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Neue Inspiration für Eröffnungsesoteriker?

ChessBase-CD zur Bird-Verteidigung lädt zum Durchqueren der Eröffnung abseits der Hauptstecken ein

Rezension von Harald Fietz, November 2002

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Oleinikov: Bird-Verteidigung

ChessBase 2002, €24,99
ISBN 3-935602-41-3
Systemvoraussetzungen: 32 MB RAM, Win95/98/2000/ME/XP

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 4,0 aus 5

 

   Für die meisten Schachspieler gilt, die Eröffnungen wechseln im Laufe ihres Lebens. In der Kindheit wird gepaukt - auch die Symmetrie und Tücke der Italienischen Eröffnung. In der Pubertät erfährt man viel und neues - auch die Eröffnungen wechseln häufig. In Studium und Beruf wird man nach und nach solider - die Hauptsysteme werden verfeinert und bringen voran. Im reifen Alter bleibt man gelassener und vertraut der Erfahrung - die Bedeutung der Eröffnungen nimmt ab, Schachwissen manifestiert sich mehr im Mittel- und Endspiel. Doch in jeder Gesellschaft gibt es Köpfe, die es immer ein wenig origineller und ursprünglicher meinen. In extremen Fällen wird ein Eröffnungssystem gar zur stetigen Aufgabe unabhängig von den Jahreszeiten des Lebens. Solche etwas schrägen Vögel lieben Bird. Diese Fangemeinde - und nicht nur sie - hat Grund zur Neugier, denn der russische Schachtrainer Dmitrij Oleinikov, der u.a. 1989 bis 1993 stellvertretender Direktor des Moskauer Schachclubs "Oktober" war, legt ihnen ein interaktives Kompendium vor, welches die Bedürfnisse sowohl der Anhänger als auch der Anfänger erfüllen will.

 

Ungewissheit über Bird

 

   Wohl nie hätte sich der Pionier und Namensgeber Henry Bird (1830-1908) träumen lassen, dass 150 Jahre nach den Anfängen eine Sammlung mit mehr als 15.000 Partien existiert. Über 80 Begegnungen sind aus seinem eignen Schaffen enthalten und dabei nahm er es mit allen Größen seiner Zeit auf - darunter Adolf Andressen, Henry Blackburne, Wilhelm Steinitz und Emanuel Lasker. Zwar wendete sein englischer Landsmann Howard Staunton den Zug bereits in den 1840er Jahren und insbesondere beim ersten internationalen Turnier von London 1851 an, doch erst Birds Dauertests in ernsthaften Turnierpartien zwischen 1856 und 1899 formten den Grundstock der Theorie. Schaut man allein auf die 83 Begegnungen mit Bird an den weißen Steinen, so fällt auf, dass fast 55% der Gegner - trotz der romantischen Angriffsideale des 19. Jahrhunderts - die positionelle Herangehensweise mit 1...d5 bevorzugten. Gegen die großen Vier hatte der Engländer allerdings mit drei Siegen, zwei Unentschieden und 13 Niederlagen ein miserables Score. In sechs Vergleichen mit dem jungen Lasker gelang nur ein Remis.

 










Bird,H - Lasker,E [A03]

 

1.f4 d5 2.Sf3 g6 3.e3 Lg7 4.Le2 Sf6 5.0-0 0-0 6.b3 Se4 7.c3 Sc6 8.Lb2 Te8 9.d3 Sd6 10.Sa3 e5 11.d4 exf4 12.exf4 Se7 13.Sc2 c6 14.Ld3 Lf5 15.Lxf5 Sexf5 16.Dd3 Se4 17.Se5 Tc8 18.Tad1 Tc7 19.c4 Lf8 20.Tf3 Ld6 21.Th3 f6 22.g4 fxe5 23.cxd5 exf4 24.gxf5 Dg5+ 25.Kf1 cxd5 26.Db5 Sf6 27.Dd3 gxf5 28.Lc1 Dg4 29.Td2 Tg7 0-1

 

