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Overkill durch Meisterteam als Zankapfel

Bundesligist OSC Baden-Baden: Mit Jürgen Gersinska tritt erneut der Vorsitzende zurück; Sponsor kürzt Etat der erfolgreichen Frauen zugunsten des Männerteams

Text von FM Hartmut Metz, Fotos Thilo Gubler & Hartmut Metz, Juni 2005

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   Erneute Führungskrise beim derzeit erfolgreichsten deutschen Schachverein: Beim OSC Baden-Baden ist mit Jürgen Gersinska binnen drei Jahren der zweite Präsident zurückgetreten. Dieses Mal scheinen sich die Schachspieler aber halbwegs so emotionslos zu trennen, wie sie ansonsten am Brett sitzen und sinnieren. 2002 hatte sich der 16 Jahre amtierende Vorsitzende Reiner Jung mit Sponsor Wolfgang Grenke überworfen, was zu einer Abspaltung führte. Jung gründete mit einigen Getreuen die Schachfreunde Oos, Gersinska übernahm das Amt. Flogen vor drei Jahren die Fetzen und der Ehrenvorsitzende Jung wurde sogar beim SC Baden-Oos, wie der Verein vor der Umbenennung hieß, ausgeschlossen, bemühen sich nun die Beteiligten um Schadensbegrenzung. "Es ist schade, dass Jürgen Gersinska von Bord geht", erklärt Grenke und vergisst nicht zu erwähnen, dass der Muggensturmer im Kuratorium der Grenke-Stiftung, die das königliche Spiel fördert, bleibe. Gersinska selbst beklagt zwar eine "emotionale Achterbahnfahrt" bei seiner ehrenamtlichen Tätigkeit, will aber "im Frieden gehen".

 

Wolfgang Grenke, Jürgen Gersinska

Letzte gemeinsame Begrüßung bei der Endrunde des deutschen Pokals: Wolfgang Grenke (links) und der zurückgetretene Vorsitzende Jürgen Gersinska. Foto: Gubler

 

   Die Entscheidung des Sponsors, die zur Trennung führte, kann der bisherige Vereinschef "nachvollziehen". Die Grenke Leasing AG behält wohl die Höhe der Förderung - geschätzte 200.000 Euro pro Jahr - bei. Beim OSC soll jedoch eine Umverteilung der Ausgaben erfolgen. Der Etat für das Damen-Team wird angeblich halbiert. "Der Betrag im fünfstelligen Bereich ist immer noch deutlich mehr, als jeder andere Damen-Bundesligist hat", betont Grenke. Der Vorstandsvorsitzende der Grenke Leasing AG sieht jedoch keine Notwendigkeit, eine Heerschar von ausländischen Großmeisterinnen zu beschäftigen, um jedes Spiel haushoch zu gewinnen. Vergangene Saison hatten die Kurstädter die Mannschaft extrem aufgerüstet, um Turm Emsdetten Paroli zu bieten – doch der einzige ernsthafte Rivale hatte nach großspurig verkündeten Zugängen wie Weltmeisterin Antoaneta Stefanowa und Katerina Lahno das Team vor Saisonbeginn zurückgezogen. Der OSC Baden-Baden schoss so mit Kanonen auf Spatzen und marschierte mühelos zur dritten deutschen Meisterschaft in Folge. Seit Gründung des Teams vor fünf Jahren verloren die Baden-Badener Damen noch nie auf nationaler Ebene ein Spiel. Lediglich Emsdetten konnte durch ein 3:3 im Vorjahr einen Stichkampf um den Titel erzwingen.

 

Nana Dsagnidse

Ausgemustert in Baden-Baden: Die Weltranglistenelfte Nana Dsagnidse und ihre russischen und georgischen Großmeister-Kolleginnen. Foto: Metz

 

Elisabeth Pähtz

Elisabeth Pähtz kam vor der Saison zum deutschen Meister und darf auch nächste Runde beim OSC spielen. Foto: Metz

 

