Typen braucht jeder Sport; selbst
Mannschaftssportarten ehren jährlich die besten Einzelkönner. Der
Schachsport ist besonders prädestiniert, das beispielhafte Werk eines
Heroen mit seinen Höhen und Tiefen einzugrenzen. Lebensumstände,
zeitgeschichtliche Kontexte und gelungene Produktionen auf den 64 Feldern
können in der Darstellung anschaulich verwoben werden. Das Genre gestaltet
sich aber höchst unterschiedlich: Manchmal liegen Autobiographien oder
eigene Partiesammlungen vor, andermal erinnert ein Zeuge aus dem Umfeld oder
ein zeitlich entfernter Analytiker an herausragende Begegnungen und ihre
Bedeutung für die Schachgeschichte.
Es gibt keine objektiven Kriterien,
warum einen ausgerechnet dieser oder jener Spieler in Bann zieht. Zu mannigfach
können die Beweggründe sein: Ein nachhaltiger Tipp von einen
Schachlehrer in der Jugend, ein zufälliges Stoßen auf einem Spieler,
der ein bestimmtes Eröffnungsrepertoire anwendet oder dessen Spielstil
durch eine viele spektakuläre Taten anzieht, ein latentes historisches
Interesse, warum dieser Schachgröße eine besonders bemerkenswerte
Karriere gelang, oder ein bewusstes Suchen nach einem Ausnahmekönner,
der als Modell für das eigenen Streben nach schachlichem Erfolg dienen
soll. Manche brauchen ihre Helden nur in der Zeit des schachlichen Heranwachsens,
andere finden früher oder später ein lebenslanges Studienobjekt.
Auf alle Fälle muss das Vorbild durch seinen sportlichen Leidensweg
einen emotionalen Bezug schaffen, um zu mehr zu taugen, als der nüchternen
Einsicht, einen großen Klassiker zum Studium vor sich zu haben.
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Isaak und Wladimir Linder "Schachgenie Lasker"
Sportverlag 1991 (nur noch antiquarisch erhältlich)
Der einzige deutsche Weltmeister
ist ein Titan schlechthin! Multitalent auf den Gebieten verschiedener
Denksportarten, der Mathematik, der Philosophie, der Schriftstellerei und
als gesellschaftlicher Kommentator. Zwei Stationen seiner langen Spielpraxis
faszinierten mich besonders: Die zähe Aufholjagd gegen die 20 bzw. 24
Jahre jüngeren Himmelstürmer Capablanca und Aljechin in St. Petersburg
1914 und das erfolgreiche Comeback 1923/24/25 nach dem Verlust des
Weltmeistertitels 1921. Die Lasker-Forschung erlebte jüngst einen gewaltigen
Aufschwung und die definitive Biographie steht noch aus. Aber das Buch der
Moskauer Schachhistoriker bringt einem auf 280 Seiten in solidem Erzählstil
mit 50 Partien und zahlreichen Stellungen den unvergleichlichen Weg und das
Denken des Schachgenies auf und abseits vom Brett nahe. |
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Hans Kmoch "Rubinstein gewinnt! Hundert Glanzpartien des großen
Schachkünstlers"
Edition Olms 1981 (nur noch antiquarisch erhältlich)
John Donaldson / Nikolay Minev "Akiba Rubinstein: Uncrowned
King"
International Chess Enterprises 1994 (nur noch antiquarisch erhältlich)
John Donaldson / Nikolay Minev "Akiba Rubinstein: The Later
Years"
International Chess Enterprises 1995 (nur noch antiquarisch erhältlich)
Das Schicksal von Akiba Rubinstein
ist von unglaublich lichten ebenso wie von trüben Momenten geprägt.
Vielleicht sind es gerade diese eigentümlich gegensätzlichen
Schaffensperioden, die ihn zu einem reizvollen Vorbild machen. Allein die
ästhetische Schönheit der Duplizität des Damenzugs Dd1-c1
in den Partien gegen Lasker (18. Zug St. Petersburg 1909) und gegen Capablanca
(17. Zug San Sebastian 1911) gereichen, ihm einen Meilenstein in der
Schachgeschichte zu setzen. Aber Rubinstein gelangen zeitlebens für
kreative Innovationen in Eröffnung, Mittelspiel und vor allem dem Endspiel.
Der Anlass des ursprünglich
1933 erschienen Kmoch-Buchs war jedoch ein tragischer; verarmt lebte der
Pole - seit seinem letzten Turnier in Rotterdam 1932 - in Belgien, wo er
1961 starb. Die Wiener Schachzeitung wollte mit der Herausgabe seiner
Glanzleistungen finanzielle Unterstützung betreiben. Ende des 20.
Jahrhunderts legten der Amerikaner Donaldson und der gebürtige Bulgare
Minev eine partien- und faktenreiche, zweibändige Biographie vor, die
wohl kaum zu übertreffen sein wird. |
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Mikhail Tal "The Life and Games of Mikhail Tal"
Cadogan Chess 1997
Joe Gallagher "The Magic of Mikhail Tal"
Everyman Chess 2000
Der Hexer aus Riga bleibt
unvergleichlich. Sein Aufstieg kometenhaft, sein WM-Erfolg ein Plädoyer
für Angriffsschach, seine Laufbahn durchzogen von spektakulären
Meisterleistungen. An diesem Lebenswerk kommt keiner vorbei - gleich welche
Art von Schach er bevorzugt. Seine 1997 wieder aufgelegte Autobiographie
aus dem Jahre 1976 wurde von John Nunn und Murray Chandler durchgesehen und
macht auf fast 500 Seiten den Meister bis 1974 durch die eigene Brille sichtbar.
