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Letzte Schlacht im Schach

Gleichstand bei WM-Titelvereinigung vor letzter Partie

Text und Fotos von FM Hartmut Metz, Oktober 2006

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Wladimir Kramnik

 

Wesselin Topalow

Wladimir Kramnik

 

Wesselin Topalow

 

   Der moralische Sieger der WM-Titelvereinigung steht bereits vor der heutigen letzten Partie fest: Wladimir Kramnik. Auf der Homepage des Weltmeisters im klassischen Schach stechen dem Betrachter sogleich zwei Ergebnisse ins Auge. Zum einen wird auf das offizielle Resultat des Schach-Weltverbandes FIDE verwiesen mit „FIDE-Score nach elf Partien: Kramnik 5,5-5,5 Topalow“. Zum anderen prangt direkt darunter „Wahrer Score am Brett: Kramnik 5,5-4,5 Topalow“.

   Vor dem hart umkämpften Remis nach 66 Zügen am Dienstagabend gegen den Bulgaren Wesselin Topalow unterstrich der Russe mit einem offenen Brief nochmals seine Position. Darin forderte der 31-Jährige eine Neuansetzung der fünften Partie im kalmückischen Elista, die Kramnik wegen der Toiletten-Affäre kampflos verloren hatte. „Ich wollte keinen Skandal provozieren. Das Schreiben war wichtig, um künftige rechtliche Schritte zu unterstreichen“, betonte der Moskauer, der angeblich wegen des politischen Drucks aus Russland den WM-Kampf unter Protest fortgesetzt hatte. Den juristischen Erfolg beim Sportgericht in Lausanne peilt Kramnik aber gewiss nur an, wenn er den Sieg heute ab 13 Uhr MESZ nicht schon am Brett sichert. Dann dürfte die drohende rechtliche Verlängerung hinfällig werden.

   Bei einem weiteren Unentschieden zum 6:6 müssen die beiden Großmeister morgen gleich vier Schnellschach-Partien austragen. Sollte anschließend erneut Gleichstand herrschen, wird die Bedenkzeit weiter auf bis zu fünf Minuten (plus zehn Sekunden je ausgeführten Zug) verkürzt. Spätestens nach drei Blitzpartien stünde dann der einzige Schach-Weltmeister fest – vorerst, sollte Topalow gewinnen. Der Bulgare macht sich diesbezüglich kaum Sorgen. „Meiner Meinung nach kann Kramnik nicht ernstlich glauben, dass seine Chancen vor Gericht hoch sind“, erklärte der Weltranglistenerste im Interview mit der bulgarischen Tageszeitung „Trud“.

   Die Bezeichnung „Toiletten-Wettkampf“ für das WM-Duell findet Topalow „humorvoll“. Gegenüber den Medien zeigt sich der 31-Jährige dabei unbeeindruckt von den verlorenen Sympathien außerhalb seiner Heimat. Seinem Manager Silvio Danailow bescheinigte er sogar, einen „außerordentlichen Job“ gemacht zu haben. Sein vieljähriger Freund hatte beim Stand von 1:3 für internationales Aufsehen gesorgt: Nach haltlosen Vorwürfen, Kramnik bescheiße mit dem Computer-Programm „Fritz 9“ auf der Toilette, stand die WM vor dem Abbruch. Der Waschraum in den Ruheräumen ist der einzige Bereich, der nicht durch Videokameras überwacht wird. Die FIDE hatte vor der fünften Partie die Toiletten versiegelt, aber nach einem erfolgreichen Protest Kramniks wieder ab Runde sechs die alten Vertragsbedingungen hergestellt.

   Dank der problemlosen Punkteteilung mit Schwarz, bei der Kramnik am Schluss der elften Partie einen symbolischen Vorteil von einem Bauern besaß, gab sich der neue Liebling der Fans vor der letzten Turnierpartie optimistisch. „Man sollte nicht vergessen, dass ich Weiß habe. Ich weiß, was ich zu tun habe, schließlich verfüge ich diesbezüglich über einige Erfahrung“, äußerte Kramnik und spielte auf seine letzte WM in der Schweiz an. 2004 lag er gegen den Ungarn Peter Leko mit 6:7 zurück und glich mit dem Anzugsvorteil als Weißer nervenstark aus. Daran erinnerte sich auch sein Widersacher, der schon nach seiner 5:4-Führung auf das Leko-Match verwiesen hatte. „Der Druck ist normal. Mich plagt dennoch keine Nervosität, auch wenn viel davon abhängt: Geld und die WM-Titelvereinigung“, betonte Topalow und ergänzte, „das ist vielleicht das wichtigste Match meines Lebens – aber egal, ich muss alles vergessen und die besten Züge finden.“

   Der 31-jährige FIDE-Weltmeister, der bisher nur zwei Duelle gewinnen konnte, haderte jedoch bereits mit seiner Chancenverwertung. „Die WM könnte schon längst vorbei sein, hätte ich alle Positionen richtig verwertet“, klagte der Weltranglistenerste Topalow. Lockerer scheint Kramnik angesichts der vielen Vorteile in die entscheidende Schlacht zu ziehen. Bei einem Remis könnte der Weltranglistendritte am Freitag notfalls auf seine Qualitäten als wohl besserer Schnellschachspieler vertrauen. „Es ist nicht so schlecht, wenn die Entscheidung im Schnell- oder Blitzschach fällt“, orakelte der Russe und setzte fort, „ich meine im Vergleich dazu, dass das Schicksal des Titels vor Gericht entschieden werden könnte!“

 










Topalow,Wesselin (2813) - Kramnik,Wladimir (2743)[D12]
WM-Titelvereinigung Elista (Russland) (11), 10.10.2006

1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.e3 Lf5 5.Sc3 e6 6.Sh4 Lg6 7.Sxg6 hxg6 8.Tb1 Sbd7 9.c5 a5 10.a3 e5 11.b4 axb4 12.axb4 Dc7 13.f4 exf4 14.exf4 Le7 15.Le2 Sf8 16.0-0 Se6 17.g3 Dd7 18.Dd3 Se4 19.Sxe4 dxe4 20.Dxe4 Dxd4+ 21.Dxd4 Sxd4 22.Lc4 0-0 23.Kg2 Ta4 24.Td1 Td8 25.Le3 Lf6 26.g4 Kf8 27.Lf2 Se6 28.Txd8+ Lxd8 29.f5 gxf5 30.gxf5 Sf4+ 31.Kf3 Sh5 32.Tb3 Lc7 33.h4 Sf6 34.Ld3 Sd7 35.Le4 Se5+ 36.Kg2 Ta2 37.Lb1 Td2 38.Kf1 Sg4 39.Lg1 Lh2 40.Ke1 Td5 41.Lf2 Ke7 42.h5 Sxf2 43.Kxf2 Kf6 44.Kf3 Td4 45.b5 Tc4 46.bxc6 bxc6 47.Tb6 Txc5 48.Le4 Kg5 49.Txc6 Ta5 50.Tb6 Ta3+ 51.Kg2 Lc7 52.Tb7 Tc3 53.Kf2 Kxh5 54.Ld5 f6 55.Ke2 Kg4 56.Le4 Kf4 57.Ld3 Tc5 58.Tb4+ Kg3 59.Tc4 Te5+ 60.Te4 Ta5 61.Te3+ Kg2 62.Le4+ Kh2 63.Tb3 Ta2+ 64.Kd3 Lf4 65.Kc4 Te2 66.Kd5 1/2-1/2

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