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Lasker ungeschminkt

Neues zur Schachpraxis des zweiten Schachweltmeisters auf CD

von Harald Fietz, Februar 2003

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Chessbase Monographie: Weltmeister Emanuel Lasker

ChessBase 2002, ca. 26 Euro
ChessBase Monographie CD-ROM IBSN 3-935602-39-1
Systemvoraussetzungen: Pentium-PC, Win95/98/2000/ME/XP, CD-Laufwerk, Soundkarte

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4,0 aus 5

 

   Häufig verhärten sich mit der Zeit Vorurteile. Je weiter der historische Abstand, desto verklärter das Bild einer Persönlichkeit. Für Schach gilt das auch, aber das Erbe von vielen tausend Zügen lässt sich mit moderner Technik problemlos im Spiegel heutigen Wissens prüfen. Dies hat ein Team von Schachexperten unter der Regie des Leipziger GM Rainer Knaak für die Firma ChessBase zum Schachwerk Emanuel Laskers getan. Herausgekommen ist eine Monographie, welche facettenreich Stärken und Schwächen seiner Kämpfe und seiner Spielphilosophie beleuchtet.

   Bereits frühere Untersuchungen von Robert Hübner für das ChessBase Magazin zeigten, dass sich in der schachlichen Bewertung viele Fehlurteile jahrzehntelang "vererbten". Eine vollständige, kritische Bestandsaufnahme fehlt, wäre aber wünschenswert, meint der Lasker-Forscher Dr. Ulrich Sieg. Nun ist man bei der Spurensuche eine Strecke vorangekommen und dabei ist es sicher ein Vorteil, dass Suchfunktionen (z.B. Eröffnungscheck), Motivvergleiche (z.B. von Bauernstrukturen) und Analyseprogramme die Prüfung und die Darstellung neuer Abschätzungen und den Abgleich mit bekannten - bisweilen kontroversen - Urteilen über den Spielstil Laskers wesentlich erleichtern. Fünf Mitarbeiter nahmen markante Turniererfolge unter die Lupe:

Die Analysen erfolgten unabhängig von einander; die Schlussfolgerungen fokussierten jedoch auf vergleichbare Themen. Einige zentrale Thesen zeigen, was diese CD aufdeckt.

Laskers psychologische Herangehensweise: Diese kam bisweilen vor, aber prinzipiell war er mehr ein nach Objektivität trachtender Spieler (Rogozenko). Als Beispiel für die psychologische Mär kann u. U. der Übergang in ein Endspiel mit zwei Minusbauern gegen Emanuel Schiffers gelten. Lasker "vertraute" darauf, dass sein Gegner fehlgreifen wird.

 










E. Lasker - E. Schiffers [D02]
Nürnberg 1896, Analyse von Rainer Knaak

 

