Viel Rauch um nichtsSchach-WM zwischen Kramnik und Leko bisher trotz zweier entschiedener Partien der befürchtete Langweilervon FM Hartmut Metz, Oktober 2004 |
Emanuel Lasker hätte die feinen Zigarren des aktuellen WM-Sponsors Dannemann bestimmt nicht während der Partien geraucht. Der einzige deutsche Weltmeister, der so lange wie kein anderer den höchsten Schachtitel - 27 Jahre von 1894 bis 1921 - innehielt, galt am Brett als ein mit allen Wassern gewaschener Psychologe. Als ihm einmal ein Verehrer ein paar teure Zigarren überreichte, steckte Lasker die ungerührt in die Jackentasche. Zum Verdruss seines Kontrahenten paffte der Weltmeister aus dem brandenburgischen Berlinchen während der Partie ungerührt sein widerlich stinkendes Kraut weiter.
Derlei Tricks hätten dem von seinem Freund Albert Einstein als Gesprächspartner besonders geschätzten Doktor der Mathematik und der Philosophie gegen einen seiner Nachfolger auf dem WM-Thron wenig geholfen: Der asketische Russe Michail Botwinnik ließ sich in Trainingspartien den Qualm ins Gesicht blasen, um gegen diese Ablenkung immun zu werden. Als sich die Schachspieler in den 80er Jahren um Aufnahme in die nationalen Sportverbände bemühten, mussten die Aschenbecher endlich von den Tischen weichen. Die wüsten Drohungen der Nikotinabhängigen, einen Gegenverband zu gründen, verhallten ungehört. Nun eilen sie, wenn der Gegner brütet, aus den Spielsälen und machen ein paar hastige Züge - an der Kippe, nicht am Brett, wohin es wieder hektischen Schrittes zurückgeht.
Weltmeister Wladimir Kramnik
Das Ritual absolviert auch Weltmeister Wladimir Kramnik bei der WM in Brissago (Schweiz). Sein Kontrahent Peter Leko, ein ungarischer Sportsmann durch und durch, nippt derweil in seinem Ruheraum höchstens gelangweilt am Orangensaft oder schält sich eine Banane. Trotzdem muss der gesund lebende Herausforderer nach sechs der 14 Partien froh sein, ein 3,5:3,5 gegen den den irdischen Genüssen wohlgesonnenen Titelverteidiger aus Tuapse zu halten. Der Sohn eines Bildhauers vom Schwarzen Meer hatte gleich die erste Partie für sich entschieden, in der fünften brachte Leko dem Russen die erste Niederlage in einem WM-Endspiel bei.
Der Herausforderer 2004 Peter Leko
Dennoch bewahrheiteten sich die Befürchtungen jener Schachfans, die vor dem mit einer Million Franken (645.000 Euro) dotierten Wettkampf geunkt hatten, dass es am Lago Maggiore zu einem Langweiler komme: Der 29-jährige Kramnik, dem ein 7:7 zur Titelverteidigung genügt, wickelte meist rasch und unbarmherzig in Unentschieden ab. Das Remis vom Sonntag in 20 Zügen passte ebenso ins Bild wie die Punkteteilung am Dienstag in 21 Zügen. Reichlich frustrierend für die Zuschauer vor Ort. Die Millionen im Internet können sich wenigstens leicht offline klicken. Die ins Centro Dannemann gepilgerten Besucher müssen jedoch 30 Franken (20 Euro) berappen, was für zwei Stunden Schach ziemlich happig ist.
In der zweiten Hälfte des Wettkampfs hängt die Last der Unterhaltung an dem Weltranglistensechsten aus Szeged. Der kühl kalkulierende Kramnik wird pragmatisch ein Remis nach dem anderen anstreben - zumal er nun "den Vorteil" für sich sieht, "noch viermal Weiß zu haben". Der 25-jährige Leko will hingegen wie schon am Samstag den Weltmeister notfalls in sechseinhalb Stunden subtil ausmanövrieren. Offenbarungen waren die beiden entschiedenen Duelle aber auch keine: Zähblütiges Ringen um kleinste Vorteile dominierte statt tollkühner Opfer und phantasievoller Angriffe. "Beide Siege waren eigentlich lächerlich", befand der Ungar nach der siebten Begegnung. Ob sich Lekos Ankündigung bewahrheitet, der zweite Abschnitt werde spannender, gilt es abzuwarten. Zumindest trifft zu, dass der "Druck steigt" - und damit vielleicht auch die abwechslungsreicheres Schach fördernde Fehlerquote. Je näher die Schlussrunde steigt, muss außerdem die zurückliegende Seite unternehmungslustiger agieren.
Das Centro Dannemann in Brissago
Die bisher von Dannemann gesponserten Schach-Wettkämpfe waren unterhaltsamer. Firmenchef Christian Burger hatte durch Berichte in der Financial Times Deutschland Gefallen an Schach gefunden und zwei der "Helden" darin - die "Anna Kurnikowa des Schachs", Alexandra Kostenjuk, sowie Sergej Karjakin, den mit zwölf Jahren jüngsten Großmeister aller Zeiten - im Vorjahr gegeneinander spielen lassen. Im Februar lud Burger die deutsche Nationalmannschaft zu einem Simultan-Duell gegen Kramnik ein, das der Weltmeister mit 2,5:1,5 gewann.
Die Zeiten, als nicht nur die Köpfe am Brett rauchen durften, hätten dem Sponsor sicher noch besser gefallen. Außer Lasker verstand sich auch Jefim Bogoljubow als Meister der psychologischen Kriegsführung. Als der Vizeweltmeister auf den zart besaiteten Dänen Aaron Nimzowitsch traf, legte der in Triberg lebende Schwarzwälder demonstrativ eine riesige Zigarre neben das Brett. Aufgeregt begab sich Nimzowitsch zum Schiedsrichter. Dieser wies ihn darauf hin, dass Bogoljubow doch Nichtraucher sei. Der gebürtige Balte war dadurch allerdings kaum zu beruhigen und konterte mit seinem berühmtesten Schach-Lehrsatz: "Die Drohung ist stärker als ihre Ausführung!"
Letztlich war die Aktion Nimzowitschs das, was die Experten bis zum Ende des Matchs am 18. Oktober im Centro Dannemann genauso fürchten: Viel Rauch um nichts.
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Leko,P (2741) - Kramnik,V (2770) [C42]
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Kramnik,V (2770) - Leko,P (2741) [C88]
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Leko,P (2741) - Kramnik,V (2770) [C42]
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Kramnik,V (2770) - Leko,P (2741) [C88]
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Leko,P (2741) - Kramnik,V (2770) [D37]
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Kramnik,V (2770) - Leko,P (2741) [C88]
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Leko,P (2741) - Kramnik,V (2770) [D16]
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