   Ein ähnliches Bild formt sich bei Betrachtung der 205 Partien bis 1899, wo knapp 58% das ruhige Spiel mit Aufzug des d-Bauern anstrebten. Ein überraschender Trend, da zeitgenössische Lehrwerke wie der Dufresne und der Collijn den scharfen Abspielen des Froms Gambit mit 1.f4 e5 mindestens ebensoviel Platz in den Eröffnungskapiteln einräumten. Allerdings befasst sich Oberlehrmeister Siegbert Tarrasch in seinen Klassikern "Die moderne Schachpartie" und "Dreihundert Schachpartien" ausschließlich mit der Antwort 1...d5. Doch auch sein Position ist keineswegs eindeutig. Während er in der Sammlung seiner 300 Partien drei Beispiele zeigt, als er selbst den f4-Bauern zog, geht er mit den jungen Meistern schärfer ins Gericht.

 










Tartakower,S - Spielmann,R [A03]

 

1.f4 "Als Eröffnungszug nicht zu empfehlen, da er nichts zur Entwicklung beiträgt." 1...d5 2.Sf3 Sf6 3.e3 e6 4.b3 c5 5.Lb2 Sc6 "Schabonenmäßige Entwicklung, die das Spiel des Anziehenden erleichtert. Weiß ist in dieser Eröffnung in Verlegenheit, wohin er seinen Königsläufer ziehen soll; auf e2 steht er zu wenig aggressiv ... Da ist es Weiß recht angenehm, ihn nach b5 zu entwickeln zu können, noch dazu mit einer nicht unbedenklichen Drohung. Deshalb wäre es für Schwarz (ausnahmsweise!) durchaus empfehlenswert, vor der Entwicklung des Springers a7-a6 zu ziehen, zumal dieser Zug nicht nur prophylaktischen Wert besitzt, sondern auch aggressiven, indem er das weitere Vorgehen des Damenflügels mit b7-b5 vorbereitet." 6.Lb5 Ld7 7.0-0 Ld6 8.d3 Dc7 9.De2 0-0-0 10.Sbd2 a6 11.Lxc6 Lxc6 12.g3 Se8 13.c4 f6 14.cxd5 exd5 15.e4 d4 16.b4 g5 17.bxc5 Lxc5 18.fxg5 Tg8 19.Tac1 La7 20.Sb3 Sg7 21.Sc5 Lxc5 [ 21...Da5 22.Dc2 Lxc5 23.Dxc5 Dxc5 24.Txc5 Se6 "gab wohl etas bessere, aber schließlich doch nicht genügend Chancen."] 22.Txc5 Se6 23.Tc4 fxg5 24.Tfc1 Db6? 25.Se5 Db5 26.Sxc6 bxc6 27.Txc6+ Kd7 28.Txe6! Kxe6 29.Dg4+ Kf6 30.Tf1+ Kg7 31.De6 Tgf8 32.Lxd4+ Txd4 33.De7+ Kg6 34.Dxf8 1-0

 

   Lange Zeit mogelte man sich um eine deutliche Bewertung herum. Jacques Mieses meinte in der achten Auflage des Dufresne 1901, dass der Zug 1.f4 eine "sichere Eröffnung" sei und Sawielly Tartakower orakelte in die "Hypermoderne Schachpartie" nur wage von "schwierigen strategischen Problemen". Erst Reuben Fine fand 1943 in seiner wortreichen Untersuchung "The ideas behind the Chess Openings" zu einem klaren Statement: "But, as usual in such esoteric openings, if the defender is aware of that the ideal position is, and avoids it, he equalises without any trouble." Ist dieses Eröffnungssystem also nur für Eingeweihte verträglich?

 

Bird als Bekenntnis

 

   Durchforsten des Spielerindex offenbart, Bird ist vorrangig eine Sache der Vereinsspieler. Aber einige Titelträger haben sich auf die Fahnen geschrieben, kreativ mit einem Eröffnungssystem umzugehen, von welchem David Bronstein einmal meinte, er würde es auch gerne spielen, aber dann streiche ihm der Schachverband die Auslandsturniere, weil er nicht mehr seriös spiele. Wer wagt sich trotzdem auf die ominösen Pfade?

