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Großer Schritt aus dem Chaos

Schach-WM in Argentinien: Ende der Spaltung und der Palaver

Text und Fotos von FM Hartmut Metz, September 2005

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   Die Schach-Welt ist nach zwölf Jahren der Spaltung endlich wieder auf dem Weg, nur einen König zu bekommen. Die WM des Schach-Weltverbandes FIDE im argentinischen San Luis bringt diesmal fast alle Asse ans Brett. Die Ungarin Judit Polgar, einzige Frau im achtköpfigen Feld, bezeichnet daher das Mammutturnier über 14 Runden als "historisch. Der Weltmeister wird wieder als solcher anerkannt". Der Russe Alexander Morosewitsch nennt den mit einer Million US-Dollar dotierten Wettbewerb einen "großen Schritt auf dem Weg aus dem augenblicklichen Chaos heraus".

 

Alexander Morosewitsch

Alexander Morosewitsch: "Ein großer Schritt aus dem Chaos".

 

   "Der neue FIDE-Weltmeister, der am 16. Oktober das Zepter übernimmt, entspringt diesmal nicht einer Lotterie aus verkürzter Bedenkzeit und 128 Teilnehmern im K.o.-System, die das Gros der Top-Großmeister boykottiert hatte. FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow hatte nach jahrelanger harscher Kritik ein Einsehen und benannte den von ihm dem Tennis entlehnten Modus kurzerhand in Weltcup um. Zudem überraschte das Oberhaupt der russischen Provinz Kalmückien vor wenigen Tagen mit einer Rolle rückwärts: Die beiden gemeinsam in der Weltrangliste führenden Viswanathan Anand (Indien) und Wesselin Topalow (Bulgarien), Peter Leko (Ungarn/Platz 3), Peter Swidler (Russland/6), Judit Polgar (7), Michael Adams (England/12), Morosewitsch (13) und der lediglich an Position 34 geführte amtierende FIDE-Weltmeister Rustam Kasimdschanow (Usbekistan) mussten ursprünglich in ihren Verträgen unterschreiben, dass sie nur bei der FIDE um die WM spielen.

   Ein Bruch des so genannten "Prager Abkommens", mit dem der Schach-Weltverband und Wladimir Kramnik 2002 die Wiedervereinigung des Titels anpeilten. Kramnik hatte den im März zurückgetretenen Garri Kasparow vor fünf Jahren entthront. Sein russischer Landsmann hatte 1993 als Weltmeister den Titel von der FIDE abgespalten und mit eigenen Ein-Mann-Verbänden Verhältnisse wie im Boxen geschaffen. Vergangene Woche pochte Iljumschinow zwar in einem Interview mit dem russischen "Sport-Express" erneut darauf, dass nur der Weltverband das Recht an der Weltmeisterschaft besitze - im nächsten Atemzug schob der FIDE-Boss aber nach, dass der einzige "legale Weltmeister von San Luis" durchaus an ein Match gegen Kramnik "denken" dürfe. Einzige Bedingung: Der Russe müsse "zwei Millionen Dollar durch einen attraktiven WM-Sponsor" einbringen.

   Der Hintergrund der Kehrtwende des Kalmücken um 180 Grad erfolgte aus nüchternem Kalkül. Momentan braucht der Sieger von Argentinien den Konkurrenz-Weltmeister wahrlich nicht zu fürchten. Kramnik baute seit seinem Triumph über Kasparow immer mehr ab. Selbst Platz fünf wird der 30-Jährige vom Schwarzen Meer in der nächsten Weltrangliste kaum mehr verteidigen können. Gegen Anand oder Topalow dürfte Kramnik chancenlos sein. Auch der Weltranglistendritte Leko würde sich kaum noch einmal eine 7:6-Führung - so wie im Vorjahr bei der WM im schweizerischen Brissago - in der letzten Partie von Kramnik entreißen lassen. Bei einem Erfolg des Ungarn stünde ohnehin eine Titelvereinigung außer Frage. Leko wird ebenso wie Kramnik von dem Dortmunder Carsten Hensel gemanagt.

   Die drei Führenden in der Weltrangliste wurden auch von den fünf anderen nominierten Großmeistern auf den Favoritenschild gehoben. "Natürlich sind Topalow und Anand favorisiert. Aber höchstwahrscheinlich wird der Sieger in einem ausgeglichenen Wettbewerb erst in der letzten Runde ermittelt, wenn nicht sogar in einem möglichen Tie-Break", prophezeit Leko.

 

Rustam Kasimdschanow

FIDE-Weltmeister Rustam Kasimdschanow.

 

   Sicher scheint nur eines: Kasimdschanow wird seinen in Libyen errungenen Titel in der argentinischen Provinz-Hauptstadt nicht verteidigen können. Der in Solingen lebende Usbeke ist bei den Wettbüros mit einer Quote von 50:1 der krasseste Außenseiter. Zum Vergleich: Bei Anand erhalten die Tipper nur den 2,8fachen Einsatz zurück, bei Topalow und Leko das 4,2- beziehungsweise 5,2fache. Für den bulgarischen Nationalhelden Topalow ist die WM "das wichtigste Turnier meines Lebens. Diesen Modus mit Hin- und Rückrunde halte ich für den besten und ausgewogensten. Der Sieger wird verdient Champion". Ex-Weltmeister Anand sieht eine "größere Legitimation des FIDE-Weltmeisters als zuletzt". Der Spitzenspieler von Bundesligist OSC Baden-Baden ist heiß auf den ersten Zug, nachdem den indischen Sport-Superstar das jahrelange Hickhack um die WM nervte: "Die Schachfans in aller Welt wollen Partien sehen und kein Palaver mehr hören!"


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