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"Der 100.000-Dollar-Zug"

Carmen Kass bringt Schach in die Schlagzeilen - und ausgerechnet DSB-Präsident Schlya regt sich über Einladung an das Top-Model auf

von FM Hartmut Metz, August 2004

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Randsportarten verschwinden im Schatten von Fußball, Fußball, Fußball und Formel 1. Sind sie olympisch, dürfen die "Kleinen" wenigstens alle vier Jahre auf ein paar Fernsehminuten hoffen. Da Schach zwar in Sydney 2000 Demonstrationswettbewerb war, aber in Athen nicht mit von der Partie ist, müssen sich die Organisatoren einfallsreich zeigen, um mehr als die Insider anzulocken. In Sachen Eigenwerbung für eine Randsportart sind die Chess Classic Mainz (CCM) stets Vorreiter. Diesmal sorgte das Top-Model Carmen Kass für Aufsehen wie noch nie beim alljährlich spektakulärsten deutschen Schach-Event.

   In Mainz weilten zwar bei zwei offenen Turnieren 31 Großmeister aus den Top 100 - dass der weltweit erfolgreichste unter ihnen, Viswanathan Anand (Indien), den Wahl-Spanier Alexej Schirow mit 5:3 schlug und zum fünften Mal in Serie die CCM gewann, interessierte aber nur am Rande. Ebenso die WM-Titelverteidigung von Peter Swidler (Russland) mit dem 4,5:3,5 über den Armenier Levon Aronjan im Chess960, bei dem die Grundstellung der Figuren vor jeder Partie ausgelost wird. Carmen Kass stellte die Denkstrategen gänzlich in den Schatten. Die frisch gebackene estnische Schachverbandspräsidentin sorgte laut Turnierorganisator Hans-Walter Schmitt für eine "gigantische Resonanz". Rund ein halbes Dutzend TV-Sender (darunter ein ARD-Team von "Brisant" und zweimal Sat.1) stand Schlange, um Aufnahmen mit dem Vorzeigemodel von Dior machen zu dürfen.

 

Interview von Carmen Kass mit "Brisant"-Fernsehteam

Das "Brisant"-Fernsehteam von Ute Spangenberger interviewte Carmen Kass auf einem Feuerwehrboot auf dem Rhein.

 

   Ihre kurzen Blitzpartien gegen Anand, der Carmen Kass zwei Züge vor dem Matt ein Remis schenkte, und Weltmeisterin Antoaneta Stefanowa sorgten für mehr Aufsehen als die restlichen hochkarätigen Duelle an den folgenden vier Tagen. "Als ich am Brett gegen Anand saß, schlug mein Herz wie wild - und ich hatte meine gesamte Eröffnungsvorbereitung vergessen", berichtete die oft im Internet Schach spielende Schönheit von einem "einmaligen, unvergesslichen Moment in meinem Leben".

 

Viswanathan Anand

Viswanathan Anand stört es wenig, wenn er nicht im Mittelpunkt steht und andere Stars Schach in den Mittelpunkt rücken.

 

   Der indische Sportler des Jahres rückte gerne ins zweite Glied und freute sich über die enorme Publicity für das königliche Spiel. "Mir macht das nichts aus, wenn mehr über Carmen Kass berichtet wird als über meinen Wettkampf gegen Alexej Schirow. Ich muss nicht im Mittelpunkt stehen. Es ist doch fantastisch, wenn Schach dadurch in die Medien kommt", befand Anand und ergänzte, "ich denke, dass sie als estnische Schachverbandspräsidentin noch für viel Aufsehen sorgen wird." Gerade dies missfiel offensichtlich dem Präsidenten des Deutschen Schachbundes (DSB)! Alfred Schlya passte es überhaupt nicht in den Kram, dass der oft mit dem Image "langweilig" behaftete Denksport plötzlich für Schlagzeilen sorgte. Schlya kritisierte mit Blick auf die Schach-Olympiade 2008 die Einladung an das Top-Model beim Champions Dinner harsch. "Wir haben beim DSB lange gerätselt, was den Veranstalter hier in Mainz bewogen hat, die deutsche Bewerbung praktisch zu ignorieren und stattdessen der estnischen Bewerbung Zeit und Raum einzuräumen", erklärte Schlya laut seinem Redemanuskript und ergänzte wenig später, "wir haben keine plausible und logische Erklärung gefunden." Das verwundert wenig bei einem Präsidenten, der nach Aussagen mehrerer Schachspieler aus Nordrhein-Westfalen als Landesfürst "nach oben weggelobt wurde" und auch häufig mit seinen Reden für Anstoß sorgt. Bei den Dortmunder Schachtagen soll Schlya die Veranstalter dadurch pikiert haben, dass er Dresden als deutsche Schachhauptstadt bezeichnete. Nicht viel besser fühlte sich der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel, als er vor wenigen Monaten den DSB-Kongress in seiner Stadt ermöglicht hatte - und dafür durch Schlya von den "deutschen Schachhauptstädten Dresden und Dortmund" zu hören bekam. Dass ein kleines, unbedeutendes Turnierchen auch in den Mainzer Stadtmauern stattfinde, erwähnte Beutel später ironisch selbst.

