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Harald Keilhack, "Der Linksspringer 1.Sc3"

Das umfangreiche Theoriebuch im Test

von Robert Miklos, Mai 2003

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Harald Keilhack: Der Linksspringer 1.Sc3

Schachverlag Kania
399 Seiten, etwa 25 €
ISBN: 3-931192-20-2
Sprache: Deutsch

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 5 aus 5

 

   Der Verlag, der einen Springer als Logo hat, tendiert zu Eröffnungen, in denen die Springer zu großen Ehren kommen. Harald Keilhack selbst hat ein Buch über 1...Sc6 geschrieben; Valeri Bronzniks letztjähriges Werk "Die Tschigorin-Verteidigung" befasst sich auch mit einem frühen Damenspringerzug im Damengambit. Und nun das vorliegende Werk, das dem Bronznik-Buch äußerlich (Hardcover, Fadenbindung, Karikatur als Titelbild) sehr ähnlich sieht. Keilhack befasst sich mit dem "Linksspringer 1.Sc3",  es gibt noch mehr Namen dafür, die bekanntesten(!): Damenspringerangriff, "Dunst Opening", Sleipner (oder ähnlich), van Geet.

   Laut Keilhack ist 1.Sc3 eine der verkannten Eröffnungen, dabei ist der Linksspringer weder sehr verpflichtend noch abwegig. Es gibt, falls vom Spieler erwünscht, Übergänge aus oder in bekanntere Varianten (Wiener Partie, geschlossener Sizilianer, Skandinavisch, Aljechin-Verteidigung, Damenbauerspiele). Auf den 399 Seiten wird die Eröffnungstheorie mit 99 teilweise sehr ausführlich kommentierten Partien präsentiert. Die Partien und Fragmente sind bunt gemischt, von Fernschachbegegnungen bis zu freien Blitzpartien oder sogar Bullet aus dem ICC werden alle Partienformen angeboten. Eine Stärke des Buches ist, dass man viel Allgemeines erfährt, das Buch hat somit einen zweifachen Wert: Es präsentiert die Eröffnungstheorie und dient auch als Schachlehrbuch in den Bereichen Eröffnung und auch Mittelspiel. Allerdings sind die Weisheiten überall verteilt - das ist aber auch die Kür, die Pflicht, der Theorieteil, ist bestens abgedeckt. Das Ganze ist auch noch mit Schachphilosophie garniert (es gibt z.B. mehr oder weniger umfangreiche teilweise polemische Stellungsnahmen zu den Eröffnungs-CDs, Partiensammlungen mit ihren "kommentierten" Partien, Bücher à la "Gewinnen mit xy", "dumme" Computer und viel mehr).

 
Modernes Schach

Die Stellung ist nach 9...f5 unklar

 

   Das Buch ist nichts für unbelehrbare Anhänger des "klassischen Schachs", auf Seite 266 z.B. springt das linke Diagramm ins Auge, in der die Stellung nach f5 "unklar" sein soll. Es ist kein Zufall, dass das wichtigste Werk, auf das immer wieder hingewiesen wird, Watsons moderner Klassiker "Geheimnisse der modernen Schachstrategie" ist, das mit vielen Vorurteilen aufzuräumen versucht.

   Auf Seite 194 findet sich ein erstaunlicher Zug in der Stellung des rechten Diagramms, der in der Partie Reefschläger - Klings, Baden-Baden 1988 vorkam. Die Partie begann übrigens mit 1. e4 c6 2. f4 d5 3.Sc3, in vielen halboffenen Eröffnungen (Weiß spielt 1.e4 und Schwarz antwortet nicht 1...e5) kommt man mit 2.Sc3 oder 3.Sc3 in Linksspringer- Stellungen - hilfreich für e4-Spieler, die nicht immer Hauptvarianten spielen möchten.

   Lustig: Eine Sc3-Verlustpartie wurde aus Frust ironisch kommentiert und in einer schwäbischen Zeitung veröffentlicht. Einer der Vorgängerautoren übernahm die Kommentare widerspruchlos - Keilhack bringt endlich Klarheit.

