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Im Spiegel der Analyse

von Reinald Kloska

zu den kommentierten Partien


  Kuppenheim ist momentan Zweiter der Oberliga und nur ein paar Brettpunkte vom Aufstieg in die zweite Bundesliga entfernt. Wie ist dies zu erklären? Seit Jahren schon wird gezielt an der höheren Schachkunst gefeilt. Der Erfolg dieses zähen Trainings läßt sich am besten an der folgenden Partie darstellen. Der einfache Landesligaspieler, sozusagen der Primat des Schachspiels mit gekrümmten Gang, glaubt noch heute, daß eine Schachpartie eine Aneinanderreihung von Zügen sei. Weit gefehlt! Vielmehr verbirgt sich hinter einer Partie ein Konsortium von Plänen und Ideen, die im Folgenden vereinfacht in vier Phasen dargestellt werden.

Phase 1

   Die erste Phase einer gelungenen Partie ist ausschließlich in der Eröffnung anzusiedeln. Diese Phase dient dem gegnerischen Sicherheitsgefühl. Was ist hierunter zu verstehen? Nun, je sicherer sich Ihr Gegenüber bereits in der Eröffnung fühlt, desto leichter wird es Ihnen gelingen, ihn im Mittel- oder Endspiel zu übertölpeln. Ein Beispiel hierzu: Sie haben Weiß und eröffnen mit 1.e3. Es folgt 1... e5. Nun setzen Sie Ihr ganzes Talent in ein dümmlich nachdenkendes Zaudern und ziehen 2.e4! Schon wird Ihr Widerpart davon überzeugt sein, die Partie leicht heimschieben zu können. Völlig daneben wäre jedoch 1.f3 e5 2.g4 mit entsprechend dümmlich nachdenkenden Zaudern, woraufhin jedoch Ihr Kontrahent hämisch grinsend 2... Dh4 matt zieht.

  Sie sehen also, daß es außerordentlich schwierig ist, die Gratwanderung zwischen gegnerischem Sicherheitsgefühl und eigenem Verlust bestreiten zu wollen. Kurz gesagt: Nur etwas für gestandene Oberligaspieler. Nach dieser kurzen Einleitung werden Sie die Eröffnungsphase unserer Beispielpartie leicht verstehen.

Kloska, R - NN [A41]
Oberliga 1996


1.d4 d6 2.Sf3 g6 3.g3 Lg7 4.Lg2 c6








Beide Parteien beherrschen die oben erwähnte Strategie. Es ist nunmehr interessant zu beobachten, wie es der Führer der weißen Steine bewerkstelligt, daß der Schwarze die Geduld verliert und beginnen wird, in eigener Überschätzung auf Sieg zu spielen.

5.0-0 Sd7 6.c3 Sh6

Schon ist der Punkt erreicht, an dem die Geduld überschritten ist. Allerdings glaube ich, daß nunmehr für den bereits überforderten Landesligaspieler eine Anmerkung erforderlich ist. Der Typus des Landesligaspielers kann nämlich bereits hier nicht mehr folgen, denn für ihn ist nicht ersichtlich, daß Schwarz hier bereits die Phase 1-Taktik aufgeben wird. Vielmehr denkt er, daß eher Schwarz diese Strategie verfolgt, denn „Springer am Rand ist des Schachspielers Schand"! Hier ist dieser überaus unsinnige Spruch völlig fehl am Platze (zur Erinnerung: Ralf Gantner hätte anno 1995 gegen Toni Balzert in Baden-Baden mit dem Zug Sa5!! ein Matt oder Bauernumwandlung erzwingen können), denn dieser Zug bereitet den aktiven Vorstoß f5 vor.

7.e4 0-0 8.Dc2 e5 9.b3 f5








Völlige Fehleinschätzung der weißen Strategie, geradezu Harakiri, wie wir im weiteren Verlauf sehen können. Dieser Zug bietet Weiß die einmalige Möglichkeit, Phase 1 erfolgreich abzuschließen.

10.exf5!

