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Schach rettete Ephraim Kishon das Leben

Druckfehler-Teufel: Korrektur bescherte dem späteren Humoristen 1944 die Sympathie des Vernichtungslagers-"Gottes"

von FM Hartmut Metz, 5. Februar 2005

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   Wahrscheinlich hat kaum ein anderer es so wie Ephraim Kishon verstanden, sein Einstein-Jossele-System perfekt anzuwenden. Damit konnte der vergangenen Samstag im Alter von 80 Jahren verstorbene Erfolgsautor schlimmste Erlebnisse wie die Vernichtungslager der Nazis und sowjetische Gulags verarbeiten, ohne seinen Humor zu verlieren. In einer seiner Geschichten besuchte er mit seinem Freund Jossele ein Duell der israelischen Fußball-Nationalmannschaft, die von den Bulgaren schrecklich vorgeführt wurde. Nach längerer Pein hatte Jossele genug des grausamen Spiels und kreierte seine eigene "Relativitätstheorie", das Einstein-Jossele-System: "In der 32. Minute des Spiels Israel - Bulgarien hörte ich Josseles Stimme neben mir auf der Tribüne: 'Genug. Von jetzt an spielen die Israelis in Gelb.' 'Was heißt das?’, gab ich verwirrt zurück, "die Gelben sind doch die Bulgaren?' 'Hängt ganz davon ab, wie du es sehen willst. Es ist eine Frage deines freien Entschlusses.' Ich war alsbald in der Lage, mich über die großartigen Leistungen der in Gelb spielenden Israelis von Herzen zu freuen. Es war eine Lust, wie sie mit den blau-weißen bulgarischen Fußballpatzern umsprangen! 5:0 für die unseren stand es zum Schluss. Ein verdienter Triumph."

   Zum Schachspiel hatte Ephraim Kishon ein besonderes Verhältnis. Es rettete dem Satiriker sogar das Leben! Der am 23. August 1924 in Ungarn geborene Ferenc Hoffmann war zwar blond, groß und blauäugig – sah also aus wie ein Arier aus dem Bilderbuch, wie der Schriftsteller selbst befand -, als Jude wurde er dennoch 1944 ins Arbeitslager Eltsch deportiert. Von 220 Gymnasiasten, die quer durch Ungarn ins heutige Polen nach Jolsva getrieben wurden, sollen lediglich drei überlebt haben. Ephraim Kishon, wie er später hieß (weil einem Einwanderungsbeamten bei der Einreise nach Israel 1949 Ferenc nicht geläufig war und ihm zudem das t des Künstlernamens Kishont entschlüpfte), hielt trotz Typhus durch.

   Im Arbeitslager war samstags frei, und Kishon spielte mit einem Unglücksgenossen regelmäßig Schach. Darüber berichtete der Humorist, der weltweit 43 Millionen Bücher absetzte (seine "Familiengeschichten" gelten als das meistverkaufte hebräische Buch nach der Bibel), auf seiner Webseite: "Manchmal spielten Hirtenberg Laci und ich Schach auf einem kleinen Brett. Plötzlich hörte ich hinter mir eine Stimme: 'Das ist nicht der richtige Zug, Junge.' Ich drehte mich um und fiel fast in Ohnmacht. Hinter mir stand Gott höchstpersönlich. Gott in Zivil, bekannt auch als der Bezirkskommandant im Rang eines Hauptmanns. Ich wagte ihm dennoch zu widersprechen: 'Gestatten Sie, Herr Kommandant, nach dem Buch des internationalen Großmeisters Maroczy Geza ist das sehr wohl der richtige Zug.' 'Du irrst dich', sagt Gott, 'nicht dein Zug ist in dem Buch beschrieben, sondern ein Sprung mit dem Läufer.' Ich antwortete: 'Mit Verlaub, aber der Zug, den Herr Kommandant meinen, ist in dem Buch falsch angegeben. Im Anhang befindet sich eine Liste der Druckfehler, die der Herr Kommandant sicherlich übersehen haben. Dort steht, dass der Zug so durchzuführen ist, wie ich es mir erlaubt habe.' Kurz darauf kam er mit dem Buch Maroczys zurück. Ich musste den gelben Streifen vom Arm abnehmen, und er sagte: 'Du bleibst hier.' So wurde ich Sekretär in seinen Diensten. So oft ihm seine Arbeit Zeit dazu ließ, spielte der Hauptmann mit mir Schach."