1.d4 d5 2.Sf3 Lg4 3.Se5 Lf5 4.c4 f6 5.Sf3 e6 6.Db3 b6 7.Sc3 c6 8.a4! Sa6?! 9.cxd5 exd5 10.e4 dxe4 11.Lxa6? [ 11.Sh4 (Fritz) ist logischer: 11...Lc8[] 12.Lc4 ( 12.Lxa6 ist auch nicht schlecht.) 12...g5 ( 12...Se7 13.Lf7+ Kd7 14.Sxe4+- ) 13.Lxg8 De7 14.0-0 gxh4 15.Sxe4+- ] 11...exf3 12.0-0 Ld6 13.Lb7 Lxh2+! 14.Kxh2 [ 14.Kh1 Lc7 15.Lxc6+ Kf8 16.Lxa8 Dxd4 17.g3 Dg4 18.Kg1 Lxg3 19.Lxf3 Dxf3 20.Db4+ Se7 21.fxg3 Dxg3+ 22.Kh1 Schwarz hat wenigstens Remis.] 14...Dc7+ 15.g3 Dxb7 16.Te1+ Se7 17.Lf4 0-0-0 18.a5 [ 18.Sb5!? (Fritz) doch die eigentliche Drohung ist nur ein Qualitätsgewinn.] 18...Sg6 19.axb6 Dxb6 20.Dxb6 axb6 Weiß hat eine ordentliche Kompensation für das eingebüßte Material, doch für zwei Mehrbauern sollte sie nicht ausreichen, d.h. Schwarz muss hier besser stehen. Wie Lasker die Partie sogar noch gewinnt, das ist schon sehr lehrreich. 21.Ta7 Td7 22.Tea1 Txa7 23.Txa7 Te8 24.d5 [ 24.Tc7+ Kd8 25.Txc6 Sxf4 26.gxf4 Te6!-/+ ] 24...cxd5 [ 24...Te7 dürfte Schwarz ebenfalls klaren Vorteil geben.] 25.Sxd5 Sxf4? Schmeißt die Gewinnstellung weg. [ 25...Te2! ] 26.gxf4 Te2 27.Kg3 Txb2 28.Txg7! Lasker spielt auf Gewinn. 28...Kb8 29.Sxf6 b5 30.Tg5 Ld3 31.Sd7+ Kc7 32.Se5 Le4 33.f5 Ta2 34.f6 Ta8 35.f7 Kd6 36.Tg8 Ke7 37.Kf4 Ld5 38.Tg7 Laut Datenbank wurde die Partie über 100 Jahre später bis hierher von zwei U16-Spielern nachgespielt, aber das ist mit Sicherheit ein Fake. 38...Th8 [ 38...Kf6 39.Txh7 Ta4+ 40.Kg3 Lxf7 41.Sxf7 Kg6 42.Th1 Kxf7 1/2-1/2 Dallakian,O-Scalisi,C/Bergneustadt 2000/EXT 2001 (42)] 39.Kg5 h6+ 40.Kf5 Le6+ 41.Kg6 Tc8 42.Th7 b4?! [ 42...Tf8= ] 43.f8D+ Kxf8 44.Kf6 Lg8? Erst dieser Zug verliert. [ 44...Kg8 45.Tg7+ Kf8 46.Te7 Lf5 47.Tf7+ Ke8 48.Kxf5 Tc2 49.Ke6 Txf2 50.Tb7 Td2= ] 45.Te7 Lh7 46.Txh7 Kg8 47.Tg7+ Kf8 48.Tb7 Ta8 49.Tf7+ Anmerkung Harald Fietz: Nach der Veröffentlichung in SM 64, Nr.3/2003 wies der Leser Hans Siegfried darauf hin, dass Weiß 55.Td7# spielen konnte. Nach Konsultationen mehrer Buchquellen ergibt sich gegenüber der auf der CD angegebenen Notation ein Unterschied. Das Original-Turnier-Buch von S. Tarrasch und Chr. Schröder (Reprint BCM 1974) führt nach dem 49. Zug aus, dass Weiß ein Matt in sechs Zügen ankündigte und beschließt die Zugfolge mit 54.Ta7 K beliebig und 55.Td7# . Ken Whyld in seinem Sammelband "The Collected games of Emanuel Lasker" endet bei Zug 49 mit der Anmerkung, dass ein sechszügiges Matt angekündigt wurde. Auch in der Biographie von Isaak und Wladimir Linder aus dem Sportverlag hört die Partie bei Zug 49 auf. Hingegen folgt die unter Leitung von Alexander Khalifman herausgegebene Sammlung (Vol. 1 Games 1889-1903) der auf der CD wiedergegebenen Version. Sicher insgesamt sicher kein "Beinbruch" in der Schachgeschichte, aber ein Beleg, wie genau man an Originalquellen recherchieren sollte. 49...Ke8 50.Te7+ Kd8 51.Sf7+ Kc8 52.Sd6+ Kd8 53.Ke6 Ta7 54.Txa7 b3 55.Ta8+ 1-0

