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Furchtloser Weltmeister Topalow "voller Energie und Phantasie"

30-jähriger "Bulldozer" aus Bulgarien sichert sich vorzeitig den Titel

von FM Hartmut Metz, Oktober 2005

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Wessilin Topalov
Gegen Rustam Kasimdschanow machte Wesselin Topalow seinen größten Erfolg perfekt, Foto: FIDE

 

   Wesselin Topalow hat sich vorzeitig die WM-Krone des Schach-Weltverbandes FIDE aufgesetzt. Der Bulgare remisierte im argentinischen San Luis gegen den usbekischen Titelverteidiger Rustam Kasimdschanow und war vor seinem letzten Duell in der vergangenen Nacht gegen Judit Polgar (Ungarn) mit 9,5:3,5 Punkten nicht mehr einzuholen. Seine schärfsten Rivalen, der indische Weltranglistenerste Viswanathan Anand und Peter Swidler, blieben mit 1,5 Zählern Rückstand auf Distanz. Der Russe kam in der 13. der 14 Runden gegen Polgar nicht über ein Unentschieden hinaus. Anand lieferte sich mit Alexander Morosewitsch nochmals einen offenen Schlagabtausch, aber nach einem spektakulären Läufer- und Damenopfer musste sich der "Tiger von Madras" mit einem Dauerschach und ebenfalls einem halben Punkt bescheiden.

 

Wessilin Topalov
Wesselin Topalow analysiert in der Pressekonferenz die Partie aus der 13. Runde, Foto: FIDE

 

   Topalow geriet gegen Kasimdschanow in eine schwierige Position. Doch mit einer mutigen Attacke befreite sich der 30-Jährige aus der Umklammerung. Deshalb zog sein Vorgänger auf dem WM-Thron die Notbremse und wickelte im 42. Zug in ein ausgeglichenes Endspiel ab. Gleich darauf bot der mit 5,5:7,5 Punkten abgeschlagene Kasimdschanow das Remis und damit quasi die Titelübergabe an, die Topalow ohne zu zögern freudestrahlend annahm. Schon während der Partie hatte der englische WM-Kommentator Nigel Short ob des "mutigen und begeisternden" Konters gejauchzt. Anschließend pries der Vizeweltmeister von 1993 die "brillante Leistung" des Weltranglistenzweiten, der in der argentinischen Provinz um "Klassen besser" als die Konkurrenz gespielt habe und auf den 64 Feldern einen "Thriller" nach dem anderen produziere.

   Seinem Spitznamen machte "La Topadora Topalov" - Topalow der Bulldozer, wie er in seiner spanischen Wahlheimat genannt wird - vor allem in der Vorrunde des WM-Turniers alle Ehre. Bei seinem furiosen Start mit sechs Siegen und nur einem Remis gegen Anand walzte der bulgarische Nationalheld alle platt und setzte sich um zwei Zähler von den Verfolgern ab. Diese Leistung wird in die Schach-Geschichtsbücher eingehen. Die folgenden sechs Remis waren untypisch für den oft 70, 80 Züge um den Sieg ringenden Spieler mit dem großen Kämpferherzen. Die Schachfans sehen dies daher ihrem Liebling nach, diente die ungewohnte Friedfertigkeit doch Topalow zur Absicherung seines bisher größten Erfolgs.

 

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   Bulgarien ist nun endgültig der neue Nabel der Schach-Welt: Das kleine Land mit seinen 7,45 Millionen Einwohnern stellt mit Antoaneta Stefanowa auch die Weltmeisterin. Selbst der Titel als Senioren-Weltmeister ging vor wenigen Tagen an einen Landsmann, Liuben Spassow.

   Den Unterschied zwischen sich und seinen Profi-Kollegen hat der neue Weltmeister schon lange ausgemacht: "Ich habe keine Angst vor dem Verlieren!", urteilt Topalow. Seine überlegene körperliche Fitness dank regelmäßiger Waldläufe und Hanteltrainings zahlt sich oft in der sechsten und siebten Spielstunde für den drahtigen Denkstrategen aus. Dem am Brett stets elegant mit Krawatte und Jackett gekleideten 30-Jährigen wird der glorreiche WM-Sieg mit 300.000 US-Dollar versüßt. Mehr bringen in Zukunft aber die höheren Antrittsgelder bei Turnieren und hochdotierte Werbeverträge in seiner Heimat ein. Vor allem sollte nun ein millionenschweres Vereinigungsmatch gegen Wladimir Kramnik folgen. Den Russen, der 2000 den vom Weltverband abtrünnigen Garri Kasparow bezwungen und den Konkurrenz-Titel erobert hatte, muss Topalow derzeit kaum fürchten. Zumal sich der gleichaltrige Widersacher seit Jahren in einer Formkrise befindet und in der Weltrangliste auf Platz sechs abrutschte.

   Die Fans vergleichen "Toppi" zunehmend mit der zurückgetretenen Legende Kasparow - nicht nur, weil er den Russen in seiner letzten Turnierpartie im März im spanischen Linares geschlagen hatte. Der "Bulldozer" spielt auch mit ähnlichem Feuer wie das 20 Jahre dominierende "Ungeheuer von Baku". Keiner kann das besser beurteilen als Viktor Kortschnoi. Der steht noch mit 74 in den Top 100 und macht seinem Kampfnamen "Viktor der Schreckliche" weiter alle Ehre. Für den "Nachwuchs" hat Kortschnoi selten lobende Worte übrig - von Topalow zeigt sich der mehrfache Vizeweltmeister allerdings angetan: Er sei als Weltmeister "der einzige legitime Nachfolger Kasparows. Topalows Spiel steckt voller Phantasie und Energie. Sein mutiger Stil gefällt mir".


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