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Schach erregt Frauen weniger

Judit Polgar erste Teilnehmerin bei einer WM-Endrunde der Männer: Taugt die Dame wenigstens zur Königsmörderin?

von FM Hartmut Metz, Oktober 2005

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Judith Polgar
Judith Polgar, Foto: FIDE

 

   "Es gibt keine einzige Frau, der ich nicht einen Springer vorgeben könnte und trotzdem gewänne", tönte einst Bobby Fischer. Der legendäre Weltmeister von 1972 weiß sich zwar noch immer eins mit manchem Schachverrückten - die Zeiten, in denen die Großmeister mühelos das schwache Geschlecht vom Brett fegten und anschließend chauvinistisch kalauerten, "die haben es eben nicht so mit dem Denken" oder "die spielen halt so ungern Schach, weil sie da vier Stunden schweigen müssen", sind allerdings vorbei. Selbst die Vorgabe eines Bauern statt eines dreimal so starken Springers kann sich heute keiner mehr gegen eine starke Schachspielerin leisten.

   Das gilt vor allem bei Judit Polgar. Die Ungarin löste mit 15 Jahren nicht nur Fischer als jüngsten Großmeister aller Zeiten ab, sondern ist derzeit im argentinischen San Luis die erste Teilnehmerin eines WM-Rundenturniers bei den Männern. Als aktuelle Siebte der Herren-Weltrangliste qualifizierte sich Polgar für den Wettbewerb. Die beste Schachspielerin aller Zeiten hat jedoch keine Chance mehr, ihren letzten großen Traum auf den 64 Feldern zu verwirklichen: Nach elf der 14 Partien kann die 29-Jährige nicht einmal mehr rechnerisch Weltmeister werden. Mit lediglich 3:8 Punkten liegt die Budapesterin abgeschlagen auf dem achten und letzten Platz.

   Noch einmal spannend könnte es im Kampf um den Titel werden: Peter Swidler verkürzte durch seinen Sieg über Alexander Morosewitsch den Abstand auf 1,5 Punkte. Durch einen Erfolg im direkten Duell gegen den bisher ungeschlagenen Wesselin Topalow (8,5:2,5) hätte der Russe (7:4) in der vergangenen Nacht den Abstand bis auf einen halben Zähler verkürzen können. Der Bulgare Topalow remisierte nach hartem Kampf gegen den Engländer Michael Adams, der mit 4:7 Punkten nur auf dem vorletzten Rang liegt. Minimale Chancen wahrte zudem der Weltranglistenerste Viswanathan Anand (6,5:4,5). Der Inder zertrümmerte die Stellung des damit vorzeitig entthronten Titelverteidigers Rustam Kasimdschanow und nahm Revanche an dem Usbeken für die Vorrundenniederlage. Vierter ist Morosewitsch (5,5:5,5) vor Peter Leko (5:6), der gegen seine ungarische Landsfrau mit Schwarz schnell zu einem Remis kam, und Kasimdschanow (4,5:6,5).

   "Meine kleine Schwester spielt nicht so gut wie sonst", stellt Ex-Weltmeisterin Susan Polgar fest und verweist auf deren zwischenzeitliche 14-monatige Schwangerschaftspause. Judit bleibe dennoch "die beste Spielerin aller Zeiten". Das gilt für die 29-Jährige, obwohl sie bis auf zwei Ausnahmen seit Kindesbeinen nie bei den Frauen antrat. Judit Polgar "langweilen" solche Duelle. Unverblümt erklärt sie: "Ich habe ein Problem mit dem Niveau" und fordert die Aufhebung von reinen Frauen-Wettbewerben, um eine Nivellierung zu erreichen. Die zweitbeste Spielerin, Susan Polgar, folgt bei den Männern erst auf Position 214. Nur knapp ein Dutzend Frauen hat bisher den Herren-Großmeister-Titel errungen.

   Worauf fußt diese Diskrepanz der Geschlechter beim Denksport Schach? Zunächst einmal betreiben deutlich mehr Männer das königliche Spiel. Der Frauenanteil im Deutschen Schachbund liegt im internationalen Vergleich besonders niedrig mit rund sechs Prozent. Selbst Boxen hat einen mehr als dreimal so hohen Frauenanteil. Mädchen interessieren sich anfangs durchaus für Schach, gehen aber nicht so im nervenaufreibenden Tanz der 32 Figuren auf wie Jungs. Bezüglich der "Einstellung und Willenskraft" räumt Judit Polgar Unterschiede ein: "Ich arbeite nicht Tag für Tag dafür wie manche Männer. Ich könnte problemlos 500 Spieler dieser Sorte benennen", sagt sie.

   Mancher Meisterspieler ist weltfremd und analysiert nächtelang einen neuen Läuferzug in der Sizilianischen Verteidigung oder begeistert sich für ein geniales Damenopfer. Das erregt manchen Akteur mehr als jede andere Leidenschaft. Aussagen wie "Schach ist besser" zu den Themen Frauen und Sex von Fischer&Co. spiegeln die Ansichten wider. Derlei Versinken in der Materie fehlt selbst Polgar. Die lebenslustige Ungarin, die mit einem Arzt verheiratet ist, räumt ein, dass ihr Eröffnungsrepertoire für die Weltspitze zu schlecht sei. Mangelndes Tüfteln an den ersten 20 Zügen konstatiert auch der ehemalige Vizeweltmeister Nigel Short. "Judit ist begabt, aber ihrem Spiel mangelt es an Solidität", konstatiert der englische WM-Kommentator. Dies seien die Gründe, warum die Weltranglistensiebte dann aus schlechten Stellungen heraus das Ruder in San Luis nicht mehr herumreißen könne und ihr erst ein Sieg gelang. Auch wenn es mit dem WM-Titel nichts wird, in der letzten Runde könnte Judit Polgar doch noch eine Hauptrolle in San Luis zufallen: Die unberechenbare Schach-Königin trifft auf Topalow und krönt den neuen König - oder wird zur Königsmörderin. 


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