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Der neue König Timo I.

Boll trumpft in der Europaliga auf

von Hartmut Metz


   Die Frage nervt. Und je häufiger sie gestellt wird, umso rhetorischer klingt sie. Die gewünschte Antwort, die sich die aufdringlichen Frager wünschen, ließ aber auch in Ludwigshafen vergebens auf sich warten. Das Journalistenvolk mag noch so murren, der Kronprinz zeigte sich nicht bereit, endlich das ersehnte "der König ist tot, es lebe der König" in die Blöcke zu diktieren. Das Wort "Wachablösung" nahm Timo Boll zwar in den Mund - aber nur, um es abzuschmettern wie vorher die Niederlande beim 20. Versuch, die deutschen Tischtennis-Asse endlich einmal zu bezwingen.

   „Wachablösung, nein. Jörg Roßkopf ist die Nummer 14 der Welt. Er ist die klare deutsche Nummer eins", sagt der in der nationalen Rangliste deutlich führende 19-Jährige, der auch beim Bundesligisten TTV Gönnern vor dem Ex-Europameister gemeldet steht. "Mr. Tischtennis" schweigt derweil zum Thema. Seine Leistung im letzten Vorrundenspiel der Europaliga, Gruppe B, war auch nicht dazu angetan, die Königsmörder zur Räson zu rufen. "Meine Akkus sind leer. Das merke ich bereits seit zwei Wochen, auch wenn ich bei den Swedish Open noch ins Viertelfinale kam. Es wird Zeit für die Pause an Weihnachten", erklärt Roßkopf die schwache Leistung nach "der vielleicht besten Halbserie meiner Karriere".

   Der 31-Jährige unterlag zuvor sowohl seinem Zimmergenossen aus Gönnern, Danny Heister, wie seinem Nachfolger bei Rekordmeister Borussia Düsseldorf, Trinko Keen, glatt in zwei Sätzen. Der für den verletzten Peter Franz nachnominierte Torben Wosik löste die Pflichtaufgabe gegen den Schwachpunkt der Niederländer, Chen Sung. Der nur auf Position 120 in der Welt geführte Penholder-Spieler überraschte den Frickenhausener im ersten Satz (19:21), ehe bei Wosik ab dem famosen Ballwechsel zum 12:12 im zweiten Durchgang wenigstens "meine Konzentration und Ruhe top waren".

   Bundestrainer Istvan Korpa entdeckte "mehrere kritische Phasen", die ihn seine erste Niederlage seit der Rückkehr ins Amt befürchten ließen. Dass die Auswahl des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) diese trotz der "fehlenden Spritzigkeit und Schnelligkeit bei Jörg Roßkopf" schadlos überstanden, lag an Korpas eigenem Zögling, den der ehemalige Nachwuchscoach zu neun EM-Titeln führte: Wie schon bei den 3:2 über Tschechien und Griechenland wahrte Boll mit zwei Erfolgen seine weiße Weste in der Europaliga. "Im Training geht das immer noch anders aus", kommentierte Danny Heister seine Drei-Satz-Niederlage (18:21, 21:16, 17:21) gegen Boll, die das zwischenzeitliche 1:1 bedeutet hatte. Gegen den fünf Plätze tiefer eingestuften Weltranglisten-38. Keen wirkte der Spitzenspieler des TTV Gönnern nach dem 9:14 im ersten Durchgang wie entfesselt. Beim 21:17 machte sich Steffen Fetzner, zurückgetretener Doppelpartner von Roßkopf, keine Sorgen mehr um seine alten Kameraden und begab sich im Gegensatz zu den begeisterten 1.500 Zuschauern auf den Heimweg. Tatsächlich fertigte Boll Keen anschließend mit 21:14 ab.

   Ein wichtiger Erfolg für Korpas Ansammlung von Linkshändern. Bei einem 2:3 hätten die direkten Vergleiche der drei Spitzenreiter vor Schlusslicht Griechenland den Ausschlag zugunsten von Tschechien gegeben. Jetzt reicht Letzteren das 3:1 über die Niederlande sowie das 3:2 bei den Hellenen nur zu Rang zwei. Titelverteidiger Deutschland qualifizierte sich indes nicht nur für das ab 24. Januar ausgetragene doppelrundige Finale mit Frankreich und Österreich. Als viel wichtiger wertete DTTB-Cheftrainer Dirk Schimmelpfennig die Aufnahme in die nur vier Teams umfassende Setzliste bei der EM 2002 in Zagreb samt des direkten Sprungs ins Viertelfinale.

   Die erneute Gala-Vorstellung von Boll nutzte er, um eine "Fehleinschätzung" des Deutschen Sportbundes (DSB) anzuprangern: "Die Europaliga machte deutlich, dass wir keinesfalls in die Fördergruppe IV gehören. Eine Abstufung von II nach III mag gerechtfertigt sein, weil nur Jörg Roßkopf in Sydney ins Viertelfinale kam. Aber mit Timo Boll stellten wir den jüngsten Achtelfinalisten, der jetzt 6:0 Punkte in der Europaliga verbuchte. Er bietet mehr als nur internationale Perspektiven", befindet der Erfolgscoach und fordert "Nachverhandlungen". Schließlich soll dank optimaler Förderung spätestens bei Olympia 2004 in Athen der neue König Timo I. ausgerufen werden. Am besten nicht nur der deutsche, sondern gleich der der gesamten Tischtennis-Welt.


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