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"In 7 von 10 Kämpfen schlagen wir Werder"

Interview mit Viswanathan Anand vor dem Bundesliga-Hit zwischen Tabellenführer OSC Baden-Baden und Meister Bremen

Text und Foto von FM Hartmut Metz, April 2006

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   Werder Bremen gegen OSC Baden-Baden: Die Hanseaten sind Meister, die Startruppe aus der Kurstadt will es endlich werden. In Hamburg kommt es am Samstag zum Gipfeltreffen. Bezwingt der favorisierte Spitzenreiter Baden-Baden (17:1 Punkte) den Tabellenzweiten Bremen (16:2), ist das Meisterschaftsrennen entschieden. Dauerrivale SG Köln-Porz (14:4) besitzt nur noch rechnerische Chancen, ins Titelrennen einzugreifen. Vor dem Bundesliga-Hit unterhielt sich unser Mitarbeiter Hartmut Metz mit dem Baden-Badener Topmann Viswanathan Anand. Der 36-jährige Weltranglistenzweite aus Indien nahm auch Stellung zur derzeitigen Situation an der Weltspitze, die der „Tiger von Madras“ und Weltmeister Wesselin Topalow (Bulgarien) dominieren.

 

Viswanathan Anand

Viswanathan Anand

 

Frage: Nach dem Wochenende steht der OSC Baden-Baden vorzeitig als deutscher Meister fest.

Anand: Natürlich ist Bremen unser schärfster Rivale, was dem Duell besondere Bedeutung zukommen lässt. Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen. Ich will nicht zu optimistisch sein, nachdem wir zwei Jahre lang immer nah am Titel waren. Hoffentlich machen wir aber diesmal die Meisterschaft klar.

 

Frage: Soll das heißen, Titelverteidiger Werder Bremen hat doch eine Außenseiterchance gegen das Dream-Team aus der Kurstadt? Mit Verlaub: Für Baden-Baden spielen Sie und der Weltranglistendritte Peter Swidler, dazu mit Etienne Bacrot und Alexej Schirow zwei weitere Großmeister aus den Top 16 der Welt. Höchstens zwei Bremer, die Ukrainer Zahar Jefimenko und Alexander Areschchenko, hätten beim OSC eine Chance, in das Stamm-Oktett zu gelangen.

Anand: Sicher, auf dem Papier sind wir eindeutig favorisiert. In sieben von zehn Kämpfen würden wir Bremen wohl auch schlagen. Aber in der Vergangenheit haben wir das trotz unserer Favoritenrolle versäumt. An einem Tag kann folglich alles passieren.

 

Frage: Dauerrivale SG Köln-Porz sehen Sie aber chancenlos auf den Titel bei zwei oder drei Punkten Rückstand nach dem Wochenende?

Anand: Sicher, Porz ist schon einige Punkte zurück. Aber lassen Sie uns erst dieses Wochenende spielen, bevor wir anfangen zu rechnen.

 

Frage: Bisher sind Sie in Ihrer dreieinhalbjährigen Bundesliga-Zeit ungeschlagen und ragten mit 15 Siegen und 10 Unentschieden am Spitzenbrett heraus. Liegt Ihnen der Modus mit zwei Partien am Wochenende, um sich ideal auf die Eröffnungen der Gegner vorzubereiten?

Anand: Vor allem liegt es daran, dass ich die Atmosphäre in der Bundesliga mag. Wir haben eine sehr gute Mannschaft, auch bezogen auf das Miteinander. Der OSC besitzt einige nette Jungs in seinen Reihen, auch enge Freunde wie Rustem Dautov. Deshalb fühle ich mich wie zu Hause. Das hilft. Die Vorbereitung ist manchmal auch nicht anders als bei Turnieren. Ich erinnere mich, dass ich einmal vom Turnier in Monaco direkt zum Spiel gegen den Porzer Christopher Lutz anreiste und mich deshalb auch kaum vorbereiten konnte.

 

Frage: Lastet solch eine Serie ohne Niederlage auch auf einem? Oder denkt man da selbst nicht daran, wenn der ein oder andere Gegner respektvoll ein Unentschieden anbietet?

