2415) - Kortschnoi,Viktor (2594) [E14]
Quebec Open Montreal CAN (6), 21.07.2004

1.Sf3 Sf6 2.c4 b6 3.d4 e6 4.e3 Lb4+ 5.Ld2 Le7 6.Sc3 Lb7 7.Ld3 d5 8.cxd5 exd5 9.Da4+ c6 10.Se5 0-0 11.b4 Ld6 12.f4 b5 13.Db3 a5 14.bxa5 b4 15.Se2 Sa6 16.Tc1? [16.a3 Dxa5 17.Tb1 c5 18.axb4 cxb4 führt zu einer ungefähr ausgeglichenen Stellung.] 16...c5! Schwarz übernimmt mit dem energischen Vorstoß die Regie. 17.Lxa6 Lxa6 18.Sc6 Dd7 19.dxc5 Lxe2 20.Kxe2?! [Die Folgen von 20.cxd6! sind in einer praktischen Partie nicht abzuschätzen. Tatsächlich überlebt Weiß den schwarzen Angriff, so der Anziehende alle genauen Züge findet: 20...Dg4 21.Tg1 La6 22.Sd4 Dh4+ 23.Kd1 Lc4 24.Da4 Se4 25.Lxb4 Tfb8 26.a3 (26.h3? Df2 27.Te1 Ld3 28.Tc2 Lxc2+ 29.Dxc2 (29.Sxc2 Sc3+! 30.Lxc3 Tb1# ) 29...Txb4 ) 26...Dxh2 27.Te1 Dxg2 28.Tc2 Sf2+ 29.Kd2 (29.Kc1 Sd3+ ) 29...Sd3+ 30.Te2 De4 31.Tc3 Sxb4 32.axb4 Lxe2 33.Kxe2 und Schwarz sollte nach einem Dauerschach Ausschau halten, ehe die weißen Freibauern weiter nach vorne marschieren.] 20...Lxf4! 21.Dxb4?! [21.Sd4 ist besser.] 21...Dxc6 22.Dxf4 d4 [22...Se4! scheint noch stärker. 23.Thd1 Db5+ 24.Kf3 Ta6 25.c6 Txc6 26.Txc6 Dxc6 27.Lb4 Te8 28.Te1 Dc2 29.Te2 Db1 30.Le1 d4! 31.exd4 Dd3+ 32.Te3 (32.De3 Sg5+ 33.Kf2 Txe3 ) 32...Df1+ 33.Kg4 h5+ 34.Kf5 (34.Kh3 Dxf4 ) 34...g6# ] 23.exd4 Dxg2+ 24.Kd3 Dg6+ 25.Kc4 Se4 26.Lb4? Danach ist es aus. [26.d5 bietet am meisten Widerstand, erhält der König doch ein weiteres Fluchtfeld auf d4.] 26...Da6+ 27.Kb3 Dd3+ 28.Kb2 Tfb8 29.Thd1 [29.a3 verliert in allen Varianten wegen eines Springerabzugs die Dame: 29...Dxd4+ 30.Kb3 Sxc5+ 31.Txc5 Dxf4 ] 29...Txb4+ 30.Ka1 De2 31.Tb1 Sc3 Setzt in vier Zügen matt. [31...Dxa2+! hätte die schwarze Partieanlage indes durch ein optisch immer schönes Damenopfer noch mehr gekrönt: 32.Kxa2 Txa5# ] 0-1

 

   Zudem noch Kortschnois Sieg über seinen "Urenkel" Carlsen in Drammen:

 










Korchnoi,V (2601) - Carlsen,M (2581) [D34]
Smartfish Masters Drammen NOR (3), 29.12.2004

1.c4 Sf6 2.Sc3 c5 3.g3 e6 4.Sf3 Sc6 5.Lg2 d5 6.cxd5 exd5 7.d4 Le7 8.Le3 c4 9.Se5 0-0 10.0-0 Le6 11.Sxc4 dxc4 12.d5 Sxd5 13.Sxd5 Lf6 14.Dd2 Ld4 15.Sf4 Lxe3 16.Dxe3 Te8 17.Tfd1 Df6 18.Lxc6 bxc6 19.Dd4 Dxd4 20.Txd4 Ld5 21.Tad1 c3 22.Sxd5 cxd5 23.bxc3 Txe2 24.Txd5 g6 25.T5d2 Txd2 26.Txd2 Tc8 27.Tc2 Tc4 28.Kf1 Kf8 29.Ke2 Ke7 30.Kd3 Ta4 31.Td2 Ke6 32.c4 Ta3+ 33.Ke4 h5 34.f4 f6 35.Te2 Ta4 36.Kd4+ Kd6 37.Tf2 Ta5 38.Kc3 Kc5 39.Kb3 Ta6 40.Td2 1-0

 

   Abschließend die zwei letzten bezeichnenden Antworten, die Viktor Kortschnoi im Interview in der Sonntags-FAZ zu seinem Buch gab: "Gibt es für Sie ein Leben nach dem Schach?" "Nein." "Nehmen Sie ein Schachbrett mit ins Grab?" "Ja, besser ist es. Aus meinem Buch kennen Sie die Geschichte mit Geza Maroczy, der kein Schachbrett hatte, als er vom Jenseits aus mit mir spielte. Ich werde vorsorglich eins mitnehmen." Das glaubt man nach der Lektüre von "Mein Leben für das Schach" zweifellos!


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