   Ohne Zweifel sind der legendäre Bent Larsen und Stefan Bücker, der Analytiker ausgefallener Eröffnungssysteme, mit mehr als 50 registrierten Partien an vorderster Front zu nennen. Unter Großmeister der Kategorie zwischen 2500 und 2600 Elo-Punkten fallen der vergangenes Jahr verstorbene Wladimir Bagirow, der Ukrainer Wladimir Malanjuk und der Schwede Lars Karlsson sowie von der jüngeren Großmeistergeneration der Däne Hendrik Danielsen, der Niederländer Dimitri Reindermann, der Tscheche Pavel Blatny und der ehemals in Deutschland beheimate Armenier Karen Movsziszian mit mehr als zehn Partien auf. Auch im Mittelbau unter den Titelträgern gibt es langgediente Anhänger: Der Rumäne Mihai Grunberg, die Tschechen Peter Petran und Marek Volac, der Polen Andrzej Sydor, der Schwede Anre Zwaig, der Schweizer Hans-Jürg Kaenel, der Deutsche Wolfram Hartmann und der Niederländer Karel van der Weide. Bei den Damen waren die Jugoslawinnen Milunka Lazarevic und Gordana Markovic frühe Wegbereiterinnen für die Jüngeren mit Natascha Regan aus England, Eva Maria Zickelbein aus Hamburg und der Österreicherin Eva Moser. Vor und nach dem zweiten Weltkrieg sind neben Tausendsassa Tartakower noch der Deutsche Alfred Brinkmann, der Jugoslawe Vasja Pirc, der Tscheche Karel Hromadka und der Argentinier Hector Rossetto zu nennen. Unter schachspielenden Journalisten ist der Engländer Baruch Harold Wood, der die Zeitschrift "Chess" herausgab, zu nennen und der Fide-Meister Johannes Fischer von "KARL", dem jüngsten Spross unter den deutschen Schachzeitschriften. Diese 29 Bird-Experten repräsentieren mit 625 Partien knapp 10% des gesamten Partienbestandes der CD und können daher sicher Indizien liefern, welche Anspiele der Kenner bevorzugt. Ihre Statistik lautet: 42% Weiß-Siege, 33% Remis und 25% Schwarz-Siege!

   In diesen Kreisen tauchen scharfe Varianten des Froms Gambit oder des Königsgambit kaum auf. Vielmehr bevorzugt man bestimmte Ausstellungen mit Fianchettos und demonstriert, wie Bauernketten eingesetzt werden. Drei Themen aus dem reichen Arsenal von Auf- und Umstellungen sollen exemplarisch gezeigt werden.

 

1. Das Problem des weißen Königsläufer

   Wie Tarrasch anmerkte, ist der Läufer auf f1 das Sorgenkind. Falls er nicht mit "holländischer Absicht" fianchettiert wird, bleibt für gewöhnlich nur das Feld e2 übrig (siehe Partie Bird-Lasker) oder notfalls d3. Schwarz wird sich hüten, Sc6 zu ziehen, strebt vielmehr danach, mit Lg4 den Sf3 zu beseitigen. Nachfolgend ein instruktives Beispiel, wie Weiß versucht, diese Absichten zu durchkreuzen und einen typischen Bauernsturm in Gang zu setzen. In diesem Fall erwies sich die Anfälligkeit den kurzen Diagonale e1-h4 als entscheidend.

 










Bücker,S - Jussupow,A [A03]

 

1.f4 d5 2.b3 Lg4 3.h3 Lh5 4.g4 e5 5.Sf3 e4 6.e3 Lg6 7.Se5 Ld6 8.Sxg6 hxg6 9.De2 g5 10.Db5+ Sc6 11.Dxd5 gxf4 12.Lb2 fxe3 13.Dxe4+ Kf8 14.Ld3 Dh4+ 15.Kd1 Te8 16.Dg2 Se5 17.Le2 Sf6 18.Sc3 Sexg4 19.Tg1 Sf2+ 20.Kc1 exd2+ 21.Kb1 Th7 22.Sd5 Sxd5 23.Lxg7+ Txg7 24.Dxg7+ Ke7 25.Tf1 Kd8 0-1

 

2. Holländisch im Anzug

   "Holländisch im Anzug" war lange Zeit in deutschsprachigen Eröffnungswerken der Name für Bird. Falls Weiß einen solchen Aufbau anstrebt, ist er höchst flexibel, da er mit Mehrtempo die gewöhnlichen Ideen aus dem Leningrader System übertagen kann.