Anand: Oh, ich dachte gar nicht daran. Danke, dass Sie mich daran erinnern (lacht). Natürlich ist es schön, weil alles vom Resultat abhängt – und zu verlieren ist niemals ein gutes Ergebnis.

 

Frage: Wie sehen Sie die aktuelle Situation an der Weltspitze?

Anand: Wesselin Topalow steht derzeit wohl bei 2810 oder 2811 Elo. Er wies 2005 die besten Ergebnisse auf, keine Frage. Ich hoffe, dass Wijk aan Zee für mich eine Art Neubeginn darstellt. Das Vorjahr war nicht schlecht, aber ich kämpfte nicht wirklich um Platz eins in der Weltrangliste mit. Hierbei Monaco ausgenommen, wo er mich nicht sonderlich forderte.

 

Frage: Ihre Bescheidenheit ehrt Sie, doch: Vorne kommen Sie und der Bulgare – dahinter lange nichts mehr. Selbst Ihr Baden-Badener Mannschaftskamerad Peter Swidler auf Platz drei weist einen gewaltigen Rückstand in der Weltrangliste auf. Neben der Weltmeisterschaft hat das auch Wijk aan Zee gezeigt mit dem Sieg von Ihnen und Topalow.

Anand: In jedem Turnier muss man mit Leko, Swidler, Bacrot, Aronjan und all diesen Burschen rechnen. Deshalb sehe ich Topalow nicht als einzigen Konkurrenten. Wenn man natürlich die Weltrangliste allein betrachtet, stimmt es schon: Da müsste einer in einem Turnier 50 Elo gutmachen, um aufzuschließen. Insofern liegen Topalow und ich deutlich in Front – das kann sich aber ändern. Aronjan schoss im Vorjahr nach vorne. Wenn er weitere 30 Punkte gutmacht, wäre er ein ernst zu nehmender Rivale im Kampf um die Topplätze in der Weltrangliste. Leko kann auch ein Comeback feiern. Nach seinem Sieg in Wijk aan Zee 2005 ließ er deutlich nach. Aber prinzipiell ist Peter sehr stark. Gleiches gilt für Swidler, der immer gut spielt, insbesondere überzeugte er im Vorjahr. Es wird interessant, ihre Entwicklung in Linares und Morelia (Mexiko) zu verfolgen.

 

Frage: Wladimir Kramnik haben Sie nicht mehr auf der Rechnung?

Anand: Ich wusste nicht um seinen Zustand. Egal, wie schwer die Krankheit ist, wenn man sich nicht wohlfühlt am Brett, kann man keine Bestleistungen bringen. Deshalb scheint es mir vernünftig, eine Pause einzulegen und sich auszukurieren. Mir liegen kaum Informationen über seine Operation vor, ich wünsche ihm aber das Beste dafür. Ich überlege mir dabei nicht, ob er wieder ein Konkurrent von mir sein könnte, die gibt es immer. Spiel gute Züge, dann musst du dir keine Gedanken über die Gegner machen. Wladimir war jedenfalls mit mir zusammen von 1993 bis 2003 beständig auf einem Niveau als Nummer zwei der Welt.

 

Frage: Sehen Sie weitere Spieler, die wenigstens den Abstand verkürzen könnten? Ruslan Ponomarjow ist jung und derzeit in prächtiger Form.

Anand: Bacrot, Aronjan, Grischuk, Ponomarjow und auch Vallejo Pons spielte jetzt in Mexiko stark. Die Gruppe aus den Jahrgängen 1982/83 ist im Kommen. Ich will keinen herausgreifen von den Genannten, aber Ponomarjow war schon Weltmeister, was ihm vielleicht einen Bonus gibt. In den drei letzten Turnieren trumpfte er auf. Beim Weltcup waren unter den letzten vier alle jung. Aronjan war mit 23 der Älteste.

 

Frage: Oh Gott, da sind Sie dagegen mit 36 der Opa der Weltelite.

Anand (amüsiert): Gelfand und Iwantschuk sind auch steinalt!