   Später gelang Kishon die Flucht. Die letzten Kriegstage versteckte er sich in Budapest vor seinen Häschern. Die Liebe zum Schach und auch Billard bewahrte sich der Wahl-Schweizer, der in Appenzell starb, bis an sein Lebensende. Der begeisterte Fan des königlichen Spiels trat in Simultanveranstaltungen gegen die Weltmeister Anatoli Karpow, Garri Kasparow und Wladimir Kramnik an. Zudem verpasste er dem ersten sprechenden Schachcomputer, dem Kishon Chesster, die frechen Sprüche. Das Fidelity-Gerät brachte den Israeli aber auch ins Sinnieren: "Wir dringen immer tiefer in die Geheimnisse der Natur ein. Und je mehr wir erfahren, umso weniger verstehen wir. Mein Schachcomputer 'Kishon Chesster', löst jede Sekunde 70.000 Probleme. Mein Sohn, der das studiert hat, lacht mich aus. Es gibt, sagt er, Computer, die lösen in der gleichen Zeit zehn Milliarden Probleme. Wie soll man das begreifen? Wer hat das Universum in Gang gesetzt. Warum? Wozu? Und dann sehe ich diese Menschen, die halten eine Unterhose von Andy Warhol für etwas Großes. Oder zahlen 102 Prozent Einkommensteuer. Die menschliche Welt ist ein Luna-Park. Und der Mensch sucht Macht, Erfolg, viele Frauen. Er sagt, er will gut sein. Aber er will nur gut leben. Und wenn er andere dabei umbringt, ist ihm das völlig egal. Aber ich hasse den Menschen nicht, ich lache über ihn."

   Nachstehend eine Partie des Mannes, der ihm mit seinem Druckfehler und der Korrektur im Anhang das Leben rettete: Geza Maroczy. Der Ungar erhielt bei einem seiner größten Triumphe, dem Sieg in Monte Carlo 1903, auch den Schönheitspreis für die Partie gegen den Amerikaner Frank Marshall zugesprochen.

 










Marshall,Frank James - Maroczy,Geza [D55]
Monte Carlo (25), 1903

1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 Le7 5.e3 0-0 6.Sf3 Se4 7.Lxe7 Dxe7 8.Ld3 f5 9.cxd5 Sxc3 10.bxc3 exd5 11.Dc2 c5 12.dxc5 Dxc5 13.c4 Kh8 14.cxd5 Dxd5 15.0-0 Sc6 16.Lc4 Dc5 17.Tac1 f4 18.De4 fxe3 19.Ld5? [19.Dxe3 Dh5 20.Tfe1 Lg4 21.Sg5 h6 22.Se6 Lxe6 23.Lxe6 Tae8 führt zu ausgeglichenem Spiel.] 19...exf2+ 20.Kh1 Da3 21.Lxc6?! bxc6 22.Dxc6?? La6 23.Tc3 Lxf1!! [23...Da5 gewinnt ebenso, ist aber weit weniger spektakulär. 24.Txf2 Tfc8 und Weiß büßt einen Turm ein.] 24.Sd2 [24.Txa3 Le2 und der Bauer geht durch] 24...Da6 25.De4 Ld3 [25...Ld3 26.Dxd3 f1D+ 27.Sxf1 Txf1+ 28.Dxf1 Dxf1# ] 0-1

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