 










Larsen,B - Kavalek,L [A03]

 

1.f4 Sf6 2.Sf3 g6 3.g3 Lg7 4.Lg2 0-0 5.0-0 d5 6.c3 c6 7.Kh1 Db6 8.Sa3 Sbd7 9.Sc2 Te8 10.a4 e5 11.a5 Db5 12.d3 c5 13.Se3 exf4 14.gxf4 Da6 15.Da4 Tb8 16.f5 c4 17.dxc4 Sc5 18.Db4 Sce4 19.Sd4 Lf8 20.Db5 dxc4 21.fxg6 hxg6 22.Dxa6 bxa6 23.Sxc4 Lb7 24.Lf4 Tbc8 25.Sd2 Ld5 26.Sxe4 Lxe4 27.Lxe4 Txe4 28.Lg5 Sd5 29.Tad1 Tc5 30.Sb3 Tb5 31.Sd2 Tg4 32.c4 Txb2 33.cxd5 Txg5 34.d6 Tb8 35.Se4 Txa5 36.Sf6+ Kg7 37.e4 Tb2 38.Td3 Te5 39.Th3 1-0

 

   Auch das Doppelfianchetto wird praktiziert, um den Läufer g7 zu neutralisieren. Schwarz kann versuchen, ohne d5 auszukommen, um mit d6 das ideale Springerfeld e5 zu kontrollieren. Das Manko ist, dass Weiß den e-Bauern nicht nach e3 stellen muss, wo er oft zur Schwäche neigt.

 










Bücker,S - Vokac,M [A02]

 

1.f4 g6 2.Sf3 Lg7 3.d3 c5 4.g3 Sc6 5.Lg2 d6 6.0-0 Dd7 7.e4 e6 8.Sbd2 Sge7 9.a3 b6 10.Tb1 Lb7 11.b4 0-0 12.Lb2 Sd4 13.c3 Sxf3+ 14.Sxf3 cxb4 15.axb4 a5 16.c4 Lxb2 17.Txb2 b5 18.cxb5 Dxb5 19.g4 axb4 20.Dd2 Ta3 21.Txb4 Dc5+ 22.d4 Da7 23.f5 f6 24.Dh6 e5 25.Sg5 fxg5 26.f6 Sf5 27.gxf5 Txf6 28.fxg6 Txf1+ 29.Lxf1 hxg6 30.Dxg6+ Kh8 31.Dxd6 Kg7 32.Dxe5+ Kf8 1-0

 

3. Der f4-Aufzug in Verbindung mit 1.b3

   Die feine Sache bei Bird ist, dass Weiß eine gewisse Bandbreite hat, Eröffnungsideen miteinander zu verknüpfen. Auf Niveau des Vereinsspieler bestimmt ein Vorteil, da Schwarz sicher nicht alle Zugumstellungen kennen wird. Unter Profis gibt es gegen 1.b3 mit f4 im dritten oder vierten Zug unterschiedliche Vorlieben. Pavel Blatny spielt dieses System in jüngster Zeit einige Male. Hier Beispiele mit der damenindischen Antwort d5 und der königsindischen Antwort d6.

 










Blatny,P - Atalik,S [A03]

 

1.b3 g6 2.Lb2 Sf6 3.f4 d5 4.e3 Lg7 5.Le2 c5 6.Sf3 0-0 7.0-0 Sc6 8.Se5 Ld7 9.Lf3 Tc8 10.Sc3 e6 Obwohl Weiß ein Damenindisch mit Mehrtempo hat, ist nicht ersichtlich, wie er daraus Kapital schlagen kann. 11.Se2!? [ 11.d4 Da5!?~~ ] 11...Se4! 12.Sxc6 Lxc6 13.Lxg7 Kxg7 14.d3 Sd6 15.Dd2 b6 16.Tad1=

 

 