Die restlichen Jahre des 1992 verstorbenen Letten, der lange Zeit in Köln
eine zweite Heimat fand, breitet Joe Gallagher in einer sympathischen-kritischen
Würdigung aus. Da der englisch-schweizerische Großmeister ebenfalls
ein verwegener Draufgänger ist, hätte kein besser Autor gefunden
werden können! |
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Gufeld, Eduard / Lazarev, Efim "Leonid Stein - Master of Risk
Strategy"
Thinkers Press 2001
Er starb zu früh und seine
Leistungen verdienen, - ähnlich wie Rubinsteins Taten - einen würdigen
Platz in den Annalen der Weltmeisteranwärter zu erhalten. Ausgestattet
mit einem feinen Gespür für die Balance zwischen Risiko und
Solidität trug der Ukrainer viel zur Entwicklung des dynamischen Schachstils
sowjetischer Prägung bei, was vor allem in vielen Partien mit
sizilianischen, spanischen und königsindischen Eröffnungen neue
Wege aufzeigte. Auf der Grundlage eines 1978 in der Ukraine erschienen Buchs
und dem Band aus der berühmten "schwarzen Reihe" großer
Persönlichkeiten des Sowjetschachs (von 1980) haben Gufeld und Lazarev
mit Unterstützung des Teams von Herausgeber Bob Long vom Thinkers Press
Verlag eine ansprechend gestaltete, aktualisierte Ausgabe ins Englische
übertragen. 61 Partien, etliche Endspielstellungen und unbekanntes
Bildmaterial bieten ein facettenreiche Porträt des dreimaligen
Landesmeisters. Ein "Geheimtipp"! |
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Lew Polugajewski "Aus dem Labor des Großmeisters - 2. Teil"
Rau-Verlag 1984 (nur noch antiquarisch erhältlich)
Der 1994 in seiner neuen Heimat
Paris verstorbene mehrfache Weltmeisterschaftsanwärter legte Anfang
der 80er Jahre zwei spannende Insiderberichte über die Arbeit eines
Großmeisters unter Bedingungen des großen Konkurrenzdruck innerhalb
des Machtgebildes der Schachmacht Sowjetunion vor. Während der erste
Teil über die "Erfindung" und Anwendung der sizilianischen
Polugajewski-Variante handelt (und heute eher als eröffnungstheoretisches
Relikt von Interesse ist), widmet sich der zweite Teil den ungeheueren Mühe
wichtiger Abbruchstellungen. Ja, es geht um schlaflose Nächte zu einer
Zeit, als Hängepartien noch über ein Turnierschicksal entschieden.
Polugajewski versteht es, mit wortreichen Ausführungen die Zuspitzungen
zu schildern und den schachlichen Gehalt knapper Endspiele nahe zu bringen.
Außerdem gibt es einige seiner besten Partien aus Zugabe. Eine
135-Seiten-Beichte, die mehr verzaubert als manche Partiensammlung
berühmter Spieler.
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Anatoli Karpow "Wie ich kämpfe und siege"
Schmaus-Verlag 2. Aufl. 1984 (nur noch antiquarisch erhältlich)
Als Fischer abseits im Schmollwinkel
saß, kam die Zeit des Vorzeigerussen Anatoli Karpow. Auch seinen Stil
durchdrang eine bestechende Klarheit und Logik. Mit 33 Jahren spielte er
noch überwiegend 1.e4 und stand der breiter werdenden Schachspitze in
der Ära des Fischer-Booms vor. Sicher ist diese Zwischenbilanz an vielen
Stellen in den Analysen und Betrachtungen tiefer als spätere
Zusammenstellungen. Auf alle Fälle 60 Partien, die jede für sich
anschauliche Lehren über Kampfeinstellung und Schachtechnik vermitteln.
Pflicht für Turnierspieler! |
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Alexei Shirov "Fire on board - Shirov's best games"
Cadogan Chess 1997
Der legitime Nachfolger des
Angriffszaubers Tal legt im Alter von 25 Jahren eine Schau seiner bis dahin
besten Partien, Endspielleistungen und Forscherleistungen in der slawischen
Botwinnik-Variante vor. Trefflicher als "Feuer auf dem Brett" konnte diese
Sammlung einfach nicht benannt werden. Wohltuend gilt es hervorzuheben, dass
hier tiefe Analysen mit vielen textlichen Erklärungen zu Geschichten
um die Begegnungen, zu Entscheidungsfindungen und psychologischen
Erwägungen einhergehen. 82 Partien und zahlreiche Fragmente bieten
Schachinspiration ohne Ende. Wie dick wird wohl der Band sein, den der Lette
mit spanischen Pass zu seinem 50. Geburtstag herausbringen mag? |
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