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Tausend vergoldete Rosen

Mit "Mischmasch"-Stil wurde Qianhong Gotsch aus "Schwäbischland" Tischtennis-Europameisterin

von Hartmut Metz


   Tausend rote Rosen schabt schwäbische Spätzle "ziemlich gut" und vertilgt sie gleich liebend gerne. Um das Gewicht nicht noch höher als von 50 auf 65 Kilogramm schnellen zu lassen, spielt Tausend rote Rosen Tischtennis. Aber nicht allein um "abzunehmen", sondern vor allem wegen der Freude am Sport. "Wenn man gewinnt, macht es auch Spaß."

   Bei den Tischtennis-Europameisterschaften in Bremen hatte Tausend rote Rosen, wie der durch ein Gedicht von Mao Tse-Tung inspirierte Vorname von Qianhong Gotsch übersetzt heißt, enorm viel Spaß. Bis zum letzten Ballwechsel gegen die an Nummer fünf gesetzte Rumänin Mihaela Steff, nach dem die Wahl-Schwäbin als Kontinental-Meisterin feststand.

   „Ich lege mich jetzt erst einmal fünf Tage und Nächte ins Bett", verkündete eine ermattete Gotsch. Fünf Nächte - eine für jeden Satz, den sie im Finale bestritt. Die Betzingerin, die beim TSV die 14-jährigen Zwillinge Gaby und Meike Rohr ("International traue ich denen ganz viel zu!") trainiert, raffte sich trotz einer fiebrigen Erkältung zu einer Energieleistung auf. Die 31-Jährige wies die knallhart auf Angriff setzende Bad Driburger Bundesligaspielerin dank famoser Lauf- und Abwehrarbeit in die Schranken. Deswegen auch der Nachsatz der EM-Debütantin, "ich glaube, ich habe ein paar Kilo abgenommen".

   Der Kontrahentin erging es aber kaum besser. "Nach dem ersten Satz war ich am Ende. Ich merkte jedoch auch, dass Steff müde wurde", erinnerte sich die neue Europameisterin und widmete den Titel "dem gesamten deutschen Betreuerteam", das sie mit Infusionen und Cocktails wieder aufgepäppelt hatte. Zur Bestätigung ihrer Worte reckte "Hongi" ihren zerstochenen linken Handrücken nach vorne und bemerkte: "Am Arm findet man ja keine Vene, weil zu viel Fleisch drauf ist." Außerdem berichtete der Wonneproppen aus "Schwäbischland", dass ihr ein Arzt einen "Tennis- oder Golfarm" bescheinigte - "dabei spiele ich Tischtennis".

   Qianhong Gotsch albert gerne. Das fiel ihr nicht immer so leicht. In ihrer alten Heimat "herrscht ein riesengroßer Druck" in allen Lebenslagen. Das fing schon bei der Auswahl des Spielsystems an. Weil es an einer Abwehrspielerin zum Üben in der Sportschule mangelte, entschied ihr Trainer: "Du schupfst gerne, du spielst Abwehr." Der kleinen He Qianhong passte das gar nicht. "Nur Abwehr fand ich schrecklich langweilig. Ich habe dafür auch gar keine Geduld. Deshalb mache ich so viel Druck, dass ich angreifen kann." Oft hechtet sie auf unnachahmliche Art mehrere Meter hinter der Platte einem Ball hinterher, um Sekundenbruchteile später wieder vorne am Tisch ihren Spezialschlag, den Vorhandangriff, anzubringen. "Mischmasch" nennt das Energiebündel diesen Stil, der besonders beim 75-minütigen Zeitspiel im Halbfinale gegen Freundin und Doppel-Partnerin Jie Schöpp nützlich war.

   „Ich bin eine, die sagt, was sie denkt. Das ist in China nicht üblich", berichtet die kontaktfreudige Weltranglisten-Fünfte. Nach Problemen mit ihrem Trainer machte sich die chinesische Jugendmeisterin vor neun Jahren von der Millionen-Hafenstadt Tianjin auf den Weg nach Deutschland, um beim SV Böblingen anzuheuern. 1993 fand sie beim Tischtennis auch ihr privates Glück mit dem Elektroingenieur Ingo Gotsch. Die Einbürgerung folgte 1998.

   In ihrem "Traumland" hat die Liebhaberin von Walzerkönig Johann Strauß, die sich derzeit zudem bei Literatur von Ernest Hemingway entspannt, einen sportlichen Aufschwung erlebt. Täglich eisern acht Stunden an der Platte tragen dazu bei - dieser Fron unterwerfen sich in Europa nur ganz wenige. "In China gibt es so viele Konkurrentinnen. Die Trainer hielten mich nicht für gut genug, um in der Nationalmannschaft zu spielen", erzählt die Siegerin der beiden letzten Europe-Top-12-Turniere. An ein Karriereende denkt die 31-Jährige nach ihrem späten EM-Debüt noch lange nicht. "Ich fühle mich wie 25 und habe noch viel vor ...".


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