Blatny,P - Levin,F [A03]

 

1.b3 d5 2.Lb2 Sf6 3.e3 g6 4.f4 Lg7 5.Sf3 0-0 6.Le2 c5 7.0-0 Sc6 8.Se5 Ld7 9.Lf3 Tc8 10.De2 e6 11.a4 Sxe5 12.fxe5 Se8 13.d4 f6 14.dxc5 fxe5 15.e4 dxe4 16.Lxe4 Txf1+ 17.Kxf1 Txc5 18.c4 Sd6 19.Sc3 Tc7 20.Td1 Df8+ 21.Kg1 Sf5 22.Tf1 Db4 23.g4 Sd4 24.De3 Dc5 25.Kh1 Sxb3 26.Dg5 Tc8 27.Sd5 Te8 28.Sf6+ Lxf6 29.Txf6 Lc6 30.Txg6+ hxg6 31.Dxg6+ Kf8 32.Df6+ Kg8 33.Dg6+ 1/2-1/2

 

 










Blatny,P - Horvath,C [A02]

 

1.b3 Sf6 2.Lb2 g6 3.f4 Lg7 4.e3 d6 5.Sf3 0-0 6.Le2 b6 7.0-0 Lb7 8.De1 Sbd7 9.Sc3 e5 10.f5 d5 11.h3 c5 12.fxg6 hxg6 13.Sg5 d4 14.Sb5 Lh6 15.Sf3 dxe3 16.dxe3 Lxe3+ 17.Kh1 Lf4 18.g3 Lh6 19.Sd6 Ld5 20.Td1 De7 21.Sb5 Lc6 22.Kh2 Sd5 23.Tf2 Se3 24.Txd7 Lxd7 25.Sxe5 Lf5 26.Lf3 Tae8 27.Te2 Sxc2 28.Df2 Df6 29.Sc7 Dd6 30.Sxe8 Txe8 31.Sg4 Txe2 32.Sxh6+ Kh7 33.Dxe2 Kxh6 34.De8 Dd2+ 35.Lg2 g5 36.Dh8+ Kg6 37.Dg7+ Kh5 38.g4+ Lxg4 39.Dh7# 1-0

 

   Weiß hat alternativ die Möglichkeit, wiederum ein Doppelfianchetto einzubauen.

 










Bagirov,W - Vogt,L [A03]

 

1.b3 Sf6 2.Lb2 d5 3.e3 Sbd7 4.f4 g6 5.Sf3 Lg7 6.g3 0-0 7.Lg2 c5 8.0-0 b6 9.c4 Lb7 10.De2 e6 11.d3 De7 12.Sbd2 Tad8 13.e4+/= d4 14.e5 Se8 15.b4 cxb4 16.a3 bxa3 17.Lxa3 Sc5 18.Sb3 f6 19.Lxc5 bxc5 20.Txa7 Lxf3 21.Da2 Td7 22.Txd7 Dxd7 23.Lxf3 De7 24.Da5 fxe5 25.Dxc5 Dc7 26.fxe5 Lxe5 Weiß steht mit dem Freibauern auf der c-Linie auf Gewinn.

 

   Wie reagieren die Super-Stars der Szene auf das kreative Potenzial der Bird-Eröffnung?

 

Bird im Bannstrahl der Weltspitze

 

   Das großmeisterliche Establishment (Top Ten Stand Januar 2002) hat kaum Praxis gegen 1.f4. Keine Partie in der Datenbank haben Wladimir Kramnik, Viswanathan Anand, Wesselin Topalow, Ruslan Ponomariow, und Peter Leko. Mit einer Begegnung schmücken sich Gary Kasparow (eine Jugendsünde gegen Romanischin in einem Simultan aus dem Jahre 1975) und Alexei Schirow (1999 eine Schnellpartie gegen den belgischen Bird-Jünger Cesar Becx). Beide antworteten 1...d5. Michael Adams neigt auch zu diesem Aufbau. Außer einer Partie gegen David Norwood bei der Britischen Meisterschaft 1990 sah er sich nur noch einmal damit konfrontiert. Schon vor über einer Dekade demonstrierte er seine überdurchschnittliche Fähigkeit, positionell zu kontern.