 

Frage: Und wie sieht es unter ihren „Enkeln“ aus? Der 16-jährige Sergej Karjakin, der in Wijk aan Zee immerhin Fünfter wurde, und der 15-jährige Magnus Carlsen, der dort das B-Turnier gewann?

Anand: Carlsen beeindruckte mich die letzten paar Monate. Karjakin enttäuschte nun dagegen in Mexiko. Aber die Wellentäler passieren in dem Alter. Aber beide sind sehr vielversprechend. Ich verfolge ihre Fortschritte nicht tagtäglich, aber man muss ein Auge auf sie haben, keine Frage.

 

Frage: Was macht Sie und Topalow besser als die anderen?

Anand: Ich arbeitete im vergangenen Jahr sehr hart, was enorm wichtig ist im Profischach. Vor Wijk aan Zee war ich besonders motiviert. Ich wollte mich nicht zu sehr unter Druck setzen, endlich die 2800-Elo-Schallmauer zu knacken. Aber sicherlich beflügelt es einen, wenn man Ziele vor Augen hat.

 

Frage: Das bedeutet, Sie waren die Jahre zuvor faul?

Anand: Nee, ich habe da auch gearbeitet. Aber das moderne Schach ändert sich rasant. Man muss nicht nur am eigenen Spiel feilen, sondern auch verstehen, was sich ändert.

 

Frage: Verraten Sie es uns Patzern auch?

Anand: Die Eröffnungen verändern sich durch die Computer. Da darf man sich nicht ausruhen und muss sich zwingen, ständig auf hohem Niveau am Ball zu bleiben. Momentan gelingt mir das.

 

Frage: Ich finde Ihre Sizilianisch-Behandlung mit Weiß beeindruckend. Diese Springerausflüge nach a4 oder a5 und vor allem die Bauernzüge vor dem bedrohten König am Damenflügel! Und plötzlich stehen Sie riesig.

Anand: Insbesondere Sizilianisch hat sich durch die ausufernden Analysen mit Computern verändert. Aber man hat gar keine andere Wahl als mitzumachen – ansonsten gleicht Schwarz nach zehn Zügen aus, und Weiß kitzelt nichts aus der Stellung. Die Leute studieren wie Verrückte die Eröffnungen!

 

Frage: Welche Unterschiede entdecken Sie zwischen dem Schach des Bulgaren und Ihrem?

Anand: Ich glaube, generell lernen wir beide viel voneinander! Das ist aber normal, wenn einer Erfolg hat. Wir werden auch von anderen häufig kopiert. Wird eine Eröffnung populär, schalten alle sofort um. Diese Eröffnungsflexibilität änderte sich in den vergangenen vier, fünf Jahren dramatisch. Topalows Stil fußt mehr auf Berechnung, meiner mehr auf Intuition – ich weiß aber nicht, was einem mehr hilft (lacht).

 

Frage: Was haben Sie von ihm kopiert oder er von Ihnen?

Anand: Er spielt Najdorf sehr erfolgreich und holt mit Schwarz viele Punkte.

 

Frage: Sie wirken talentierter, leichter vom Spiel her, Topalow scheint kampfstärker. Mit Weiß gewinnen Sie die überwiegende Zahl der Partien – mit Schwarz, bemängelt selbst Ihr Ziehvater Hans-Walter Schmitt, seien sie indes zu zahm.

Anand: In Wijk habe ich aber auch drei Partien als Nachziehender gewonnen. Das ist eben eine Frage des Stils. Der von Topalow wirkt vielleicht aggressiver. Wenn die Stellung aber ausgeglichen ist, kann man es nicht ändern. Wenn ich besser stehe, will ich das auch ausnutzen.

 

Frage: In jüngster Zeit mache ich eine Tendenz zum Qualitätsopfer aus. Topalow zerstört mit der Preisgabe eines Turms für nur eine Figur das materielle Gleichgewicht auf dem Brett. Bei Ihnen gilt das jüngst auch häufiger. Feiert Tigran Petrosjan, der Meister des Qualitätsopfers, ein Revival?

Anand: Hähä. Ich opferte eigentlich schon immer Qualitäten, angefangen als Teenager. Ob’s ein neuer Trend ist, kann ich daher nicht sagen. Manchmal empfiehlt der Computer die Opfer als besten Zug, manchmal empfinde ich es als korrekte Fortsetzung.

