Schach begeistert schwerstes GehirnNovellist Turgenjew fungierte beim weltberühmten Baden-Badener Turnier von 1870 als Vizepräsidentvon FM Hartmut Metz, 22. Juli 2006 |
Stefan Haas: Das Schachturnier zu Baden-Baden 1870 / Der unbekannte Schachmeister Adolf Stern, Schachzentrale Rattmann, ISBN 3-88086-190-0; 19,90 Euro.
Baden-Baden hat 1870 alle Zutaten geboten, um ein bis heute berühmtes Schachturnier auf die Beine zu stellen. Baden, wie es damals nur genannt wurde, hatte zwar lediglich rund 10000 Einwohner aber zahlreiche Adlige und Vermögende erhoben den Ort an der Oos zur Sommerhauptstadt Europas. Prunkvolle Bauten, Parkanlagen, Theater und Feste sorgten für Kurzweil. Die Familie Benazet als Casino-Betreiber oder Blaublütige beziehungsweise Intellektuelle aus Russland prägten die Stadt. Zu den herausragenden Gestalten neben Gagarin und Menchikoff zählten Fürst Michail Stourdza und Iwan Turgenjew, der als einer der bedeutendsten europäischen Novellisten gilt.
Iwan Turgenjew
Der sozialkritische Schriftsteller hatte ein Faible fürs Schach, schreibt Stefan Haas in dem vorzüglichen neuen Buch Das Schachturnier zu Baden-Baden 1870/Der unbekannte Schachmeister Adolf Stern, das die Geschehnisse vor 136 Jahren erstmals ausführlich beleuchtet (wir berichteten in der vorherigen Schachspalte). Schon während der Studienzeit hatte er Schachbücher studiert und gesammelt, berichtet Haas. Gegen den Berufsspieler Ladislas Maczuski unterlag Turgenjew in Paris ehrenvoll mit 2:4. Kein Wunder, möchte man meinen, kennt man Turgenjews Bestleistung, mit der er 1987 Eingang ins Guinness-Buch der Rekorde fand: Der Dichter besaß demnach das schwerste jemals gewogene Gehirn mit 2012 Gramm ...
Turgenjew fungierte bei dem Schachkongress, der am 15. Juli 1870 begann, als Vizepräsident. Fürst Stourza, letzter Regent seiner Familie im Fürstentum Moldau, hatte bereits 1867 in Paris ein berühmtes Turnier unterstützt und war nun Präsident des Kongresskomitees. Unterstützung erfuhr der Fürst von Ignaz Kolisch, drei Jahre zuvor einer der weltbesten Schachspieler und Sieger in Paris sowie diesmal als Sekretär Hauptorganisator des Wettbewerbs. Die einflussreichen Organisatoren brachten einen für damalige Verhältnisse üppigen Preisfonds zusammen. Allein der Sieger erhielt 3000 Francs. Das sind nach heutiger Kaufkraft um die 12000 Euro, betont Haas.
Die Summe sicherte sich der Breslauer Gymnasiallehrer Adolf Anderssen. Der erfolgreichste Spieler des 19. Jahrhunderts nahm meist nur in den Ferien an Wettbewerben teil, gewann dort aber fünf der sechs großen Turniere, in denen sich der Kombinationskünstler den Konkurrenten stellte. Entscheidend für seinen Erfolg in Baden-Baden waren die zwei Siege im direkten Duell mit Wilhelm Steinitz. Anderssen stand mit 13, sein schärfster Rivale mit 12,5 Punkten zu Buche. Nachstehend die interessante zweite Partie der beiden.