   Das DSB-Oberhaupt warf Organisator Schmitt fehlenden Patriotismus vor, weil Kass die Gelegenheit erhalten hatte, die estnische Bewerbung für die Schach-Olympiade 2008 in wenigen Worten auf der Auftaktpressekonferenz zu erwähnen. Die 25-Jährige hatte dabei ihre Sympathie für den "sehr starken deutschen Kontrahenten Dresden" bekundet und einen Gedankenaustausch angeboten. Keinen einzigen klaren Gedanken konnte jedoch Schlya fassen und verbreitete stattdessen wenige Stunden später mit seiner Rede beim Champions Dinner frostige Stimmung. Carmen Kass verzichtete anschließend genauso auf ihre geplante zweiminütige Rede wie Anand. Schmitt bemühte seinen Stammbaum: "Ich bin Deutscher, meine Eltern sind Deutsche, meine Großeltern sind Deutsche, meine Urgroßeltern sind Deutsche, meine Ururgroßeltern sind Deutsche und meine Urururgroßeltern sind Deutsche. Natürlich stehe ich auch hinter der deutschen Bewerbung." Dass die CCM einen kostenlosen Mediencoup fürs Schach landeten, der auch die Dresdner Bewerbung über Sachsen und Schachkreise hinaus bekannt machte, wollte wohl nicht in die Köpfe der Funktionäre. Den Amoklauf des DSB-Präsidenten kommentierte die "Mainzer Allgemeine" am übernächsten Tag süffisant. Was die Tageszeitung dabei offensichtlich genauso wenig wie Schlya wusste: Dresden hat den Zuschlag der FIDE für die Schach-Olympiade schon so gut wie sicher. Die Esten planen allem Anschein nach für eine andere Veranstaltung.

   Zumindest Dirk Jordan, in Dresden verantwortlich für die Olympiade-Bewerbung, verstand, worauf es dem Chess-Classic-Macher ankam: "Carmen Kass nach Mainz zu holen, war ein exzellenter Schachzug und Werbung für unseren Sport!" Jordan gab lediglich zu bedenken, "der DSB hätte sich aber gewünscht, auch so offiziell eingeladen zu werden wie sie". Schmitt betonte nach dem Turnier, er habe Jordan angeboten seine Olympia-Bewerbung zu präsentieren. "Er sagte nein, wir wollen die Esten überraschen und nicht jetzt alles kundtun! Ich habe zweimal mit ihm telefoniert und auch die Frage gestellt, ob ich die Esten ausladen solle. Die Antwort lautete: ,Das ist dein Bier - Rede mit Alfred Schlya.'" Letzteres habe er unterlassen, weil offensichtlich alle führenden Köpfe der Olympiade-Bewerbung in Dresden und nicht beim DSB säßen. Ungeachtet dessen lud Schmitt, wie er unterstrich, fünf DSB-Funktionäre zum Champions Dinner ein, darunter Schlya, Geschäftsführer Horst Metzing und Alt-Präsident Egon Ditt. Dem fehlenden Bremer wäre solch ein Patzer wie Schlya bestimmt nicht passiert. Schmitt ergänzte: "Mein Vorschlag an Dirk Jordan war, uns getreu dem Motto von Olympia-Neubegründer Pierre de Coubertin zu präsentieren, das lautet ,Der Beste möge gewinnen'. Wir haben eine große Chance verpasst, uns als große, generöse Deutsche zu präsentieren." Die souveräne Gegenrede Schmitts hat für seine Chess Classic wohl positive Auswirkungen - was den DSB anlangt, muss man hoffen, dass ein Präsident wie Schlya dem Schachverband keinen langfristigen Schaden zufügt. Ein Sponsor erklärte noch am Abend des Champion Dinners zu Schmitt: "So lange Schlya Präsident des DSB ist, bekommen die keinen Euro mehr von mir. Ich steige bei den nächsten CCM bei Ihnen ein, wie es bereits Oberbürgermeister Jens Beutel eben in seiner Rede gesagt hat, wenn ich darf ..."

   Schmitt konnten folglich die unterkühlten Beziehungen zum DSB völlig kalt lassen. Nachdem Carmen Kass ihren Aufenthalt bei dem "aufregenden Turnier" kurzerhand von zwei auf fünf Tage ausgedehnt hatte, landete der Organisator den nächsten Coup: In einer Freundschaftspartie im Chess960 hatte Schmitt gegen seinen Stargast bereits eine Figur mehr. Als das Super-Model entdeckte, dass Schmitt sich mit einem Patzerzug matt setzen lassen konnte, "drohte" die Estin: "Ich komme nächstes Jahr nur wieder, wenn du jetzt den Springer nach g5 ziehst!" Schmitt zögerte keine Sekunde und haute den "100.000-Dollar-Zug", wie er angesichts des Werbewerts von Carmen Kass erklärte, aufs Brett. Die in Los Angeles lebende Grazie setzte anschließend unter großem Gelächter mit der Dame auf g2 matt. Gut für die Randsportart Schach, schlecht für die Gemütslage des DSB-Präsidenten Schlya.

 

Chess Classic Mainz 2004

Der 100.000-Dollar-Zug von Hans-Walter Schmitt: Sg5!!!

 

Chess Classic Mainz 2004

Lachend setzt Carmen Kass auf g2 matt.

 

Chess Classic Mainz 2004

Verstehen sich blendend: Topmodel Carmen Kass und Organisator Hans-Walter Schmitt.


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