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Ich habe auch geweint"

Kantenball beendet Steffen Fetzners Ehe mit Jörg Rosskopf

von Hartmut Metz


   Steffen Fetzner liegt für ein paar Sekunden regungslos auf dem Boden. Soeben hat ein Kantenball die internationale Karriere des 31-Jährigen beendet. Nicht wie erhofft im Doppel-Endspiel der Tischtennis-Europameisterschaft. Ein paar Sekunden liegt der Partner von Jörg Roßkopf da, ehe sich der Doppel-Weltmeister von 1989 erhebt und Ovationen des Publikums erhält, das ihm ein besseres Ende im Viertelfinale so sehr gewünscht hatte als dieses durch einen lausigen Kantenball beim Stand von 18:20 im dritten Satz.

   Artige Gratulation an die Franzosen Jean-Philippe Gatien und Patrick Chila, ein letzter Trost von Jörg Roßkopf, der sich gequält hatte für seinen Partner. Trotz Schulterverletzung stand er in der Bremer Stadthalle. "Ich möchte zum letzten Mal mit Steffen um eine Medaille spielen. Das bin ich ihm schuldig", hatte der Düsseldorfer zuvor seinen Verzicht auf die Einzel-Konkurrenz begründet. Steffen Fetzner mochte die Box nicht verlassen. Der 206fache Nationalspieler haderte nicht etwa mit dem Kantenball. "Das gleicht sich bei einem Turnier immer aus." Stattdessen "war ich nur traurig, weil wir verloren hatten". Das Rad der Zeit lässt sich auch durch die Silbermedaillen-Gewinner von Barcelona 1992 nicht zurückdrehen. Diese Gewissheit findet ihren Ausdruck durch einen leichten Fußtritt gegen die Wand.

   Doch bald kehrt Steffen Fetzner vom Wasserautomaten zurück auf die Bank, um das Spiel auf der Platte hinter ihrem unglücklichen Abgang zu verfolgen. Der 20-jährige Lars Hielscher und der 22-jährige Thomas Keinath trumpfen dort auf wie einst "Speedy" und "Rossi" anno 1989 in Dortmund. "Der König ist tot, es lebe der König!" Das Publikum treibt die Verlegenheitskombination aus Jülich und Würzburg im Schlusssatz vom 17:19 gegen die jugoslawischen Favoriten Slobodjan Grujic/Alexksandar Karakesevic (souveräne Bezwinger der vermeintlichen Topfavoriten Samsonow/Primorac) zum 21:19. "Was für eine Überraschung! Was für eine Sensation!", jubiliert der Hallensprecher und die Fans wie Fetzner freuen sich mit. Fetzner ist der erste Gratulant.

   Der künftige Repräsentant von Toto-Lotto Rheinland-Pfalz, der in Grenzau die zwei nächsten Jahre nur noch als Ersatzmann spielen wird, lamentiert kaum. Gewiss, das Scheitern bei der Olympia-Qualifikation im Dezember wegen eines erneut angeschlagenen Jörg Roßkopf sei seine bitterste sportliche Stunde gewesen. Diesmal überwiege jedoch die Freude über das "überraschend hohe Niveau", das "Fetzkopf" nochmals erreichten. Roßkopf assistiert. "Wir steigerten uns von Doppel zu Doppel. Medaillen haben wir genug gewonnen, auch wenn eine weitere zum Abschied von Speedy toll gewesen wäre." Roßkopfs Gedanken schweifen in die Zukunft ab. "Ich hatte mir vorgestellt, mit einem des Doppels Hielscher/Keinath zu spielen. Aber das sieht nicht mehr so gut aus", witzelt der Ausnahmekönner und gewährt dem 19-jährigen Timo Boll den Vortritt bei Zoltan Fejer-Konnerth.

   Hinter Torben Wosik und Peter Franz waren Hielscher/Keinath nur die Nummer vier im Nationalteam. Zusammengeschweißt, weil kein Anderer mehr parat stand und die beiden Rückhand-Spezialisten vor vier Jahren bei einer Jugend-Europameisterschaft einmal gemeinsam ins Viertelfinale vorgedrungen waren. Nachfolger von "Fetzkopf" werden sie trotz des "Riesenerfolgs" (Hielscher) aus zweierlei Gründen nicht: Im Halbfinale gegen die späteren Europameister Gatien/Chila zeigte sich, dass der Kombination dazu noch ein Stück fehlt. Im Gegensatz zu Fetzner und Roßkopf war sie in zwei Sätzen chancenlos. Soll Linkshänder Roßkopf nicht brach liegen, wird wohl der introvertierte Keinath weichen müssen. Hielscher gilt als glänzender Doppelspieler, der im Vorjahr mit Boll den nationalen Titel gewann und heuer mit David Daus auf Platz zwei landete. Keinath kann nur hoffen, dass Roßkopf es zunächst mit einem weiteren Talent, Bastian Steger, versucht und harmoniert.

   „Ich bin nicht mit Jörg verheiratet!" Als Beweis streift Fetzner seinen Ehering vom Finger, reckt ihn vor sein Auge und bemerkt grinsend: "Da steht Belinda drauf." Nachdem der Doppel-Weltmeister die internationale Bühne verlässt, weicht jedoch die Fröhlichkeit Wehmut. Kleinlaut bemerkt der zweifache Familienvater, "es war doch schon eine Art Ehe. Mit Jörg habe ich mehr Zeit verbracht". Vor 20 Jahren hatten sich "Fetzkopf" bei einem C-Kader-Lehrgang gefunden, in ihrer Sturm- und Drangzeit in Düsseldorf zusammen die Bude geteilt und bis auf eine kurze Liaison Roßkopfs mit Wladimir Samsonow beim EM-Sieg 1998 sich in guten wie in schlechten Tagen die Treue gehalten. "Es war doch schon eine Art Ehe." Steffen Fetzner versucht sich selbst zu trösten: "Wir bleiben auch über die Zeit hinweg gute Freunde." Wie man sich das eben nach einer Trennung ohne Streit schwört. Einer mächtigen Gefühlswallung kann die erste Hälfte von "Fetzkopf" letztlich aber nicht entrinnen. Ganz leise sagt Steffen Fetzner: "Ich habe auch geweint. Dafür muss man sich nicht schämen."


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