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Ein Muss für Sizilianisch-Spieler

Dorian Rogozenko: Anti-Sicilians

von IM Rainer Polzin, August 2003

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John Emms, Sicilian Kan

Gambit 2003
192 Seiten, 25,50 €
ISBN 1-901983-84-6
Sprache: Englisch

Bewertung des Rezensenten: Bewertung 5 aus 5

 

   Der aus Moldawien stammende, in Bukarest lebende und international auch für Rumänien spielberechtigte Großmeister Dorian Rogozenko hat sich in den vergangenen Jahren als Autor von Eröffnungs-CDs (u.a. Sizilianisch-Sweschnikow), Mitarbeiter des ChessBase-Magazins und als Verfasser zahlreicher Eröffnungsartikel für New in Chess einen Namen gemacht. In der Bundesliga trat er lange Jahre für den USC Magdeburg an; dort studierte er auch einige Jahre. Seit 2002 geht er für die Berliner Schachfreunde Neukölln 03 an den Start. Einem großen Publikum ist er auch wegen seines wöchentlichen Trainings auf dem Fritz-Server bekannt.

   Mit dem vorliegenden Buch, seinem Erstlingswerk, bietet Rogozenko dem Schwarzen ein komplettes Repertoire gegen 1.e4-Spieler, die den offenen Sizilianer vermeiden. Er spielt selber Sizilianisch und die Systeme, die er gegen Alapin (2.c3), den geschlossenen Sizilianer (2.Sc3), die Grand-Prix-Attack (2.f4 oder 2.Sc3 / 3.f4) und 3.Lb5 (+) und all die anderen Nebenvarianten empfiehlt, haben zunächst eines gemeinsam: Sie werden von ihm selber auf hohem Niveau gespielt. Der Leser darf sich also sicher sein, dass er nicht halbseidene Erwiderungen empfohlen bekommt, die der Autor selber nicht spielen würde.

   "I have choosen the main recommended lines for Black on the basis of their objective strength. Sometimes they may lead to simplifications, but I don`t consider that an equal endgame should be a problem for Black. Here I want the reader to remember that equal positions aren`t necessarily sterile or drawish. With Black, reaching equality is a psycological victory and in most cases there are plenty of possibilities to continue the battle in those positions that are roughly evaluated as equal. If in a certain position there are several resonable ways for Black, then I will usally try to mention all of them, although I focus on the main recommendation", schreibt Rogozenko im Vorwort (S. 8).

   An diese Vorgaben hält er sich wohltuend. Ich hatte beim Lesen zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass Rogozenko die schwarze Stellung abseits der Wahrheit schönredet. Er ist um größtmögliche Objektivität in der Stellungsbewertung bemüht und versucht erst gar nicht (im Gegensatz zu vielen anderen "Winning with …"-Autoren) das Unmögliche: Nämlich in jeder Lage Vorteil nachzuweisen. Er gibt dem Leser solide Systeme an die Hand, mit denen dieser den Weißen die Hoffnung auf Vorteil nimmt und so vielleicht psychologisch in Vorteil kommt. Ein immer wieder unterschätzter Aspekt.

   Positiv hebt sich das Buch insbesondere dadurch hervor, dass der Großmeister einfach und klar die Ideen der Eröffnungsvarianten und die Unterschiede zwischen einzelnen Zugfolgen erklärt.

 

Beispiel aus Dorian Rogozenkos Anti-Sicilians

 

   "The point of delaying d4 is the following: in accordance with the traditional plan, Black will soon play ...d5 (or ...d6). Then Withe captures with exd6 and in reply to ...Qxd6 he plays Na3. In that scenario, if the moves d4 and ...cxd4 have not been played, it is more difficult for Black to achieve comfortable development (for instance he won`t have moves like ...dxc3, offering to exchange queens on the d-file). White can later combine the d4 advance with Nb5", (S. 66).

   Damit korrespondiert, dass er sich nicht in einem Variantendickicht verirrt. Er lässt lieber mal die eine oder andere unwichtige Zugfolge weg, damit der Leser die Übersicht behält. Dies ist insbesondere deshalb unproblematisch, weil der Spieler, der aufgrund der Erläuterungen erstmal die Stellung verstanden hat, weniger kritische Varianten sich durchaus selber erarbeiten kann und damit noch sein Stellungsverständnis schult.

   Rogozenko greift nicht nur auf bekannte Partien und Analysen zurück, sondern bereichert das Buch auch mit vielen eigenen Ideen. Ein Beispiel: In den vergangenen Jahren war in der Turnierpraxis auch auf Großmeisterebene, auch von Kasparow in zwei Blitzpartien, häufiger 1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.b3 b6 4.d4 cxd4 5.Sxd4 zu sehen.

