Der "schwärmütige" Schach-PhilosophTrauriger Clown: Vlastimil Hort garantiert als Kommentator Heiterkeitvon FM Hartmut Metz, Februar 2005 |
Bundesliga-Kommentator Vlastimil Hort in Aktion; Foto: Metz
"Man hat immer Angst - wir sind zu materialistisch!" Vlastimil Hort kleidet seine Analysen gerne in philosophische Sätze. Besonders, wenn sie seine Schwermut bestätigen. Die Angst, Materialismus - all dies plagt, so vermitteln die Worte eindringlich, auch den Kommentator. Müde sitzt er von Beginn an drei Meter entfernt vom Projektor, der die Partien zwischen dem OSC Baden-Baden und dem Hamburger SK auf eine Leinwand wirft. Ab und zu wird auch ein Duell des Aufsteiger-Wettkampfs SC Eppingen kontra Preetzer TSV eingeblendet. Doch wegen der Baden-Badener, die ihn schon mehrfach bei Bundesliga-Heimspielen anheuerten, konzentriert sich Hort auf das Spiel des Tabellenzweiten gegen den -siebten. Im vorliegenden Fall glaubt der 61-jährige Großmeister nicht, dass Matthias Wahls einen Bauern auf d5 verspeist. Materialistisch hätte ein Kiebitz rasch zugegriffen. Nach einem Springerabzug mit Schach auf f6 besäße allerdings der Anziehende, Rustem Dautov, einen dominierenden Läufer im Zentrum. "Der Läufer ist doch danach ein Riese", befindet Hort - und der Hamburger Wahls teilt ein Stockwerk höher im Internationalen Club offensichtlich die Angst des ehemaligen WM-Kandidaten. Also lässt er den Bauern unversehrt.
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Dautov,Rustem (2623) - Wahls,Matthias (2551) [E11]
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Zeit für solche kleinen, kurzen Triumphe gönnt sich Hort nicht. Rasch geht es weiter zur nächsten Partie, nachdem keine Anmerkungen mehr aus dem ehrfürchtig lauschenden Publikum kommen. Neue Partie, neues Glück, äh "neuä Schwärmut", wie der Kölner in seinem unverwechselbaren Idiom sagen würde. Der Schal hängt locker über dem Jackett, die rechte Hand steckt in der Hosentasche. Während Hort die neue Stellung aus müden Augen mustert, klimpern die Finger mit dem Kleingeld in der Hosentasche. Wieder gerät er ins Sinnieren, schweift ab und kehrt anschließend aufs Brett zurück. Drei Zuschauer betreten den Raum. Sie erkennen da vorne den zusammen mit Helmut Pfleger beliebtesten und bekanntesten deutschen Kommentator. Die beiden ergänzen sich bei den TV-Schachsendungen des WDR perfekt - sagen die einen. Die anderen sind inzwischen genervt vom absichtlich den unwissenden Patzer mimenden Pfleger und seinem "braven Soldaten Schwejk". Vor allem andere Großmeister missgönnen dem kongenialen Duo (wie die Anhänger meinen) die Medienpräsenz und die Beliebtheit. Abgelöst hat "Helmut" und "Vlastimil" aber noch keiner, weshalb sie weiter sehr gut im Geschäft sind. Auch in Baden-Baden, wo der eine Neuankömmling die zwei anderen eher rhetorisch fragt: "Ist das nicht der Hort?"
Eigentlich könnte Hort mit seinem Status zufrieden sein. Ist der ehemalige Köln-Porzer aber nicht. Das Leichte - das ging dem gebürtigen Tschechen in den vergangenen Jahren verloren. Die Zuschauer weiß er dennoch aufzuheitern. "Mensch Maier!", weckt Hort alle plötzlich aus der Lethargie, als er zu Dautov - Wahls zurückkehrt, und setzt nach einer kurzen Kunstpause, um die zwei Worte wirken zu lassen, fort, "ich muss sagen, ich versteh' nix!" Die Fans, die in der Mehrzahl unten sitzen und ihm lauschen, anstatt oben ruhig die Züge verfolgen zu müssen, lachen. Wenn der 61-Jährige einen Bekannten entdeckt, bindet er diesen gerne ein. Als Christian Bossert, Chef des Karpow-Schachzentrums, hinter der Wahls-Fortsetzung Dd8 eine Umgruppierung vermutet - b5 nebst Db6 -, würde ihm "Vlasti" am liebsten eine Praline überreichen. Doch leider hat er keine dabei, was man ihm eigentlich zugetraut hätte. Stattdessen gibt Hort eine kleine Geschichte zum Besten: "Das macht unser Trainer genial! Die Fünf-, Sechsjährigen können den Springer noch nicht ziehen. Dann stellt er einen Springer auf das Brett und legt eine Praline auf f6. Wenn die dann richtig hinspringen, dürfen sie die Praline nehmen." Dautov bekäme jedenfalls jetzt keine nach Bosserts Einwurf. Die weiße Position gefällt Hort nun nicht mehr übermäßig. "Der Zug von Wahls ist 'schwär' in Ordnung", äußert der Kommentator und schaut griesgrämig drein, als müsse er die ihm jetzt missliebig gewordene weiße Position selbst spielen. Hussain Chaltchi, Mitglied beim Oberligisten Rochade Kuppenheim, befindet: "Erzählt der eine Scheiße!" Dabei grinst er breit, was so viel heißt wie "amüsante Scheiße" - kurzum: Hort erfreut seine Anhänger.
"Oh, oh, oh, oh, oh, oh!" Die letzten Züge zwischen dem Eppinger Peter Acs und dem Preetzer Jens Ove Fries Nielsen reißen Hort hoch von seinem Stuhl, auf dem er bis dato ermattet mehr lag als saß. "a4 ist ein Zug von einem Optimisten! Unglaublich! So ein 'Fähler'". Man könnte fast meinen, "Mister Schwärmut" geißelt generell diesen Wesenszug, nicht nur auf den 64 Feldern. Aber nein, diesmal lässt sich Hort mehr vom Mumm des Ungarn mitreißen, der "irgendwo in Holland eine schöne Partie, ich glaube gegen Judit Polgar, gewonnen hat. Acs opfert gerne. Ich glaube, gegen Judit hat er auch geopfert". Jedenfalls: "Acs hat keine Angst!" Das imponiert dem ängstlich gewordenen Hort, diese Furchtlosigkeit der Jugend. Der Kommentator ist begeistert. "Er läuft mit seinem König auf den schwarzen Feldern. Das ist schön für die Zeitung, dass Weiß die Schachs zulässt", freut sich Hort ob des gelungenen Finales.
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Acs,Peter (2521) - Fries Nielsen,Jens Ove (2379) [B48]
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Acs,Peter (2591) - Polgar,Judit (2685) [B44]
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Der OSC Baden-Baden bezwingt den Hamburger SK ohne seine drei Topstars Viswanathan Anand, Peter Swidler (beide in Wijk aan Zee) und Alexej Schirow (in Gibraltar) unerwartet deutlich mit 6,5:1,5. "Ein unglaublich glatter Sieg! So etwas habe ich selten gesehen", erklärt Hort beeindruckt und fährt fort, "es läuft wohl wieder auf einen Zweikampf Porz - Baden-Baden hinaus. Mowsesjan spielte eine schöne Partie gegen Ftacnik. Aber auch Dautov gegen Wahls. Das 6,5:1,5 ist unglaublich."
Vor einem Vierteljahrhundert einer der stärksten Spieler auf dem Globus: Vlastimil Hort; Foto: Metz
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Hort,Vlastimil (2575) - Karpov,Anatoly (2690) [D58]
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