  Erstaunlicher Zug von Reefschläger

Kf2!! löst die weißen Stellungsprobleme

 

   Hier eine aktuellere Partie nach Redaktionsschluss des Buches, in der dem Weißspieler Keilhacks Erkenntnisse wahrscheinlich geholfen hätten:

 










Collutiis,D (2325) - Grabarczyk,M (2506) [A00]
Open Cappelle la Grande FRA (8), 28.02.2003

 

1.Sc3 e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 exd4 4.Sxd4 Sf6 5.Lg5 Lb4 6.Sxc6 dxc6 7.Dxd8+ Kxd8 8.0-0-0+ Ke7 9.Se4 [ 9.f3! Keilhacks Empfehlung in einer ähnlichen Stellung, danach e4, der Lg5 orientiert sich Richtung e3/f2] 9...h6 10.Lxf6+ gxf6 11.e3 h5 12.a3 Ld6 13.h4 Lg4 14.Sxd6 cxd6 15.Td2 d5 16.c3 Lf5 17.Le2 Tag8 18.g3 Lg4 19.Lxg4 Txg4 20.Td4 f5 21.Thd1 Td8 22.T1d2 Td6 23.Kd1 Ke6 24.Ke2 c5 25.T4d3 a5 26.Kf3 a4 27.Ke2 Tg8 28.f3 Tgd8 29.Kf2 Ke5 30.Ke2 Tb6 31.Kf2 Tg6 32.Td1 Tb6 33.T1d2 Td7 34.Ke2 Tg6 35.Kf2 Tgd6 36.Td1 Tc6 37.T1d2 Td8 38.Ke2 Ke6 39.Kf2 Tdd6 40.Td1 Tb6 41.T1d2 Tb3 42.Ke2 Tbb6 43.Kf2 Ke5 44.Ke2 Ke6 45.Kf2 Tb3 46.Ke2 c4 47.Td4 Tdb6 48.Txd5 Txb2 49.e4 fxe4 50.fxe4 T2b3 51.Txh5 Txc3 52.Th6+ f6 53.g4 Txa3 54.g5 Ke5 55.Tc2 Th3 56.Txf6 Txf6 57.gxf6 Kxf6 58.Txc4 a3 59.Kd2 b5 60.Tc6+ Ke7 61.Kc1 Th1+ 0-1

 

   In Batsfords Modern Chess Openings aus dem Jahr 2000 erhält 1.Sc3 auf der allerletzten Seite zwei Variantenspalten, genausoviel wie Grob 1.g4 oder Sokolski 1.b4. Hier eine kleine Übersicht über die Eröffnung, mit einigen (natürlich gekürzten) Kommentaren von Keilhack:

 










Linksspringer in Batsfords Modern Chess Openings (MCO) 2000

 

1.Sc3 d5 [ 1...c5 2.Sf3 "die systemgemäße Forsetzung ... darüber sind sich alle Linksspringerautoren einig" ( bei MCO kommt noch vor: 2.d4 cxd4 3.Dxd4 Sc6 4.Dh4 g6 5.Ld2 Lg7 6.e4 d6 7.0-0-0 Le6 8.Sd5 Lxd5 9.exd5 Db6 ) 2...Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 g6 5.Le3 ( 5.Lf4?! "miserabler Zug" 5...d6! (Keilhack liefert gleich noch einen guten Zug 5...Sf6 ) ; 5.e4 ) 5...Lg7 6.Sxc6 bxc6 7.Ld4 Sf6 ( 7...e5 hk: die ehrgeizigste Fortsetzung 8.Lc5 d5 ) 8.Se4 Tb8 9.Sxf6+ Lxf6 ( 9...exf6! ) 10.Lxf6 exf6 11.Dd4 d5 12.0-0-0 De7 ; 1...e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 exd4 4.Sxd4 Weiß hat Chancen auf Initiative (MCO) Keilhack widmet dieser Variante 25 Seiten, u.a. auch: 4...Sxd4 5.Dxd4 was nach der "herkömmlichen" Theorie für Weiß gut sein müsste; 1...f5? für Keilhack ist der Zug höchstens ?! 2.e4 fxe4 3.d3 exd3 4.Lxd3 Sf6 5.g4 ] 2.e4 [ 2.d4 Sf6 3.Lg5 ; 2.e3 e5 ] 2...d4 [ 2...dxe4 3.Sxe4 e5 4.Sf3 "gilt als vergleichsweise harmlos" 4...Sf6 5.Sc3 Lg4 6.Le2 Sc6 7.d3 Lb4 8.Lg5 0-0 9.0-0 Lxc3 10.bxc3 h6 ] 3.Sce2 der van-Geet-Angriff, dazu bietet Keilhack acht Strategie-Lektionen (als kommentierte Partien zu einem bestimmten Thema wie z.B. Doppelbauer auf c6 oder Aufmarsch des schwarzen h-Bauern) 3...e5 4.f4 eine spannende Alternative zu 4.Sg3 4...exf4 5.Sxf4 [und jetzt besser: 5.Sf3! "schränkt die schwarzen Möglichkeiten ein" 5...Sc6 6.Sxf4 Lg4 7.Lc4 Se5 8.Sxe5 Lxd1 9.Lxf7+ Ke7 10.Sd5+ Kd6 11.Sc4+ Kc5 12.Kxd1 war die Partie van Bellen - van der Wulp Oegstgeest 1985 1:0/52] 5...Ld6 6.d3 Se7 7.c3 Sg6 8.Sxg6 hxg6 9.Da4+ Sc6 10.Sf3 Lg4 11.Lg5 f6 12.Ld2 Lg3+ 13.hxg3 Txh1 14.Sxd4 Dd7 steht bei Keilhack nur als kleine Randnotiz drin, da er ja eine Verbesserung (5.Sf3!) präsentiert hat.

