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Keine "zionistischen Feinde" bei der Schach-WM

Diktator el Gaddafi dementiert Einladung an Israelis. Kramnik und Leko spielen am Lago Maggiore um den zweiten Titel

von FM Hartmut Metz, Mai 2004

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   Alles andere als rosig sieht die Zukunft von Muammar al Gaddafi aus: Jeder, der zuletzt mit Kirsan Iljumschinow, dem Präsidenten des Schach-Weltverbandes FIDE, gemeinsame Sache machte, ist weg vom Fenster. Mit der Unterstützung von Saddam Hussein wollte Iljumschinow im Vorjahr die WM in Irak ausrichten, weswegen das Oberhaupt der russischen Republik Kalmückien als letzter Politiker dem Diktator in Bagdad seine Aufwartung machte. Bis vor wenigen Tagen sollte Machthaber Aslan Abaschidse in Batumi die Damen-WM ausrichten und mit 700.000 Dollar Preisgeld ausstaffieren. Die Warnungen aus der georgischen Hauptstadt Tiflis vor Sicherheitsproblemen im Landesteil Adscharien ignorierte Iljumschinow geflissentlich. Vergangene Woche musste Abaschidse nach Schießereien nachts gen Moskau flüchten. Jetzt will Iljumschinow die Frauen-WM selbst vom 21. Mai bis 8. Juni in seiner Residenz Elista durchführen.

   Nach diesen Omen steht es schlecht um Libyens Staatschef: Muammar el Gaddafi ließ sich von dem umtriebigen Kalmücken beschwatzen, in die Herren-WM der FIDE im Juni Millionen zu pumpen. Doch anstatt dass der mit den USA auf Schmusekurs gehende Diktator dadurch ins rechte Licht gerückt wird, gibt's nur Ärger. Die besten Spieler ignorierten die von der FIDE vorgelegten Knebelverträge vor allem deshalb, weil Iljumschinow-Spezi Garri Kasparow (Russland) für das Finale gesetzt wurde. Der amtierende FIDE-Champion Ruslan Ponomarjow (Ukraine) oder der derzeit weltbeste Großmeister Viswanathan Anand (Indien) hätten hingegen von der ersten der sieben Runden an spielen müssen.

   Noch mehr als der sportliche Skandal erregt das Hickhack um die Teilnahme der Israelis die Gemüter. Erst sollten deren Qualifikanten, die alle der legendären sowjetischen Schachschule entstammen, in Malta ihre Partien austragen. Plötzlich berichtete aber Anfang Mai eine der führenden Jerusalemer Tageszeitungen von einem diplomatischen Durchbruch: el Gaddafi habe seine politische Richtung radikal geändert und lade alle Juden nach Tripolis ein. Das Dementi ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Der Sohn des Diktators, Mohammad, gleichzeitig Chef des libyschen WM-Organisationskomitees, unterstrich: "Wir haben und werden nie den zionistischen Feind zu dieser Weltmeisterschaft einladen. Wir geben unsere Prinzipien nicht auf, selbst wenn dies zur Absage des Turniers in Libyen führt."

   Dass der einst aus der Sowjetunion in die USA geflüchtete Boris Gulko Iljumschinow aufforderte, "nicht der erste FIDE-Präsident zu sein, der Juden von der Schach-Weltmeisterschaft ausschließt", ficht den Kalmücken wenig an. Auch die Absage anderer Juden außer dem ehemaligen US- und UdSSR-Champion Gulko, der überdies einen israelischen Pass besitzt, lässt Iljumschinow kalt. Unbeeindruckt verkündete er, am Fahrplan der Titelvereinigung bis Sommer 2005 festzuhalten.

   Nach vier Jahren der Stagnation steht nun wenigstens der WM-Zyklus, den einst Kasparow als amtierender Weltmeister durch seine Abspaltung von der FIDE 1993 geschaffen hatte, vor dem Abschluss. Sein Bezwinger Wladimir Kramnik (Russland) trifft vom 25. September bis zum 18. Oktober auf Peter Leko (Ungarn). Das Match im Centro Dannemann in Brissago (Schweiz) ist mit einer Million Schweizer Franken dotiert, wie die Vereinigung der Profischachspieler (ACP) als Ausrichter gestern in Hamburg verkündete. Das Duell am Lago Maggiore geht über 14 Partien. Gemäß der 118 Jahre alten WM-Tradition verteidigt Kramnik mit einem 7:7 den Titel.

   "Leko ist der unangenehmste und schwerste Gegner, auf den ich treffen konnte. Momentan ist er für mich eine größere Herausforderung als Kasparow. Meine Chancen schätze ich auf 55 Prozent, nicht mehr", erklärte der 28-jährige Moskauer. Der vier Jahre jüngere Leko zeigte sich äußerst selbstbewusst: "Kramnik ist ein starker, sehr starker Weltmeister. Aber ich habe die Fähigkeit, den Willen und das Spiel, ihn zu besiegen." Bis zu der vereinbarten Titelvereinigung mit der FIDE ist es danach noch immer ein weiter Weg. Der Dortmunder Carsten Hensel, Manager von Kramnik wie Leko, hegt Zweifel daran, ob der Schach-Weltverband sein "internes Chaos beenden kann".


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