 










Gurevich,M - Adams,M [A03]

 

1.g3 d5 2.Lg2 Sf6 3.d3 g6 4.f4 Lg7 5.Sf3 0-0 6.0-0 c5 7.De1 Sc6 8.c3 b6 9.h3 Dc7 10.Sa3 La6 11.g4 e6 12.Ld2 Tad8 13.Tc1 De7 14.Dg3 Sd7 15.Tb1 e5 16.fxe5 Sdxe5 17.Sc2 Sxf3+ 18.Lxf3 Se5 19.Lg2 Lb7 20.Tf2 a5 21.Tbf1 d4 22.c4 Lxg2 23.Dxg2 Td6 24.Sa3 Te6 25.Sb5 g5 26.Dh2 h6 27.Tg2 Sg6 28.Dc7 Txe2 29.Dxe7 Txe7 30.Sd6 Te6 31.Sf5 Kh7 32.a3 a4 33.b4 axb3 34.Tb1 Tfe8 35.Txb3 Le5 36.a4 Lf4 37.a5 Le3+ 38.Kf1 Sf4 39.Th2 Lxd2 40.Txd2 bxa5 41.Tb7 Kg6 42.Ta2 h5 0-1

 

   Unter den restlichen Top-Ten-Spielern wagten nur Wassili Iwantschuk 1994 mit Weiß einen Holländisch inspirierten Aufbau gegen Sergei Tiviakow und - wie vielleicht zu vermuten war - Alexander Morosewitsch. In beiden Partien konnte Schwarz problemlos ausgleichen. In einer Internet-Partie demonstrierte Peter Swidler gar überraschende Angriffsressourcen für den Nachziehenden.

 










Morosewitsch,A - Svidler,P [A03]

 

1.f4 d5 2.Sf3 g6 3.g3 Lg7 4.Lg2 Sf6 5.0-0 c5 6.d3 Sc6 7.Sc3 d4 8.Sa4 Sd7 9.c4 0-0 10.e4 dxe3 11.Lxe3 Sd4 12.Tb1 Tb8 13.b4 Sxf3+ 14.Lxf3 cxb4 15.Txb4 b6 16.d4 Sf6 17.Sc3 h5!? Angesichts seiner festen Stellung kann Schwarz es sich erlauben, aktiv zu werden. Weniger ambitioniert ist [ 17...e6 18.Dd3 Lb7 19.Lxb7 Txb7 20.Td1 Sg4= ] 18.d5 Sg4 19.Ld4 e5! 20.fxe5 Sxe5 21.Lg2?! Lg4 22.Dd2 Tc8 23.Sb5 a5 24.Tb3 Txc4 25.Tf4 Dc8! 26.Sd6 Tc1+ 27.Tf1 Txf1+ 28.Lxf1 Dd8 29.Lxe5 Lxe5 30.Sc4 Lg7 31.Txb6 Te8 32.Tc6 Te4! [ 32...Te4! 33.Dxa5 Ld4+ 34.Kg2 De8! 35.Dd2 ( 35.Sd6 Te2+-+ ) 35...Te2+ 36.Lxe2 De4+ 37.Kf1 Dh1# ] 0-1

 

   Blickt man auf die Weltmeister, so überrascht es, dass Raul Capablanca mit neun Weiß-Partien die Liste anführt. Allerdings war kein namhafter Gegner darunter. Daneben versuchten sich noch Lasker (dreimal gegen Bird, wobei insbesondere seine Doppelläuferopferpartie in jedem Taktik-Buch zu finden ist), Alexander Aljechin in einer Simultan-Partie, Wassili Smyslow bei der 22. UdSSR-Meisterschaft 1955 und schließlich James Robert Fischer. Der elfte Weltmeister griff 1970 zweimal dazu. In einer Blitzpartie besiegte er Smyslow, doch sein Sieg gegen den Brasilianer Henique Mecking in der 21. Runde des Interzonenturniers ist bedeutender. Schließlich ist er Teil der 18-0-Serie aus den letzten sechs Runden des Qualifikationsturniers und der beiden 6-0-Matches gegen Mark Taimanow und Bent Larsen (siehe unten). Der Amerikaner behandelte das System höchst flexibel und zieht erst im 11. Zug f4!

