Startseite Rochade Kuppenheim

Kasparow bricht sich das Herz via Internet

Weltranglistenerster überwirft sich mit FIDE; Anand verdaut langsam Tsunami-Schock und holt in Wijk aan Zee auf

Text FM Hartmut Metz, Fotos Harald Fietz und FM Hartmut Metz, Januar 2005

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Beim Topturnier im niederländischen Wijk aan Zee sitzen acht der neun besten Schach-Großmeister am Brett. Nur Garri Kasparow fehlt. "Es bricht mir das Herz, solch einen großartigen Wettbewerb aus der Ferne beobachten zu müssen", bekennt der Weltranglistenerste aus Russland und klagt weiter, "das peinigt mich - und ich glaube, das Schach ist ohne meine Teilnahme auch ärmer dran."

   Die Seelenqual trieb Kasparow zu einem ungewöhnlichen Schritt: Der 41-Jährige kündigte dem Schach-Weltverband FIDE die Zusammenarbeit auf. Dessen Präsident Kirsan Iljumschinow hatte dem einstigen Abtrünnigen, der 1993 den WM-Titel von der FIDE abgespalten und in Eigenregie bis zur Niederlage 2000 gegen Wladimir Kramnik vermarktet hatte, ein WM-Match bei der FIDE versprochen. Doch nachdem das Duell gegen den neuen FIDE-Champion, den in Solingen lebenden Usbeken Rustam Kasimdschanow, erneut platzte, platzte Kasparow der Kragen: "Viermal ordnete ich mein Leben drei Monate lang der WM-Vorbereitung unter, viermal wurde eine WM angekündigt und abgesagt. Zweieinhalb Jahre lang wurde mein Leben völlig zerstört", lamentierte der Moskauer in einer Presseerklärung, nachdem auch aus der WM im Januar in Dubai nichts wurde.

 

Garri Kasparow

Frustriert von der FIDE: Garri Kasparow. Foto: Fietz

 

   Den finanziellen Verlust verschmerzt der Multimillionär nach eigener Aussage. Der "verursachte Schaden ist psychologischer Natur", äußert Kasparow. "Frust" herrsche darüber vor, nicht einmal eine Entschuldigung vom zwielichtigen Politiker Iljumschinow, der gleichzeitig auch umstrittener Präsident der Republik Kalmückien ist, erhalten zu haben. Stattdessen seien sogar "Lügen" über ihn von FIDE-Offiziellen verbreitet worden. "Das Fass zum Überlaufen brachte das Turnier in Wijk aan Zee", betont Kasparow ein zweites Mal. Weil er wegen des vermeintlichen Duells gegen Kasimdschanow seine Teilnahme an der Nordseeküste absagen musste, verfolgt der Russe nun von Moskau aus via Internet die täglichen Partien.

   Die letzten Runden war das für ihn kein Vergnügen, denn Viswanathan Anand gewann drei Partien in Folge. Lediglich der zweite Weltmeister Kramnik ertrotzte ein Remis gegen den Inder. Spielt der in den vergangenen zwei Jahren mit weitem Abstand erfolgreichste Großmeister so weiter, könnte Anand Kasparow nach 20 Jahren von Position eins der Weltrangliste verdrängen. Den Platz an der Sonne hatte der Ex-Weltmeister nach Ansicht der Experten nur noch dem trägen Ratingsystem zu verdanken, das Kasparow bei seiner hohen Wertungszahl beließ, auch wenn er kaum mehr spielte.

 

Viswanathan Anand

Viswanathan Anand durfte nach drei Siegen in Folge wieder an den Hattrick in Wijk aan Zee glauben; Foto: Metz

 

   Anand startete mit drei Remis und einer Niederlage gegen den Ungarn Peter Leko miserabel ins Turnier. Wenig erstaunlich, denn die Tsunami-Katastrophe erlebte der "Tiger von Madras" live in seiner Strandresidenz mit. "Ich sah, wie die Menschen vor der Flut davonrannten. Es ist beklemmend und stimmt mich sehr, sehr traurig, auch wenn keiner aus meinem Bekanntenkreis verletzt wurde", erklärt der Brahmane. Anand merkt bescheiden an, "jeder Inder half im Rahmen seiner Möglichkeiten". Kein Aufheben macht der in Indien äußerst beliebte mehrfache Sportler des Jahres dagegen um seine eigene Spende, die großzügig ausgefallen sein dürfte.

   In der zweiten Woche fand Anand zu gewohnter Form zurück und schloss zur Spitze auf. Nach neun der 13 Runden lag er zusammen mit dem Briten Michael Adams (beide 5,5 Punkte) schon auf Platz drei hinter Leko und Wesselin Topalow (je 6). Der Weltranglistendritte aus Bulgarien remisierte gestern gegen Anand.