   "Die Damen sind überbesetzt und zu übermächtig", befindet Grenke zum einen. Zum anderen sieht der Unternehmer einen geringeren Werbewert trotz der Titelflut: "Bei den Frauen haben wir im Gegensatz zu den Herren kaum Zuschauer." Die Reduzierung des Etats trifft vor allem die Großmeisterinnen aus Russland und Georgien, die nun aus dem Kader fliegen. Ob die Ehefrau des Ex-Vorsitzenden noch zu reduzierten Bezügen für den OSC spielt, bleibt offen. Die bisher sehr gut bezahlte Spitzenspielerin, die deutsche Nummer eins Ketino Kachiani-Gersinska, verabschiedete sich erst einmal mit ihrem Gatten zur Europameisterschaft nach Moldawien. Manchen Baden-Badener Herren-Großmeister hatte es gewurmt, dass Kachiani-Gersinska ein höheres Salär als sie selbst bezogen. Auch ohne die gebürtige Georgierin, die nur 20 Klometer entfernt von der Kurstadt lebt, bliebe der OSC Topfavorit auf Platz eins. Die Pariserin Almira Skriptschenko soll ebenso gehalten werden wie Elisabeth Pähtz. Das weitere Gerüst bilden die Baden-Badenerinnen Ekaterina Borulya und Iamze Tammert sowie Nationalspielerin Jessica Nill. Kachiani-Gersinska erwägt laut ihrem Ehemann, nur für die in die zweite Liga aufgestiegene Herren-Mannschaft der Kurstädter zu spielen oder den Verein ganz zu verlassen.

 

Ketino Kachiani-Gersinska

Ketino Kachiani-Gersinska erwägt, nur für das Zweitliga-Herrenteam ans Brett zu gehen. Foto: Metz

 

   Am Schach-Sponsoring selbst will die Grenke Leasing AG festhalten. "Ich wurde sogar unlängst in San Francisco von einem Geschäftspartner darauf angesprochen", berichtet Grenke zufrieden. Seine Firma dehnt das Sponsoring sogar auf die Chess Classic Mainz, dem alljährlichen Schnellschach-Mekka mit dem eigenen Spitzenspieler Viswanathan Anand, aus. Die Herrenmannschaft, die seit drei Jahren vergeblich nach dem deutschen Meistertitel greift und deutscher Pokalsieger ist, wird sogar verstärkt. Großmeister Ludger Keitlinghaus, der nach dem 3,5:4,5 gegen Tegernsee wegen eines von vier schnellen Unentschieden zum Sündenbock gestempelt wurde, muss weichen. Großmeister Roland Schmaltz befindet sich nächste Saison die meiste Zeit in Australien. Als Neuzugänge sind der Weltranglistenneunte Etienne Bacrot (Frankreich) und die Nummer 44, Peter Heine Nielsen, eingeplant. Der Däne arbeitet häufig mit dem Baden-Badener Ass Anand zusammen. In weiter verstärkter Formation soll endlich der Herren-Titel her. Verzichten wird der alte und neue Elo-Favorit - mit Peter Swidler und Alexej Schirow hat der Club weitere 2700er-Asse an den vorderen Brettern – auf Sergej Karjakin. Der jüngste Großmeister aller Zeiten galt als erster Anwärter für den Kader. Doch nach dem Turnier in Sofia hat sein Manager Silvio Danailow, der auch Wesselin Topalow und Ruslan Ponomarjow betreut, die Preise nach oben geschraubt. Teammanager Thilo Gubler und Grenke winkten daraufhin wohl ab. Ihr neues Modell setzt auf mehr Teamgeist - dafür soll unter anderem Anands Intimus Nielsen sorgen - und erfolgsabhängige Bezahlung. "Wenn die Mannschaft gewinnt und der Spieler, erhält dieser etwas mehr", berichtet Grenke von frisch vorgelegten Verträgen. Statt der bisherigen sicheren Einsatzprämien sollen die Großmeister bis zu 108 Prozent einstreichen können. Gewinnt die Mannschaft, remisiert der Spieler aber selbst, gibt es bereits einen minimalen Abschlag um ein Hundertstel auf 99 Prozent.

 

Etienne Bacrot

Weiterer Top-Ten-Spieler beim Bundesligadritten: Etienne Bacrot. Foto: Metz

 

Heine Nielsen

Peter Heine Nielsen soll beim OSC den Mannschaftsgeist stärken. Foto: Metz

 

   Wie es an der Vereinsspitze weitergeht, entscheidet sich am 15. Juli. Gersinskas Stellvertreter Helmut Zanner will jedenfalls bei der Jahreshauptversammlung nicht vom zweiten zum ersten Vorsitzenden aufrücken. "Er wohnt in Bruchsal und ist zu weit weg", meint Grenke zu dem Baden-Ooser Urgestein. Aus seiner Sicht gibt es veritable Präsidentschafts-Kandidaten im Verein - "wir als Sponsor halten uns aber raus", versucht Grenke verbal auf Distanz zu gehen. Klar ist aber nach den zwei Demissionen: Ohne Wohlwollen des Geldgebers ist beim OSC Baden-Baden kein Staat - oder besser deutsche Meisterschaft - zu machen.


