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Finger weg

Schachbücher, die keiner braucht

Rezension von Harald Fietz, Juni 2004

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   Trotz elektronischer Medien rund um das königliche Spiel boomt der Schachbuchmarkt. Reichlich neue Schreiber packen vernachlässigte Themen an; Schachliebhaber mit dem Drang zur Steigerung ihrer Spielstärke kommen auf ihre Kosten. Doch bisweilen liegen dem Rezensenten Werke auf den Tisch (und auf der Seele), die über den wahren Inhalt täuschen, ein Thema schlicht zerschreiben oder didaktisch langweilig sind. Ein kritisches Fachblatt (respektive eine kritische Internetplattform) muss Position beziehen: Finger weg kann die Devise dann nur lauten. Aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen kommen Neuerscheinungen, die sich in ihrem Genre nicht mit vergleichbaren Vorgängern messen können.

 

Lev Alburt, Larry Parr: Secrets of the Russian Chess Masters (1)

 

Lev Alburt, Larry Parr: Secrets of the Russian Chess Masters (2)

Norton Verlag 2003
ISBN 0-393-32452-4
286 Seiten; 22,40 Euro
Sprache: Intermediate English

Norton Verlag 2003
ISBN 0-393-32451-6
229 Seiten; 22,40 Euro
Sprache: Intermediate English

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 2 aus 5

 

Wo sind die Russen?

   Amerikanische Verlage sind für kundenheischende Titel berühmt (und bisweilen berüchtigt). "Geheimnisse der russischen Meister" weckt Erwartungen, zumal der Buchrücken vollmundig verkündet: "Die russische Dominanz im modernen Schach basierte auf einem einzigartig erfolgreichen Programm der Schacherziehung. Dieses Programm ist nun in gestraffter Form für den amerikanischen Leser in einer Reihe von Bänden angepasst worden. Dies ermöglicht dem Leser eine schrittweise Entwicklung vom Anfänger- zu Expertenniveau." Der dreifache US-Meister Lev Alburt, der sich 1976 während einer Europacup-Mannschaftsveranstaltung in Solingen von seinem sowjetischen Team absetzte und in die USA emigrierte, und Larry Parr, der Herausgeber des Anfang des Jahres eingestellten "Chess Life" Magazins des US-Verbandes, wollen dieses ambitionierte Anliegen einlösen. Gelungen ist es ihnen nicht!

   Zwei Bände mit zusammen 515 Seiten in einspaltigem, "luftigen" Layout hätten - entsprechend deutschen oder englischen Vorbildern - auf gut die Hälfte des Umfangs gepasst. Angesprochen werden im ersten Teil Anfänger, im zweiten Spieler bis einem Level von 1400. Alles konventionell: Kombinationen (lerntechnisch ungeschickt mit Lösungen auf der gleichen oder gegenüberliegenden Seite), einige Partien, wichtige Eröffnungen in Kurzabrissen und ein paar Endspielstellungen. Über die russische Schachschule und ihre Erfolgsfaktoren erfährt man schlichtweg nichts. Bisweilen lesen sich Definitionen über Taktik und Strategie ganz gefällig, vereinzelte Checklisten helfen dem Neuling sicher. Aber was sich in Amerika - wo Schach häufiger im "community work", der sozialen Stadtteilarbeit, eingesetzt wird - für die Zielgruppe der Einsteiger eignet, ist in Europa längst vorhanden. Mit einem Klassiker wie Rudolf Teschners "Eine Schule des Schachs in 40 Stunden" (demnächst in 5. aktualisierter Ausgabe Edition Olms) ist man für das halbe Geld mindestens genau so systematisch bedient.

 

Tanya Jones: Survival Guide for Chess Parents

Everyman 2003
ISBN 1-85744-340-3
174 Seiten; 20,35 Euro
Sprache: Advanced English

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 1 aus 5

 

