Meko: Schach-Weltmeisterschaft 2004 (2)

Kramnik marschiert wieder

Herausforderer Peter Leko steht dank seiner überragenden Physis vor dem Gewinn der Schach-Weltmeisterschaft; Jussupow erwartet "großartigen" letzten Kampf

von FM Hartmut Metz, Oktober 2004

Noch ein Remis fehlt Peter Leko. Dann hat sich für den 25-Jährigen sein Kindheitstraum erfüllt. Der Ungar hatte bereits mit elf Jahren angekündigt, Schach-Weltmeister zu werden. Heute (15 Uhr) muss der mit 14 Jahren einst jüngste Großmeister aller Zeiten nur noch den letzten Ansturm von Titelverteidiger Wladimir Kramnik abwehren, dann schließt sich der Kreis für Leko. Doch das wird nicht leicht in Brissago. Im Centro Dannemann übernahm der russische Weltmeister in den letzten Partien die Initiative. "Das ist wie im Fußball: Die Mannschaft, die zurückliegt, marschiert. Ich erwarte daher einen großartigen Kampf", erklärt Kommentator Artur Jussupow, dereinst selbst schon WM-Kandidat. Vor der 14. und letzten Partie befindet sich Kramnik mit 6:7 im Rückstand und kann nur mit einem Sieg den Ausgleich schaffen. Dann bleibt der 29-Jährige Weltmeister.

Wladimir Kramnik

Der Weltmeister: Wladimir Kramnik

Ob 600.000 Franken an den möglichen Sieger Leko gehen oder jeder der beiden Akteure bei einem 7:7 die Hälfte der Million erhält, wird zur Nebensache. Nur der prestigeträchtige Titel, der danach lukrative Turniereinladungen und Simultanvorstellungen garantiert, zählt. Der Weltranglistensechste aus Szeged hat nun die besseren Chancen, weil ihm ein Unentschieden genügt. Es wäre das elfte in diesem Match. Doch Kramnik erhält in der entscheidenden Partie mit den weißen Steinen - analog zum Tennis - den Aufschlag. Auch die Historie spricht gegen den Herausforderer: 1987 glich Garri Kasparow noch zum 12:12 gegen Anatoli Karpow aus. Zudem wendete Michail Botwinnik in einem weiteren sowjetischen Duell gegen David Bronstein in letzter Sekunde den Titelverlust ab. Bronstein war danach ein gebrochener Mann.

Peter Leko

Der Herausforderer: Peter Leko

Die Gefahr besteht bei Leko nicht. Keiner von den Weltklasse-Großmeistern ist auch nur annähernd so psychisch stark und sportlich wie der Ungar. "Ohne Fitness geht es nicht. Anders kann man es nicht aushalten, zehn, zwölf Stunden monoton am Schachbrett Ideen zu entwickeln und zu trainieren", befindet der 25-Jährige in perfektem Deutsch. Besuche im Fitnessstudio, Tischtennis, Squash, Tennis und Bowling zählten zu seinem Vorbereitungsprogramm auf die WM. Lediglich auf Fußball verzichtete der Asket, der bis vor kurzem Vegetarier war, inzwischen aber Fisch verspeist. "Mein Herz ist bei jeder Sportart voll dabei, ich kann keinen Alibi-Fußball spielen. Meine Frau Sofie wollte mich diesmal nur über ihre Leiche auf den Fußballplatz lassen, nachdem ich mich im Vorjahr schwer verletzte und eineinhalb Monate kaum mehr gehen konnte", berichtet der Fan von Borussia Dortmund schmunzelnd. Bei dem einstigen deutschen Fußballmeister würde Leko vielleicht heute spielen, hätte er sein großes Talent mit dem runden Leder ausgelebt, anstatt sich auf die 32 Holzfiguren zu konzentrieren. Sicher die richtige Wahl - mit der ungarischen Fußball-Nationalmannschaft unter Trainer Lothar Matthäus hätte er nie die Chance auf den WM-Titel bekommen.

Schach-Weltmeisterschaft Brissago 2004

Das Centro Dannemann in Brissago

Das Centro Dannemann in Brissago

Remisiert Leko heute am Lago Maggiore, verdankt er den Sieg neben den genialen Zügen auch seiner Physis, die Großmeister Dr. Helmut Pfleger, Mediziner und zweiter Kommentator in Brissago, besonders hervorhebt. Kramnik wirkte dagegen in den ersten zehn Partien wie ein "müder Boxer, der auf einen Lucky Punch hofft". Zuletzt zeigte sich der Weltmeister aus Moskau allerdings gut von seiner Grippe erholt und drückte permanent. In der 13. Partie am Samstag schien Leko mit dem Teufel im Bunde, als er ein fast verloren scheinendes Turmendspiel noch nach 65 Zügen ins Remis rettete. "Peter verteidigte sich präzise", bedauerte Kramnik, nachdem lediglich zwei nackte Könige auf dem Brett verblieben waren und die Fans dies mit donnerndem Applaus quittierten. "Leko ist am besten, wenn er angegriffen wird", behauptet Pfleger. Diese Qualität muss der Ungar heute noch einmal beweisen - dann hat sich sein Traum erfüllt.