 

Laskers theoretische Beschlagenheit: Hier lassen sich Unterschiede im Laufe seiner Karriere ausmachen. Trotz des überragenden Resultats in Nürnberg 1896 (13,5 Punkte aus 18 Partien) spielte er dort die Eröffnungen anspruchslos. Von den zwölf Siegen sind lt. Knaak mindestens fünf unter "zweifelhafter" Mithilfe der Gegner zustande gekommen. Aber Lasker kannte auch viele Feinheiten in seinen Eröffnungssystemen und wandte diese besser als seine Kontrahenten an. So ist die berühmte Idee des anti-positionellen Zugs 12.f5 aus der entscheidenden Partie Lasker-Capablanca (St. Petersburg 1914) von ihm bereits zuvor in einer Partie gegen David Janowski (dritte Partie des WM-Kampfs 1909) angewandt worden (darauf verweist Stohl in seinem Beitrag).

Laskers Verteidigung: Lasker verteidigte sich gerne, wenn er aktives Gegenspiel anstreben konnte. Es kam aber insbesondere bei direkten Angriffen auf seinen König vor, dass er wenig Widerstand entgegensetzte und schnell überspielt wurde (Lasker-Pillsbury und Steinitz-Lasker, beide St. Petersburg 1895/96 oder Pillsbury-Lasker, Nürnberg 1896).

Laskers Glück: Laskers "Glück" hatte nach Ansicht der meisten Autoren einen Hintergrund. Er spielte einfach über die meiste Zeit der Partie konzentrierter. Wechsel zwischen Kampfphasen waren für ihn seltener Situationen, in denen er grobe Fehler machte. Seine Einstellung zur Partie ermöglichte es ihm, sich adäquat auf veränderte Kräftekonstellationen einzustellen bzw. Positionen anzupeilen, die eher seiner Neigung von Initiative und Gegenspiel entsprachen.

Laskers Endspieltechnik: Lasker suchte häufig Endspiele, um sich aus schlechteren Mittelspielstellungen zu befreien (z.B. Lasker-Tschigorin, St. Petersburg 1895/96). Bisweilen wird auch das Spiel mit menschlichen Schwächen dahinter vermutet - z.B. in Lasker-Janowski, New York 1924, wo er einen Damentausch anbot, obwohl er in einem schlechteren Endspiel mündete. Erwartungsgemäß strauchelte der Gegner und ließ Siegeschancen aus. Insgesamt diente ihm aber das Endspiel mehr als Kampfplatz seiner Findigkeit, denn als Tummelplatz für psychologische Einlassungen.

   Neben solchen Tiefenblicke auf Schachmeilensteine erhält man einen umfangreichen Lebenslauf (zusammengestellt von Albin Pötzsch) und für jedes Turnier einen Hintergrundbericht (z.B. für Moskau 1925 inklusive der Rede des Schachfunktionärs Nikolai Kyrlenkos über den Stellenwert des königlichen Spiels im jungen Sowjetstaat). Videoclips (vor allem mit ausführlichen Beiträgen und Interviews rund um die Potsdamer Lasker-Konferenz im Januar 2001) runden die Produktion ab. Einziger Wermutstropfen ist das Fehlen von rund 200 Simultanpartien, die in der 1998 erschienenen Sammlung von Ken Whyld (Nottingham, The Chess Player) enthalten sind. Bei diesen weniger ernsthaften Begegnungen experimentierte Lasker häufig mit "scharfen" Eröffnungen (insbesondere dem Königsgambit), was gerade aus Sicht der Entwicklung der Eröffnungstheorie interessant ist. Ansonsten gilt kurzum: Eine "heiße" Empfehlung für schachhistorisch Interessierte und für Spieler, die etwas über die Bewertung von Stellungen in allen Partiephasen lernen wollen!

 

 

(erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 3 /2003, S. 75)


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