Die geschwätzige Engländerin

   Um das Umfeld von Jugendturnieren geht im Werk von Tanya Jones, der Mutter des heuer 16-jährigen Gawain Jones. Mit sechs Jahren spielte ihr Sohn 1993 sein erstes Turnier. Mit neun Jahren geriet er in die Schlagzeilen, als er einen IM schlug (Malcom Pein hieß der Unglückliche). Seit Anfang 2000 steigerte der Engländer, der mit seinen Eltern zeitweise in Italien lebt, seine Elo-Zahl von 2160 auf 2387 in der Januarliste 2004. Oft begleitete ihn seine Mutter, eine ehemaligen Lehrerin, die sich bereits als Autorin lustiger Geschichten versuchte. Im Vorwort bekennt sie freimütig, dass ihr die Lösung einer vierzügigen Kombination selten verständlich ist, sie aber die Anfahrtsskizze zum nächsten Turnier sehr wohl versteht. Welche Ratschläge können Schacheltern angesichts dieser Kompetenz erwarten? Wenige und die oft als banale Statements (im schlimmsten Fall "zum Schachspielen brauchen Sie zuerst ein Brett und Figuren" S. 164 oder "in Turnieren nach Schweizer System beginnt jeder Spieler - logisch genug - beim Stand von null Punkten" S.57). Da Frau Jones ihre literarische Begabung nutzt, werden solche Aussagen (wie auch viele für Kontinentaleuropäer uninteressante Eigenheiten der britischen und amerikanischen Jugendturnierszene) in langatmige Abschnitte verpackt. Wissenswertes von allgemeinem Interesse über Trainer, Training und Turniere gibt es kaum. Zusammenfassungen, Checklisten, Glossars u. ä. fehlen. 25 Partien von Gawain sind zwar gefällig kommentiert, erhellen aber nicht, wie sich ein Talent von einen Spielstärkeniveau zur nächsten Stufe hievt.

   Das Buch ist genau so überflüssig wie Dschungelsendungen eines privaten Fernsehkanals. Um das durchaus packende Thema der Rolle von Eltern in der Förderung sportbegabter Talente, was sicher Parallelen zu anderen Sportarten zulässt, fundiert zu erschließen, bedarf es des kritischen Außenblick eines Schachfachmanns mit ausreichenden sport- und erziehungswissenschaftlichen Kenntnissen. Noch bleibt abzuwarten, ob - in welcher Sprache auch immer - diese Materie in verständlicher Schreibe weniger geschwätzig und objektiv eingegrenzt wird.

 

Vaidyanathan Ravikumar: Chess Tactics Quiz Book

Chess Check
ISBN 81-901403-0-2
179 Seiten; 12,99 Euro
Sprache: Basic English

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 1,5 aus 5

 

Wenn Inder alles verraten

   Die asiatischen Schachschulen - allen voran in China und Indien - sind stark von einem taktisch orientierten Schachverständnis geprägt. Viswanathan Anand, einer der Größten der Zunft, kommt - wie Vaidyanthan Ravikumar, der Autor eines neuen Taktikbuchs - aus der indischen Schachhochburg Chennai. Der 1959 geborene Ravikumar gelangte zu frühem Ruhm, da er 1978 als zweiter Spieler seines Landes - nach einer Unterbrechung von 17 Jahren - einen IM-Titel holte. In den vergangenen Jahren spielte er nicht mehr international, arbeitete aber zehn Jahre als Jugendcoach in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Als Buchautor schrieb er über die Caro-Kann Verteidigung, das Wolga-Gambit und gab Partiensammlungen über Jan Timman, Ulf Andersson und Anatoli Karpow heraus. Nun wandte er sich der Taktik zu.

   Herausgekommen ist ein phantasieloses Werk mit 14 Abschnitten ohne thematische Bezeichnungen. Jeweils zwei Stellungen pro Seite haben ein Motiv als Überschrift (Linienöffnung, Fesselung etc.), ein Einführungstext stößt einen fast sicher auf die Lösung, ein Hinweis am Seitenende macht die Angelegenheit offenkundig. Die meisten Stellungen der jüngeren Turniergeschichte sind - ziemlich eindimensional - durch bloß eine bestimmte Zugfolge zu lösen. Neu ist das alles nicht, weder methodisch noch in der Reihenfolge des Lernens. Spielstärken bis DZW 1500 können - mit gutem Schulenglisch - aus dieser drucktechnisch leider unterdurchschnittlichen Produktion (dünnes Papier, durchschimmernder Druck) möglicherweise einen Nutzen ziehen. Wie in Buchbesprechungen jüngst erörtert (auf der Test-Internetplattform einsehbar), stehen aber mehr als ausreichend Übungsbücher besserer Qualität in den Regalen der Schachbuchhändler.

 

 

die Rezension erschien zuerst in Schachmagazin 64; Nr. 11 / 2004, S. 299
die Rezensionsexemplare stellte die Firma Niggemann (Industriestraße 10, 46359 Heiden) zur Verfügung.


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