Mietzner kommt für Pähtz

OSC Baden-Baden mustert bei Meisterteam georgische Fraktion aus; bei den Herren sollen Bacrot und Nielsen als Zugänge den Titel garantieren

 

   Die Zeichen beim OSC Baden-Baden stehen auf zwei deutsche Schach-Titel: Das Damen-Team wurde zwar kräftig abgespeckt, für Platz eins sollte es aber dennoch erneut reichen. Bei den Herren, die "nur" Rang drei in der Bundesliga belegten, kommen zwei weitere Weltklasse-Großmeister dazu. "Wir haben uns nochmals verstärkt und wollen ernsthafter um den Titel mitspielen", unterstreicht Wolfgang Grenke. Der aktive OSC-Spieler und Vorstandsvorsitzende des Sponsors Grenke Leasing AG sieht jetzt "die Chancen gestiegen".

   Nominell führt nun noch weniger ein Weg an Baden-Baden vorbei: Mit dem Franzosen Etienne Bacrot heuert der Weltranglistenachte an. Zudem stößt Peter Heine Nielsen dazu. Der Däne ist zuweilen Sekundant von OSC-Spitzenspieler Viswanathan Anand, der gestern in der neuen Weltrangliste erstmals Platz eins erklimmen konnte, nachdem Garri Kasparow zurücktrat. Der bisherige Wattenscheider Nielsen verbesserte sich von Position 44 auf Rang 38.

   Für die beiden Asse weichen Roland Schmaltz und Ludger Keitlinghaus. Vermutlich rückt der Bühlertäler Andreas Schenk wieder in den auf 14 Erwachsene begrenzten Kader, weil Grenke gerne einen gebürtigen Mittelbadener im Team sehen möchte. Keitlinghaus schloss sich der Rochade Kuppenheim an. Der erste Großmeister in Reihen des Oberligisten will den dreifachen Vizemeister in die zweite Bundesliga führen.

   Während in der Herren-Bundesliga angesichts der Konkurrenz von Meister Werder Bremen und des Dauerrivalen SG Köln-Porz keine Langeweile aufkommen wird, dürfte die bei den Damen weiter programmiert bleiben. Der OSC tut jedoch etwas dafür, dass mehr Spannung aufkommt: Der Etat des Teams wurde deutlich reduziert. "Es macht keinen Sinn, wenn schon vor dem ersten Spieltag feststeht, wer Meister wird", befindet Grenke und begründet damit die Etatverschiebung hin zu den Herren. Die Georgierinnen Nana Dsagnidse, Jekaterina Kowalewskaja und Nino Churtsidse werden künftig nicht mehr eingeflogen. Ein Fragezeichen steht noch hinter der russischen Europameisterin Alexandra Kostenjuk, die in Paris lebt.

   Sicher ist hingegen der Abgang von Elisabeth Pähtz. Die Erfurterin, die heute in der Weltrangliste als 36. erstmals an Ketino Kachiani-Gersinska (40.) vorbeiziehen und die Muggensturmerin als deutsche Nummer eins ablösen wird, kehrt nach Dresden zurück. Ihr persönlicher Sponsor wünschte den Wechsel, um in Elbflorenz die Werbung für die Schach-Olympiade 2008 zu steigern.

   Von der Sachsen-Metropole kommt dafür Tina Mietzner nach Baden-Baden. Die Nationalspielerin studiert ab dem nächsten Semester in Baden-Württemberg Jura. Außerdem schließt sich Bergit Brendel (bisher SC Frankfurt-West) dem OSC an. In den Bundesliga-Kader rückt überdies die Französin Sylvie Genzling auf. Da die Verfolger aus Hamburg und die Rodewischer Schachmiezen ihre Aufwendungen ebenfalls reduzieren, sollte sich an der Dominanz des dreifachen Meisters auch in Zukunft nichts ändern.


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