Viel kurz gesagt Martin Breutigam: 64 Monate auf 64 Feldern von Harald Fietz, September 2003 Kommentare zur Rezension können im Schach-Forum präsentiert werden |
Chessgate 2003
ISBN 3-935748-05-1; 272 Seiten; 22,80 Euro
Bewertung des Rezensenten:
Den französischen Aufklärer Voltaire fürchtete man im 18. Jahrhundert auch wegen seiner spitzen Zunge. "Das Geheimnis zu langweilen liegt darin, alles zu sagen", urteilte er über Schwafler. Viel Platz zum Erzählen hat der Schachjournalist Martin Breutigam in seinen Kolumnen und Reportagen meist nicht, denn Zeilenobergrenzen fordern gerade in Tageszeitungen die Kunst, Substanz zu straffen. Das Prägnante eines Ereignisses, einer Stimmung oder eines einzigen Schachzuges in seiner Dimension zu erhaschen, zu skizzieren und zu bewerten, und dabei einen Spannungsmoment zu bilden, heißt die Herausforderung. Seit 1990 trachtet der Internationale Meister von der SG Bremen danach. Als freier Sportjournalist ist die Welt des spielerischen Wettstreits ohnehin sein Terrain. Der Chessgate-Verlag bietet jetzt unter dem Titel "64 Monate auf 64 Feldern - Schachkolumnen, Reportagen und Glanzpartien von 1997 bis 2002" die Höhepunkte der Suche nach dem Besonderen im Schachalltag.
Martin Breutigam, Foto Maike Duden
176 mal folgt der Leser auf 272 Seiten in den Turniersaal. Sechs Jahrgänge werden mit kurzen Chronologien markanter Veränderungen der Schachszene eingeleitet, dann offenbaren sich die Facetten der Leidenschaft für das königliche Spiel - rasend und bedächtig, friedlich und rachsüchtig, überlegt und verpatzt fügen sich geniale und skurrile Wendungen gleichermaßen. Das Großmeister-Team im Umfeld der Chessgate AG steuert durch Peter Leko, Christopher Lutz, Artur Jussupow, Christian Gabriel und Stefan Kindermann aus seinem Analysefundus, der bisher nur im Internet lagerte, zusätzliche Partien bei. Daneben gibt es über 150 Diagrammstellungen zu lösen. 24 Fotos lockern zwischen Texten und Zügen auf.
Viel zum Verdauen, aber Überschrift für Überschrift sorgt für Appetit: "Zappen statt Zocken", "Mattisimo", "Schmutzige Läuferzüge", "Saubere Läufer", "Teuere Schuhe in Riga", "Vorsicht Klospieler!" oder "Bescheidener Helfer trickst" lassen nicht gleich zweifelsfrei erahnen, worum es geht. So springen die Gedanken, treibt die Neugierde und stillt sich der Wissensdunst. Und das Auge geniest mit. Chessgate ist inzwischen Synonym für gediegene Qualität in Layout und Buchverarbeitung. Die Abfolge von kürzeren und längeren Artikeln ähnelt den bekannten Büchern von Dr. Helmut Pfleger, aber die Zielgruppe ist bei Breutigam eher der versierte Vereinsspieler als der interessierte Laie. Beides hat seine Berechtigung; zu einem guten Essen gehört schließlich auch ein anregender Aperitif und ein gehaltvoller Wein. Verwenden kann man das Werk ebenfalls als Lesebuch an kommenden Winterabenden oder auf längeren Reisen. Aber verpassen sie dann nicht auszusteigen!
Eine Leseprobe aus dem Jahr 1998:
Komisch, es gibt Dinge, die man vorausahnen, aber anscheinend doch nicht ändern kann. Zum Beispiel in der Schalterhalle des Hamburger Hauptbahnhofs: Wir wollen verreisen, haben es eilig, müssen uns aber noch eine Fahrkarte besorgen. Mit sachkundigem Blick analysieren wir die Menschenschlangen vor den Schaltern und addieren die Anzahl der Personen zu der des Reisegepäcks. Das gibt Aufschluss über die Komplexität der Route und somit auch über die voraussichtliche Dauer der Information. Danach dividieren wir die Summe aus Personen und Koffern durch den mittlerweile geschätzten Intelligenzquotienten des Schalterpersonals und stellen uns dort an, wo der günstigste Wert ermittelt wurde. - Und? Am Ende ist es doch die falsche Schlange. Wie immer. Darauf kann man sich verlassen.
Verlassen kann man sich auch auf das, was kommt, wenn einem der englische Großmeister Julian Hodgson gegenübersitzt: Er wird zuerst d4 spielen, wir antworten Sf6 und schon parkt er seinen Läufer auf g5. Garantiert! In Hunderten von Partien hat Hodgson den Trompowsky?Angriff erprobt und mit neuen Ideen auf höchster Ebene hoffähig gemacht. Zum Ligaauftakt gelang dem für den Delmenhorster SK spielenden Londoner eine schöne Kurzpartie gegen den deutschen Einzelmeister Matthias Wahls (siehe unten).
Hodgsons Landsmann William Watson, für den SV Castrop Rauxel im Einsatz, brütete am gleichen Wochenende den "Zug des Monats" (Diagramm) aus.
Watson - Stangl, Bundesliga 1998 Weiß am Zug
|
J. Hodgson - M. Wahls
|
Und hier die Lösung der Kombination:
|
Watson,W - Stangl,M [B12]
|
das Buch stellte die Chessgate AG, Caudebec-Ring 36 b, 41334 Nettetal, Tel. 02153/912794, für die Rezension zur Verfügung