Der bereits vielzitierte Landesligist hätte andere, dem Schein nach stärkere Züge gewählt. Doch sehen wir weiter: 

11... gxf5 11.dxe5 dxe5 12.Sbd2 e4 13.Sd4 Se5 14.La3 Te8 15.Se2 e3








Schwarz besaß hier schon keine andere Chance mehr, als mit diesem Zug vehement auf Partiegewinn zu spielen - und wenn Sie, verehrter Leser, ehrlich sind, so geben Sie doch jetzt keinen Pfifferling mehr für die weiße Stellung.

16.fxe3 Seg4

Der erste Erfolg der weißen Strategie. Schwarz ist vom eigenen Sieg bereits derart überzeugt, daß er das stärkere Shg4 unterläßt.

17.Sc4 Le6 18.Tad1 Dg5 19.Lc1 Lxc4 20.bxc4 Dh5 21.h3

Irgendwie unerläßlich.

21...Sxe3 22.Lxe3 Txe3 23.Sf4








Dies ist bereits ein Vorbote der Phase 2, auf die wir gleich zu sprechen kommen.

23... Df7 24.g4 Dxc4

Schwarz ist nun vollends vom Sieg überzeugt. Ein Mehrbauer steckt bereits in seiner Tasche, der zweite soll gleich folgen. Es kann sich aus seiner Sicht nur noch um ein paar Züge handeln, bis Weiß aufgibt, aber...

Phase 2

Diese Phase könnte auch „Aufmarsch" genannt werden. Worum geht es? Nachdem der Gegner in absoluter Siegessicherheit ist, wofür er übrigens ein Beträchtliches an Bedenkzeit verbraten hat, stellen wir unsere eigenen Figuren in die Nähe seines Königs. Hierbei muß keinerlei Drohung aufgestellt werden, es geht lediglich darum, eine optische Gefahr heraufzubeschwören. Die Drohungen gegen seinen eigenen König wird unser leiderfüllter Widerpart selbst aufstellen. Der nächste Zug ist nach diesen Zeilen leicht ausfindig zu machen:

25.Td7 Txc3 26.Db1

Der Bauer auf f5 darf nicht aus dem Visier gelassen werden.

26...b6

Und schon kümmert sich unser zeitnotgeplagter Opponent um ein unwichtiges Bäuerlein, anstatt weiter beherzt anzugreifen. Eine Auswirkung des „schrecklichen" 25. weißen Zuges.

27.Sh5

Die nächste Figur bewegt sich Richtung König.

27... Ld4+

Die Figur wurde sogar mit Tempogewinn gerettet, die Gewinnsicherheit steigt trotz Zeitnot! Hieraus sieht man, daß auch in Phase 2 die Ideen der ersten Phase nachwirken.

28.Kh1 Te8 29.g5

Auch die Bauern müssen in die Nähe des feindlichen Königs marschieren.








29... Tee3 30.Sf4!

Obwohl dies, entgegen dem Plan der zweiten Phase einen Stein zurückzieht, ist dieser Zug unabdingbar erforderlich, denn erstens ebnet er der Dame den Weg nach f5 und zweitens sorgt er dafür, daß der eigene König nicht mattgesetzt wird.

30... Sf7

Wie kläglich im Verhältnis zum weißen Springer auf f4, der deckt und zeitgleich zum Angriff bereitsteht, wirkt dieser hier auf f7.

31.Dxf5

Phase zwei strebt der Vollendung entgegen. Alle frei verfügbaren Figuren sind Richtung schwarzer König gezogen. Dies ist der Augenblick, in dem Schwarz die Fassung verliert:

31... Te5 32.Df6 Td5??







Läßt ein leicht zu sehendes Matt in zwei Zügen zu:

33.Dxf7+ Kh8 34.Dh7#.

Phase 3

Nun ist der schwierigste Moment in der Partie erreicht. Mit den oben gezeigten Zügen ist die Partie leicht zu beenden. Damit wäre zwar der Punkt gewonnen und die DWZ etwas gestiegen, aber sonst? Was gibt es also zu bedenken?