 

Beispiel aus Dorian Rogozenkos Anti-Sicilians

 

   Zunächst erklärt er anhand der "normalen" Fortsetzung 5…Lb7 die weiße Idee: Spiel mit 6.Sb5 unter Opfer des e-Bauern auf den schwarzen Feldern d6 / c7; auf 6…Lxe4 folgt 7.S1c3 nebst 8.Lf4. Dann entwirft er einen wirksamen Gegenplan mittels 5…Lc5 (S. 108 ff.). 6.Sb5 ist zunächst wegen 6…Df6 verhindert. Seine Analysen umfassen vier Seiten - wobei er auf lediglich zwei Partien zurückgreifen konnte. Dies ist das Extrembeispiel, aber auch an vielen anderen Stellen im Buch findet man ein oder auch mal zwei Spalten in denen keine Partie zitiert wird und der Großmeister folglich eigene Analysen preisgibt.

 
Beispiel aus Dorian Rogozenkos Anti-Sicilians  

   Für den Schwarzspieler von enormer Wichtigkeit sind die verschiedenen Übergänge in den offenen Sizilianer. Als Beispiel: Häufig wählt der Anziehende 2.Sf3, dann aber das moderne 3.Sc3, um die Hauptvarianten im Sweschnikow zu vermeiden. Oder der Anziehende spielt 2.Sc3, um den Najdorf-Spieler nach dem unvorsichtigen 2…Sc6 mit 3.Sge2 nebst d4 in unbekannte Gefilde zu locken. Hierauf muss der Nachziehende gewappnet sein. Rogozenko kennt auf alle diese Zugumstellungen aus Sicht der Sweschnikow-Fans, Najdorf-Anhänger usw. Antworten und gibt Empfehlungen ab. Allerdings wurde der Autor in meinem ersten Beispiel von Kasparov, Kramnik, Leko und Co. überrollt. Redaktionsschluss für das Buch war laut Bibliographie TWIC 435 (vom 10. März 2003) - die Partien aus dem kurz zuvor zu Ende gegangenen Turnier in Linares wurden zwar noch eingepflegt, allerdings waren die Anmerkungen der Weltklasseleute und anderer Autoren zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. So kommt Rogozenko (S. 97) in der Variante nach 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 e5 4.Lc4 Le7 5.d3 d6 6.0-0 Sf6 7.Sg5 0-0 8. f4 exf4 9.Lxf4 h6 10.Sf3 Le6 11.Sd5 Lxd5 12.exd5 Sa5 (Diagramm links) aus Kramnik-Leko, Linares 2003 zu der Einschätzung, dass Schwarz einfach remisieren kann. Die wird sich vielleicht so nicht halten lassen, wie die Analyse von Tischbierek in der Schach 06/03 zeigt, kann meines Erachtens aber nicht als Beleg für den Keilhackschen "öfteren Eindruck" herhalten, "dass der "leichte Ausgleich" laut Rogozenko gleichbedeutend mit einer zwar haltbaren, aber unangenehmen und wenig perspektivreichen Stellung für Schwarz ist" (Keilhack, SCHACH 8/03, S. 56 f.).

 

   Rogozenko versteht es zudem, die Schwerpunkte richtig zu setzen. Exoten wie 2.c4 oder 2.b4 werden kurz über ein, zwei Seiten abgehandelt. Die beiden wirklich komplizierten Anti-Sizilianer Alapin (2.c3) und 3.Lb5 (+) und die verschiedenen Varianten, die 2.Sf3 beinhalten, nehmen zusammen ungefähr zwei Drittel des Buches ein. Die Gewichtung ist gelungen.

   Was mir nicht so recht erklärlich ist, wieso Rogozenko im Morra-Gambit nach 2.d4 cxd4 3.c3 mittels 3…Sf6 und Übergang in die Alapin-Variante so einfach den Bauern wieder hergeben möchte. Ich glaube, dass das Morra-Gambit neben dem Flügelgambit der einzige Anti-Sizilianer ist, in der Schwarz reale Chancen auf Vorteil hat.

   Nichtsdestotrotz kann ich das Buch für den Sizilianisch-Spieler uneingeschränkt anraten: 5 Sterne. Der Rogozenko wird den Schwarzen sicherlich bei der Vorbereitung auf eine Partie nicht im Stich lassen und sollte ggf. neben dem Laptop zur Standardausrüstung bei einer Turnierteilnahme gehören. Denn so angenehm klare Leitlinien gibt der Computer einfach nicht her. Der Preis in Höhe von 25,50 € halte ich ob der vielen eigenen Analysen und der zahlreichen Erläuterungen für angemessen. Ich glaube, dass das Buch für jeden ambitionierten Sizilianischspieler weitgehend unabhängig von der Spielstärke nützlich ist. Aber auch den Weißspielern, die Alapin bzw. Varianten mit 3.Lb5 (+) bevorzugen, ist der Kauf dieses Buches zu empfehlen.

 

Eine zweite Meinung: Rezension von Harald Fietz.

 

 

Das Rezensionsexemplar stellte die Firma Niggemann (Industriestraße 10, 46359 Heiden) zur Verfügung.


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