 










Morozevich,A (2741) - Anand,V (2786) [A46]
Corus A Wijk aan Zee NED (5), 20.01.2005

1.d4 Sf6 2.Sf3 e6 3.Lg5 c5 4.e3 h6 5.Lh4 cxd4 6.exd4 b6 7.Lxf6 Dxf6 8.g3 Sc6 9.c3 g5 10.Sbd2 Lb7 11.Lg2 0-0-0 12.a4 h5 13.a5 Sxa5 14.b4 Sc6 15.Sc4 b5 16.0-0 bxc4 17.b5 Sb8 18.Txa7 d5 19.Se5 Td7 20.Da4 Dd8 21.Sxc4 dxc4 22.Dxc4+ Dc7 23.Lxb7+ Kd8 24.De2 Ld6 25.Tfa1 Dxc3 26.d5 Txb7 27.dxe6 Txa7 28.Txa7 fxe6 29.Dxe6 De5 30.Te7 Da1+ 31.De1 Dxe1+ 32.Txe1 Sd7 33.Kg2 Sc5 34.Td1 Kd7 35.Td5 Se6 36.Kf3 Tf8+ 37.Ke2 Ke7 38.h4 g4 39.Txh5 Lc5 40.Te5 Txf2+ 41.Kd3 Kf6 0-1

   










Anand,V (2786) - Ponomariov,R (2700) [B90]
Corus A Wijk aan Zee NED (6), 21.01.2005

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.f3 Db6 7.Sb3 e6 8.Lf4 Sbd7 9.g4 Le7 10.De2 h6 11.h4 Dc7 12.0-0-0 b5 13.a3 Tb8 14.Dg2 Sc5 15.g5 Sh5 16.Le3 Sa4 17.Td3 g6 18.Kb1 Lb7 19.Le2 e5 20.Df2 Lc6 21.gxh6 Sb6 22.f4 Sf6 23.fxe5 dxe5 24.Tf1 0-0 25.Sc5 Lb7 26.Se6 fxe6 27.Lxb6 Dc6 28.Dg1 Kh7 29.Tdf3 De8 30.Lc5 Lxc5 31.Dxc5 Sd7 32.De3 De7 33.Dg5 Dxg5 34.Tf7+ Txf7 35.Txf7+ Kh8 36.hxg5 Lc6 37.b4 Sf8 38.Tf6 Kg8 39.Lg4 Ld7 40.Kb2 Te8 41.Sd1 Te7 42.Sf2 Le8 43.Tf3 Tf7 44.Txf7 Kxf7 45.Kc3 Sh7 46.Sh3 Lc6 47.Kd3 Ke7 48.Ke3 Kd6 49.Le2 Ke7 50.Ld3 Kd6 51.Kf3 Ke7 52.Kg4 Sf8 53.Sg1 Sh7 54.Sf3 Kd6 55.Kg3 Le8 56.Kf2 Lc6 57.Ke3 Ld7 58.c4 bxc4 59.Lxc4 Lc8 60.a4 Lb7 61.a5 Lc8 62.Ld3 1-0

   










Bruzon,L (2652) - Anand,V (2786) [D30]
Corus A Wijk aan Zee NED (7), 22.01.2005

1.Sf3 Sf6 2.c4 e6 3.g3 d5 4.Lg2 dxc4 5.Da4+ c6 6.Dxc4 b5 7.Dc2 Lb7 8.d4 Sbd7 9.a4 c5 10.0-0 b4 11.Lg5 Tc8 12.Sbd2 Le7 13.Tfc1 0-0 14.Dd3 h6 15.Lxf6 Lxf6 16.e3 Tc7 17.De2 Dc8 18.Db5 a6 19.Df1 a5 20.b3 Td8 21.Db5 Lc6 22.De2 Db7 23.Sc4 Da8 24.Ta2 cxd4 25.exd4 Ld5 26.Tac2 Tdc8 27.Dd1 Da6 28.Sfe5 Lxe5 29.Lxd5 Lxg3 30.hxg3 exd5 31.Se3 Txc2 32.Txc2 Sf6 33.Tc5 Txc5 34.dxc5 Dc6 35.Dd4 g6 36.De5 Sd7 37.Dd6 Dxd6 38.cxd6 Kf8 39.Sxd5 Sc5 40.Kf1 Ke8 41.Sb6 Sxb3 42.Ke2 Sc5 43.f3 h5 44.Ke3 b3 0-1

 

   Selbst wenn dem sieggewohnten Spitzenspieler des Bundesligisten OSC Baden-Baden letztlich am Sonntag der Hattrick bei dem Grand-Slam-Turnier in Wijk aan Zee versagt bleiben sollte, läuft inzwischen alles auf den Wunsch aller Schach-Fans hinaus: ein Match zwischen Anand und Kasparow. "An der Front köchelt nichts", beschwichtigt der Inder, räumt allerdings ebenso ein, dass er gerne gegen den Weltranglistenersten antreten würde, sobald eine "ernsthafte Offerte vorliegt". Nach solch einer sehnt sich auch der von der FIDE enttäuschte Kasparow.


zur Meko