 

Frage: Sie fehlen diesmal beim Topturnier in Linares. Woran liegt es?

Anand: Nach der WM in Argentinien fühlte ich mich ziemlich schlapp durch den Jetlag und die vielen Reisen. Weil die erste Hälfte des Linares-Turniers im mexikanischen Morelia ausgetragen wird, beschloss ich auszusetzen. Vielleicht trete ich nächstes Jahr wieder an.

 

Frage: Sind Sie wieder im Sommer in Deutschland tätig? Erst Dortmund?

Anand: Dortmund spiele ich vermutlich nicht.

 

Frage: Aber danach die Chess Classic in Mainz. Welchen Gegner wünschen Sie sich Mitte August? Einen der Weltmeister: Topalow oder Kramnik?

Anand: Ich denke nicht darüber nach. Hans-Walter Schmitt wird sicher einen guten Gegner aufbieten. Hauptsache, die Bedingungen in Mainz sind gewohnt gut.

 










Gustafsson,Jan (2615) - Anand,Viswanathan (2788) [D30]
Schach-Bundesliga 0506 OSC Baden Baden - Hamburger SK (11.1), 19.02.2006

1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.e3 a6 5.Sbd2 c5 6.cxd5 exd5 7.b3 cxd4 8.Sxd4 Lb4 9.Dc2 0-0 10.Le2 Ld7 11.0-0 Sc6 12.Sxc6 Lxc6 13.a3 La5 14.Lb2 Tc8 15.Ld4 Lb5 16.Dd1 Lxe2 17.Dxe2 Lc3 18.Lxc3 Txc3 19.Tac1 d4 20.exd4 Dxd4 21.Txc3 Dxc3 22.Dd1 g6 23.Sc4 Te8 24.h3 Te6 25.a4 h5 26.a5 Kg7 27.Df3 Dxf3 28.gxf3 h4 29.Td1 Sh5 30.Td7 Te1+ 31.Kh2 Te2 32.Td2 Txd2 33.Sxd2 Kf6 34.Se4+ Ke5 35.Sc5 Sf4 36.Sxb7 Se6 37.b4 Kd5 38.b5 axb5 39.a6 Kc6 0-1

 

 










Anand,Viswanathan (2788) - Landa,Konstantin (2600) [C67]
Schach-Bundesliga 0506 SV Muelheim Nord - OSC Baden Bad (6.1), 11.12.2005

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.0-0 Sxe4 5.d4 Sd6 6.Lxc6 dxc6 7.dxe5 Sf5 8.Dxd8+ Kxd8 9.Sc3 Se7 10.Td1+ Ke8 11.h3 h6 12.Le3 Sg6 13.a3 Le7 14.Td2 h5 15.Te1 h4 16.Se4 Le6 17.Lg5 Th5 18.Lxe7 Kxe7 19.Seg5 a5 20.Td4 c5 21.Td3 Ta6 22.Sxe6 Txe6 23.Tde3 Tb6 24.b3 Sf8 25.Te4 g5 26.Tg4 Tg6 27.Sd2 Se6 28.Sc4 b6 29.Se3 Th8 30.Sf5+ Ke8 31.Td1 f6 32.Te4 Th7 33.exf6 Txf6 34.Se3 Td7 35.Te1 Td6 36.Sc4 Tc6 37.a4 Kd8 38.Te5 Kc8 39.c3 Kb7 40.g3 hxg3 41.fxg3 Tg6 42.Kg2 Sg7 43.Tf1 Tce6 44.Tf7 Txe5 45.Sxe5 Te6 46.Sc4 Se8 47.Tf5 Te2+ 48.Tf2 Te1 49.h4 gxh4 50.gxh4 Te4 51.Kh3 Kc6 52.h5 Kd5 53.h6 Te6 54.Tf5+ Ke4 55.Te5+ Txe5 56.Sxe5 Sf6 57.Sd7 Sh7 58.Kg4 c4 59.bxc4 Kd3 60.Kf5 Kxc4 61.Kg6 b5 62.axb5 1-0

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