Da wäre erstens der Umstand, daß zu diesem Zeitpunkt neben der hier beschriebenen noch etliche weitere Partien laufen, so daß nicht alle Mannschaftskameraden dem Mattfinale zusehen können. Zum zweiten wäre zwar die Partie gewonnen, der Gegner jedoch nicht besiegt, denn er würde seinen Verlust auf einen Fingerfehler in Zeitnot zurückführen können. Somit muß also ein Weg gefunden werden, den Gegenüber zu bezwingen und die Zuschauer auf ihre Kosten kommen zu lassen, wenn diese ihre eigenen Partien gewonnen haben. Einen Weg hierfür zu finden, ist äußerst schwer, so daß auch Weiß nun lange zu überlegen hatte ehe er

33.De7!

fand.

33... Txd7 34.De8+ Kg7

Wieder ist ein Punkt erreicht, an dem die Partie zugunsten des Weißen entschieden werden kann.

Mit 35.Sh5+ Kg6 36.Dg8+ Lg7 37.Dxg7+ Kxh5 38.Dxh7 Kxg5 39.Tf5 wird einfach mattgesetzt. Doch auch hier gilt es zu bedenken, daß mittlerweile kaum mehr Zuschauer dem Spektakel frönen können, daß der Gegner noch immer in Zeitnot ist und vor allem daß es in der Geschichte des Schachspiels noch nie vorkam, daß nach dem Mattsetzen noch die gegnerische Dame gewonnen werden konnte. Es ist jedoch empirisch erwiesen, daß man, nachdem die gegnerische Dame gewonnen wurde, noch immer mattsetzen kann. Folglich bleibt nur:








35.Se6+! Dxe6 36.Dxe6 Tc7 37.Df5 Tc5 38.Dd3 Le5 39.h4 Kg8 40.Le4 Sd6

Die 40 Züge sind geschafft, jetzt erst kann der Gegner bezwungen werden.

41.Df3

Eine Falle!

41... Tf7








Auf die der Schwarze sofort hereinfällt. „Figurengewinn", denkt er und fällt nach

42.Lxh7+

aus allen Wolken. Dieser Zug ist objektiv betrachtet ein grober Fehler, denn es mußte unbedingt Db3 geschehen, was den Tf7 fesselt. Es ist jedoch der einzige Zug, der nicht nur die Partie gewinnt, sondern auch den Gegner besiegt:

42... Kg7

Selbstverständlich muß der Läufer geschlagen werden, doch die Verunsicherung ist mittlerweile übermächtig.

43.Dd3 Txf1+ 44.Dxf1 Tc4








Und wieder wird der Läufer nicht genommen. Merklich sinkt unser völlig übers Ohr gehauene Gegenüber nach 45.De1 in seinem Stuhl zusammen, der Kontrahent ist zerschmettert!

Phase 4

In Phase 4 wird nun, nachdem der Gegner bezwungen ist, auch die Partie beendet. Ein einziges Augenmerk ist noch darauf zu legen, daß alle Anwesenden die Möglichkeit besitzen, unser Brett zu umringen, um die Entscheidung miterleben zu können. Besonders hilfreich ist in solchen Fällen ein aktueller Spielstand von 3,5:3,5.

45... Kxh7 46.Dxe5 Txh4+ 47.Kg2 Se4 48.Df5+ Kg7 49.Kf3 c5 50.Ke3 a5 51.a4 c4 52.Dd7+ Kg6 53.Dc6+ Kf5








54.g6 Th3+ 55.Ke2 Tg3 56.Dd5+ Kf4 57.Df7+ Ke5 58.g7

und Schwarz gab auf. Sicherlich hätte er, wäre er nicht bereits seelisch und moralisch bezwungen worden, deutlich mehr Widerstand leisten können, ja vielleicht hätte er gar noch ein Unentschieden erreichen können. Dies war ihm jedoch aufgrund der voll aufgegangenen weißen Vier-Phasen-Strategie nicht mehr möglich.

1-0

Ich hoffe, mit diesen Ausführungen deutlich auf den Unterschied zwischen Oberliga und Landesliga aufmerksam gemacht zu haben.


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