Startseite Rochade Kuppenheim

Poker für Schachprofis deutlich lukrativer

Großmeister Matthias Wahls wechselt ins Metier der schwach spielenden "Hasardeure und Zocker"

Text und Foto von FM Hartmut Metz, Februar 2006

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

Matthias Wahls
GM Matthias Wahls driftet zum Pokerspiel ab.

 

   Wesselin Topalow hat seine Honorarforderungen seit dem Gewinn der Schach-Weltmeisterschaft vor knapp einem Vierteljahr teilweise vervierfacht. So fordert der Manager des Bulgaren, Silvio Danailow, statt 20.000 nun 80.000 Euro für eine Turnierteilnahme. Dass der 30-Jährige das Geld wert ist, beweist der neue Champion beim Topturnier in Wijk aan Zee. Nach acht der 13 Runden an der niederländischen Küste liegt Topalow gleichauf mit dem Inder Viswanathan Anand (beide 5,5 Punkte) an der Spitze.

   In Wijk aan Zee ist einer der wenigen Zahltage für die Asse hinter den beiden Führenden in der Weltrangliste. Jeder kassiert ein paar Tausender. Von solch einer Summe kann ein durchschnittlicher Großmeister nur träumen. Mühselig halten sich mehrere hundert Schachprofis das Jahr hindurch über Wasser. Zu den mehreren Hundertern für jeden der 15 Bundesliga-Einsätze gesellt sich meist nicht viel: Auf den ersten Blick scheinen zwischen 1.000 und 2.000 Euro für einen Podestplatz in einem Open passabel. Doch solch einer gelingt angesichts der Vielzahl der starken Konkurrenz selten. Öfter bleiben nach einer Woche Denkarbeit nur ein paar Brotkrumen übrig.

   Der Tretmühle auf den 64 Feldern entfliehen immer mehr Großmeister. Seinen Entschluss öffentlich machte jetzt ausgerechnet Matthias Wahls. Dabei war der Hamburger mit Wohnsitz in London dank seiner Seminare noch vergleichsweise gut im Geschäft. Die "Liebhaberei", sich mit "30 Großmeistern bei einem Open um einen Preisfonds zu balgen, der eigentlich nur zehn von ihnen ein würdiges Einkommen ermöglicht", gab Wahls auf. Der ehemalige Top-50-Spieler, der heute 38 Jahre alt wird, rochierte zum Poker. Mit Partnern betreibt er unter www.pokerstrategy.de eine durch Werbung finanzierte Akademie. Seit Bekanntgabe seines Vorhabens schnellte die Mitgliederzahl binnen Monatsfrist von 1.700 auf mehr als 5.000 Mitglieder.

   Nicht nur Wahls sieht riesiges Potenzial in Deutschland, sollte Internet-Poker aus der bisher rechtlichen Grauzone geraten. Im Fernsehen gewinnt es bei Eurosport und DSF schon an Boden. In den USA und Kanada sorgen bereits Millionen von Spielern für gewaltige Umsätze. Die Stundengewinne der Besten taxiert Wahls auf rund 1.000 Dollar, "begabte Spieler aus den Top 500 nehmen ungefähr am Tag 2.000 Dollar ein". Kein Wunder, verdingen sich zunehmend mehr Schach-Großmeister beim Poker. Beim deutschen Meister Werder Bremen soll deswegen schon ein Figurenkünstler aus dem Kader geflogen sein, ein anderer wurde wegen seiner Pokersucht abgemahnt. Ein weiterer gesteht hinter vorgehaltener Hand, dass er sich mit niedrigen Einsätzen - diese beginnen bei zwei Cent, Höchstsätze gehen laut Wahls bis zu 20.000 Dollar - und ohne großes Risiko jeden Monat einen Tausender mit den Karten dazuverdient.

   "Vor einem Jahr lernte ich von einem Großmeister-Kollegen die Pokervariante 'Texas Hold'em'. Anfangs war ich sehr skeptisch, da ich nichts für Glücksspiele übrig habe", berichtet der ehemalige Bundesliga-Crack des Hamburger SK. Schnell habe sich ihm aber erschlossen, dass bei beiden Spielen die gleichen strategischen Fähigkeiten, Mathematik und Psychologie erforderlich seien - "dabei ist Poker viel einfacher!", ergänzt Wahls. Den Wechsel zum anspruchsloseren Spiel begründet der 38-Jährige mit der "Lukrativität. Hier wird Leistung besser bezahlt als beim Schach". Den Grund liefert er auch gleich mit: "Beim Poker tummeln sich viele schlechte Spieler auf Niveaustufen, die keinesfalls ihrem Können entsprechen. Kurzfristig spielt das Kartenglück eine Rolle. Schwache Charaktere mit großem Ego werden durch Erfolgserlebnisse animiert, über ihre Verhältnisse zu spielen. Langfristig verliert dieser Personenschlag jedoch zwangsläufig Geld an die versierten Spieler", weiß Wahls. Bei "Texas Hold'em" werde der Fleißige schneller und leichter als beim Schach belohnt. Mittels intensiven Studiums könne man sich so rasch vom Heer der "Zocker und Hasardeure" abheben, meint der Ex-Schachprofi.

   Mit dem Internationalen Meister Ivo Donev stellte der Schachsport einmal einen Poker-Weltmeister. Sich selbst ordnet Wahls deutlich niedriger als "solider Spieler" ein. "Damit bin ich ungefähr 90 Prozent so stark wie ein Weltklassemann." Ob die "letzten zehn Prozent gutzumachen" sind, vermag der Großmeister nicht zu sagen. "Meine Entwicklung wird sicher etwas abgebremst, da die Leitung meiner Pokerschule oberste Priorität genießt und ich kein Turnierspieler bin", glaubt der Neu-Londoner. Den Traum von Millionen Dollar bei den für jedermann offenen Weltmeisterschaften überlässt Wahls seinen Schülern. Ein Pokerspieler mit treffendem Namen schürt seit 2003 die Hoffnungen aller Amateure: Als der Nobody Chris Moneymaker die hoch dotierte WM gewann, war die Hysterie perfekt.


zur Meko