Startseite Rochade Kuppenheim

Schach-König Bobby Fischer zum Bauernopfer degradiert

Einstiger Held des Kalten Krieges in Japan inhaftiert

von FM Hartmut Metz, August 2004

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Als Bobby Fischer nach seinem WM-Sieg 1972 nach New York zurückkehrte, bekam das Schach-Genie den goldenen Schlüssel der Stadt und ein Buch mit Widmung von Präsident Richard Nixon überreicht. Jetzt, 32 Jahre danach, erwartet ihn in den USA nur noch eine Gefängniszelle.

   Der größte Schach-König aller Zeiten, der noch immer die Fans rund um den Globus elektrisiert, wurde zum gemeinen Bauernopfer degradiert: Japan bereitet seine Auslieferung in die Staaten vor. Dem 61-Jährigen wurde der Applaus zum Verhängnis, den er über seinen philippinischen Haussender spendete, als die Schergen von Osama bin Laden in das World Trade Center krachten: "Das sind wundervolle Neuigkeiten! Fuck the US!", krakeelte der längst Vergessene über den Äther und machte US-Sicherheitsbeamte wieder auf sich aufmerksam.

 

Im Blick

   Als Fischer im Alleingang in Reykjavik den Kalten Krieg gegen die Supermacht Sowjetunion gewonnen hatte, war ihm die Nation zu Füßen gelegen. Der Stellvertreter des "geistig überlegenen" Proletariats, Boris Spasski, wurde gedemütigt. Der Sonderling aus Pasadena war erst mit zwei Tagen Verspätung angereist und verschenkte nach einem schrecklichen Patzer in der ersten Partie auch noch die zweite kampflos an das rote Schach-Imperium. US-Außenminister Henry Kissinger soll Fischer danach bekniet haben, das Duell auf Island doch wieder aufzunehmen. Ein Leser beklagte sich in der "Washington Post", Fischer sei der einzige Amerikaner, der "seine Landsleute dazu bringen könnte, zu einem Russen zu halten". Schon zuvor hatte der Trotzkopf seinen Eskapaden häufig freien Lauf gelassen und beispielsweise 1967 beim vorherigen WM-Zyklus einfach das Turnier im tunesischen Sousse abgebrochen, obwohl er deutlich in Führung gelegen war.

   Zur dritten Begegnung in Reykjavik trat der 29-Jährige an, weil ihm ein Schachliebhaber für das seiner Ansicht nach zu niedrig dotierte Match die damals horrende Summe von 100.000 Dollar versprochen hatte. Anschließend verlor Fischer nur noch eines der 19 Duelle und stürzte den kommunistischen Weltmeister fulminant mit 12,5:8,5 vom Thron. Spasski hatten die ständigen Reklamationen wegen der Sessel, den surrenden Fernsehkameras oder zu grell auf die Tischplatte scheinenden Lichts zermürbt. Den Amerikaner ließen hingegen die verzweifelten Bemühungen des KGB kalt, die Niederlage gegen den Klassenfeind durch Manipulationen aller Art zu erklären.

   Am 15. Juli 2004 hielten japanische Behörden Fischer auf dem Flughafen Narita fest. Von Tokio wollte er auf die Philippinen fliegen, um angeblich seine 24-jährige Ehefrau und seine kleine Tochter in Manila zu treffen. Sein Pass sei nicht mehr gültig, wurde dem Großmeister bedeutet. Die US-Behörden hatten das 1997 noch für zehn Jahre ausgestellte Dokument für nichtig erklärt und fordern von Japan die Auslieferung Fischers. Die Begründung: Der Exweltmeister habe 1992 gegen US-Sanktionen verstoßen, als er während des jugoslawischen Bürgerkriegs auf der Insel Sveti Stefan ein Revanchematch gegen Spasski spielte. Das war eine Sensation, denn die Schachwelt glaubte nicht mehr an seine Rückkehr ans Brett.

   Als Weltmeister war Fischer nie mehr angetreten und gab den Titel 1975 trotz Millionen-Offerten des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos und des Schahs von Persien kampflos an den Russen Anatoli Karpow ab. Mit rund 3,5 Millionen Dollar ließ sich Fischer vor zwölf Jahren den erneuten Sieg über Spasski (10:5) von einem zwielichtigen jugoslawischen Geschäftsmann fürstlich entlohnen. Der damalige US-Präsident George Bush hatte zuvor Sanktionen gegen das Regime von Slobodan Milosevic verhängt. Fischer bekam in einem Schreiben mitgeteilt, dass er mit zehn Jahren Gefängnis und 250 000 Dollar Geldstrafe rechnen müsse, würde er auch nur einen Zug ausführen. Auf die Frage bei der Auftaktpressekonferenz, was er davon halte, zog Fischer die Warnung der Regierung aus der Tasche und spuckte demonstrativ auf sie.