 










Fischer,R - Mecking,H [A03]

 

1.b3 d5 2.Lb2 c5 3.Sf3 Sc6 4.e3 Sf6 5.Lb5 Ld7 6.0-0 e6 7.d3 Le7 8.Lxc6 Lxc6 9.Se5 Tc8 10.Sd2 0-0 11.f4 Sd7 12.Dg4 Sxe5 13.Lxe5 Lf6 14.Tf3 De7 15.Taf1 a5 16.Tg3 Lxe5 17.fxe5 f5 18.exf6 Txf6 19.Dxg7+ Dxg7 20.Txf6 Dxg3 21.hxg3 Te8 22.g4 a4 23.Sf3 axb3 24.axb3 Kg7 25.g5 e5 26.Sh4 Ld7 27.Td6 Le6 28.Kf2 Kf7 29.Tb6 Te7 30.e4 dxe4 31.dxe4 c4 32.b4 Lg4 33.Ke3 Td7 34.g6+ Kf8 35.gxh7 Txh7 36.Sg6+ Ke8 37.Sxe5 Lc8 38.Sxc4 Kd8 39.Sd6 Tg7 40.Kf2 Kc7 41.Sxc8 Kxc8 42.Td6 1-0

 

Bird wird durchleuchtet

 

   Die Beispiele der Bird-Eröffnung mit positionellem Gepräge vermitteln Kenntnis, wie tief Weiß sich mit verschiedensten strategischen Plänen beschäftigen muss. Dazu gibt es die Bird-Base mit dem gewaltigen Partienbestand und vor allem den Bird-Instruktor, eine Datenbank mit zehn Kapiteln über die weißen und schwarzen Sichtweisen plus 200 kommentierten Partien. Leider wurde beim Namensregister der Bird-Base durch den Rückgriff auf unterschiedliche Datenbestände aus Quellen von ChessBase und dem Autor die Einheitlichkeit der Schreibweise nicht überprüft, so dass Spieler häufig in zwei oder drei Schreibweisen auftauchen. Rainer Knaak bedauert diesen Fehler, aber der ernsthafte Fan dieser Eröffnung wird damit leben können, und die "Ungereimtheiten" im Laufe der intensiven Auseinandersetzung mit der Materie auf seiner Festplatte beheben. "Nobody is perfect," flunkerte bereits der Millionär am Ende von Billy Wilders Film "Manche mögens heiß" gegenüber dem als Frau verkleideten Tony Curtis.

   Dennoch hat das interaktive Medium einen sichtbaren Vorteil gegenüber dem Buch. Das unmittelbare "Springen" in Partien und zurück ist das wichtigste Hilfsmittel an der Schnittstelle zwischen Kommentar und Notationen. Informationsaufnahme und -verarbeitung ist weniger mühselig und Stellungsmuster lassen sich in kürzerer Zeit einprägen. Zu jedem Kapitel gibt es reichlich Diagramme, die Pläne mit farblich verschiedenen Pfeilen visualisieren. Merksätze resümieren Zielsetzungen und was ihnen entgegensteht. Dies ist insbesondere wichtig bei der Platzierung der Leichtfiguren, den Bauernformationen und dem richtiger Moment des Bauernsturm.
 

  1. Der klassische Aufbau mit 1...d5

  2. Das schwarze Königsfianchetto

  3. Schwarz wählt einen königsindischen oder Drachenaufbau ohne d5

  4. Froms Gambit

  5. Abgelehntes Froms Gambit

  6. Neo-From mit 2….Sc6

  7. Schlechter-Verteidigung mit 1.f4 d5 2.Sf3 Sf6 3.e3 Lg4

  8. Symmetrische Varianten mit 1.f4 f5

  9. Seltene Fortsetzungen

  10. Zusatzinformation (u.a. Repertoireaufbau)
     

   Weiß hat viel zu lernen, aber er bekommt ein komplettes System, in dem er seine Absichten nicht immer mit 1.f4 sofort preisgeben muss. Drei weitere Dateien unterstützen diesen Prozess. Über Variantenbäume sind alle Partien nach ihrer Häufigkeit aufgeschlüsselt. Eine Strategie- und eine Taktikdatei mit jeweils 24 Aufgaben hilft beim Repetieren des Erlernten, eignet sich ebenso zum Auffrischen der wesentlichen Ideen.