 
Fehler  

   Die Analysen sind schwer anfechtbar. Der Autor hat viel Arbeit reingesteckt (er widerspricht öfter mal den Einschätzungen der wenigen Vorgänger). Keilhack betont öfter, dass die Schachprogramme viele der Stellungen nicht "verstehen" - was auch die Beliebtheit im Fernschach erklärt und einige Varianten als Anti-Computerschach prädestiniert. Andererseits kann es wegen der geringen Partienzahl in einigen Abspielen gut sein, dass sich die Theorie anders entwickeln wird. Mit der Materialfülle geht auch eine leichte Unübersichtlichkeit einher, die der Verlag mit nur gerinfügig unterschiedlichen Schriftgrößen zu zähmen versucht.

   Nach langer Suche fand sich endlich ein Makel: Auf dem Titelbild, einer Karikatur von Frank Stiefel, hat sich ein kleiner Schandfleck auf dem weißen Springerhals verirrt ;-) Tippfehler oder Ähnliches gibt es, wie frustrierend für einen Rezensenten, kaum, bis auf ein Vertauschen von "Schwarz" und "Weiß" auf Seite 317 unten und die falsche Jahreszahl für die Partie Bird-Showalter auf Seite 328, die mit 1989 statt 1889 angegeben ist. Als größerer Patzer dürfte die Verwendung der alten Rechtschreibung ("daß" statt "dass") gelten, Keilhack ist allerdings ein bekennender Gegner der neuen Rechtschreibung. Am Ende des Buches gibt es einen Variantenindex und das Quellenverzeichnis; ein Partien- oder Spielerverzeichnis wäre noch interessant gewesen.

 

   Das Buch ist empfehlenswert für e4-Spieler, die auf der Suche nach einer leicht zu integrierenden Zweitwaffe sind, zudem sollte sich jeder mit Schwarz Spielende (und wer ist das nicht?) überlegen, was er spielen würde, wenn 1.Sc3 aufs Brett käme. Keilhacks Buch hat mich auch an ein anderes Kania-Werk erinnert. 1996 brachte IM Rainer Kraut (der jahrelang meinen früheren Rastatter Verein trainierte, von dem in letzter Zeit aber gar nichts mehr zu hören war) ein dickes, mit Varianten in kleinerer Schrift vollgepacktes 351-seitiges Buch "Sizilianisch mit Lb5(+)" heraus. Damals, trotz der Materialfülle eine eher selten gespielte Nebenvariante, heute bis auf allerhöchstem Niveau stark in Mode gekommen (auch wegen des Respekts vieler Weißspieler vor Sweschnikow). Wird der Linksspringer auch so erfolgreich sein? Es spricht wenig dagegen.

 

Eine zweite Meinung: Rezension von Harald Fietz.

 

 

das Buch stellte der Schachverlag Kania, Richard-Wagner-Str. 43, 71701 Schwieberdingen für die Rezension zur Verfügung


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