 

Bamberg-Besuche bei Karl-May-Verleger

   Anschließend traute sich der jähzornige Ausnahmekönner aber nicht einmal zur Beerdigung seiner Mutter und seiner Schwester in die USA. Die rastlose Seele pendelte all die Jahre zwischen Ungarn, Österreich, Japan, den Philippinen, der Schweiz und Deutschland. Fischer hielt sich mehrere Monate in Bayern auf, gastierte auch in Bamberg bei Großmeister Lothar Schmid. Den Karl-May-Verleger akzeptierte der Ausnahmekönner sowohl 1972 wie 1992 als Schiedsrichter. Der in Frankreich lebende Spasski wurde ebenso wie Schmid nie für den Einsatz auf Sveti Stefan belangt. "Außenminister Klaus Kinkel sah kein Problem für ein Match, das unter dem Motto 'Wettkampf für den Frieden' stand", berichtet der Jurist Schmid und hält das amerikanische Verhalten für zweifelhaft. "Fischer war immer ein komischer Kauz. Die sollen ihm aber sein erstmaliges familiäres Glück nicht zerstören, nachdem er ohne Vater aufwachsen musste."

   Just der Berliner Biophysiker Hans-Gerhardt Fischer war die erste Hoffnung des malträtierten Schach-Genies. "Ich bin Deutscher! Ihr dürft mich nicht in die USA abschieben", reklamierte Fischer nach seiner Inhaftierung vor knapp drei Wochen. Jedem vor 1975 geborenen Kind eines Deutschen steht ein Pass der Bundesrepublik zu. Fischers Eltern hatten sich bald nach der Geburt scheiden lassen. Ein neues Buch zweier BBC-Reporter, "Bobby Fischer Goes to War", macht die Familienverhältnisse des Ex-Weltmeisters noch verwirrender. Seine Mutter Regina Wender ist demnach vom FBI der kommunistischen Spionage verdächtigt worden und sein Vater wäre nicht Hans-Gerhardt Fischer, sondern der ungarische Jude Dr. Paul Felix Nemenyi.

   Auch mehr als drei Jahrzehnte nach dem WM-Sieg verkauft sich noch immer jedes Schachbuch besser, wenn es den Namen Fischer im Titel trägt. Die Anhänger des königlichen Spiels sehen dem Sohn jüdischer Eltern seine kruden antisemitischen Thesen nach. Die Hasstiraden via philippinisches Radio ignorierten die US-Behörden - bis zur Lobpreisung der El-Kaida-Terroristen.

   Der Held des Kalten Krieges, der sich am Flughafen der Festnahme heftig widersetzt hatte und einen ausgeschlagenen losen Zahn beklagt ("Ich bin so gut wie tot"), intervenierte bisher in mehreren Instanzen erfolglos gegen seine Verhaftung. Am Montag beantragte er politisches Asyl in Serbien und Montenegro, das der montenegrinische Präsident Filip Vujanovic aber gestern im staatlichen Rundfunk ablehnte. Die Japaner sehen in ihm bloß ein Bauernopfer, damit die USA einen anderen Fall großzügig "übersehen": Der angeblich 1965 zu Nordkorea übergelaufene Amerikaner Charles Robert Jenkins besuchte zum Verdruss der US-Regierung das Land seiner japanischen Ehefrau unbehelligt, um medizinische Hilfe zu erhalten.

 

Ehrengroßmeister Schily soll helfen

   Von Fischers Pamphleten distanziert sich Turnierorganisator Hans-Walter Schmitt. Dennoch schrieb er einen offenen Brief an Sportminister und Schach-Ehrengroßmeister Otto Schily (SPD), in dem er um Hilfe bei der Freilassung des Erfinders von Fischer Random Schach bittet. Bei dem Wettbewerb in Mainz wird, wie von Fischer vorgeschlagen, die Grundstellung der Figuren vor Partiebeginn ausgelost, um die ausufernde Eröffnungstheorie auszuschalten. Auf der Webseite der Chess Classic Mainz startete eine Unterschriftenaktion "Free Bobby Fischer", die auch bei dem heute beginnenden Turnier regen Zulauf haben wird.

   Bei dem 61-jährigen Idol denken die Schachspieler zuerst an zahllose Rekorde wie jüngster Großmeister mit 15 oder die legendäre Siegesserie auf dem Weg zum WM-Titel: Spielen heute die Stars gegeneinander fast nur noch remis, gewann Fischer 1971 19 Partien in Folge! Im WM-Kandidatenturnier deklassierte das Genie dabei den Dänen Bent Larsen ebenso mit 6:0 wie den Russen Mark Taimanow.

   Keiner beschäftigte sich so fanatisch mit den 32 Figuren wie der verwaiste Junge aus Pasadena. "Ich stecke 98 Prozent meiner geistigen Energie ins Schach, andere nur zwei Prozent", erklärte Fischer den Unterschied, der ihn im wirklichen Leben selbst matt setzt. Am meisten Spaß bereitete es Fischer, "das Ego des anderen zu zerstören" - in Wahrheit hat er vor allem sein eigenes Leben zerstört. Das Endspiel in Japan beweist es.

 

Mehr über Bobby Fischer von Harald Fietz in der Rubrik Figo


zur Meko