   Doch auch zu den "benachbarten" Eröffnungen erfährt man etwas. Vorbildlich - weil in vielen Eröffnungswerken vernachlässigt - Oleinikov untersucht bei der Auswertung seiner Selbstversuch mit 1000 ICC-Partien insbesondere Zugumstellungen. Abspiele der Bird-Verteidigung können nicht nur in positionellen Aufbauten mit b3-Fianchetto münden, sondern scharfes Gepräge erlangen: Dreibauernangriff im Pirc, Grand-Prix-Angriff im Sizilianer, geschlossener Sizilianer, Königsgambit selbstverständlich und auch wenig Bekanntes im französischen Flügelgambit, für jeden Spielertyp ist etwas dabei.

 

Bird or alert - mutig oder mulmig?

   Für wen eignet sich das Produkt angesichts der wechselhaften Resultate auf Niveau der Titelträger? Der Autor, der seltsamerweise keine einzige eigene Partie anführt, meint, den Spieler mit einer Wertungszahl von um die 2000 Elo als Zielgruppe auszumachen. Dieser wird sich nach der statistischen Auswertung seines Selbstversuch mit folgenden Fakten konfrontiert sehen: 25% antworten 1...d5, 20% 1...e5, 13% 1...c5, 8% 1...g6, 7,5% 1..Sf6, 7% 1...e6, 6% 1...d6, 4% 1...c6 und der restlichen 10% fallen auf alle anderen Optionen. Bedenkt man, wie viel Variantenstudium nach 1.e4, 1.d4,1.c4 oder 1.Sf3 notwendig ist, so ist das gar keine üble Perspektive, zumal Ideen zwischen den Abspielen bisweilen ähnlich sind. Doch welche Perspektiven bieten sich dem ambitionierten Vereinsspieler?

   Als Pro-Argumente können gelten, dass ein "Komplettsystem" einfacher zu überschauen, zu lernen und zu warten ist. Es muss davon ausgegangen werden, dass selbst vorbereitete Gegner i.d.R. weniger vertraut mit den schwarzen Strategien sind. Man ist eher vor überraschenden Varianten sicher. Das Strategie- und Taktikverständnis ist gleichermaßen gefordert. Man kann häufig zwischen ruhigen und aggressiven Manövern mit Bauernketten wählen. Kreatives Denken in der Eröffnung ist zudem der Mittel- und Endspielbehandlung förderlich.

   Als Gegenargumente wird einzuwenden sein, dass die Remisbreite bei vorsichtigem Spiel relativ hoch ist. Ein positionell veranlagter Spieler muss auch "wilde" Varianten nach 1...e5 spielen. Bei zu häufigen Niederlagen hat man schnell den Ruf eines "Losers" weg. Die Ecke des Eigenbrödlers sind nicht weit weg.

   Unter Abwägung der Positionen, sollte jedem experimentierwilligen Schachfreund geraten werden, sich einige "Flugversuche" mit Bird-Partien anzutun. Vielleicht gewinnt er ja Gefallen; zumindest wird er - neben den konkreten Anforderungen der Varianten - viele interessante Anregungen für sein allgemeines Schachverständnis erhalten, wenn er sich der interaktiven Trainingsmitteln bedient. Eine esoterische Geheimlehre ist es nicht; Inspiration kann es sein.


Bewertung: 4 Sterne - solide und umfassende Rundschau - aber leider ohne allzu viel eigene Analysen des Autors!

Zielgruppe: Alle, die ein neues Komplettrepertoire suchen, oder einfach einmal Lust auf etwas Neues haben.

Besonderheit: Der derzeit beste Überblick über die Eröffnung!

 

Eine zweite Meinung: Rezension von Robert Miklos.

 

 

(erschien zuerst in Schachmagazin 64, Nr. 19 / 2002)


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