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Genug vom langweiligen Schaulaufen

Emsdettens Vereinschef Raimo Vollstädt zum Rückzug des SK Turm aus der Frauen-Bundesliga

Text und Fotos von FM Hartmut Metz, Juni 2004

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   Die Bombe platzte vor wenigen Tagen: Turm Emsdetten, einziger ernsthafter Rivale von Meister SC Baden-Oos, zieht sich aus der Damen-Bundesliga zurück. Dabei hatte der Vizemeister, der in der vergangenen Saison nur ein 3:3 abgab, ehe er im Stichkampf dem Kontrahenten aus Baden-Baden mit 2,5:3,5 unterlag, kurz zuvor spektakuläre Neuzugänge vermeldet: Antoaneta Stefanowa, die danach neue Weltmeisterin wurde, und Wunderkind Katerina Lahno, mit 14 bereits Weltranglistensiebte. Alles deutete auf ein noch hochkarätigeres Duell um den Titel an, da Baden-Oos nachlegte. Raimo Vollstädt war das jedoch zu viel des Wettrüstens. Der 34-jährige Klubchef und Manager des Damenteams verkündete das Aus. Der Systemoperator und Vorsitzende des Stadtsportverbandes Emsdetten e.V., dem Zusammenschluss aller Emsdettener Sportvereine, will nun stattdessen mit den Frauen in die Herren-Bundesliga aufsteigen. Mit Raimo Vollstädt sprach Hartmut Metz.

 

Metz: Herr Vollstädt, erst verpassen Sie Meister Baden-Oos einen schweren Haken mit der Verpflichtung von Antoaneta Stefanowa und Katerina Lahno - dann ziehen Sie aus der Damen-Bundesliga zurück. Angeblich weil Baden-Oos einen weiteren Aufrüstungsprozess mit der Verpflichtung von Elisabeth Pähtz und Europameisterin Alexandra Kostenjuk eingeleitet habe. Das passt doch nicht zusammen.

Vollstädt: Das Duell gegen eine so starke Mannschaft wie Baden-Oos hat natürlich einen ganz besonderen sportlichen Reiz, aber es ist nun einmal nicht alles. Man muss die Frauen-Bundesliga als Ganzes betrachten. Dort spielen noch zehn weitere Teams, und die Duelle der beiden Meisterschaftsfinalisten gegen die Konkurrenz verliefen in der letzten Saison zumeist recht einseitig. Leider sehe ich für die Zukunft keine Änderung dieser Situation. Was bringt es uns, wenn wir wissen, dass wir zehn der elf Mannschaften in Grund und Boden spielen können und die Meisterschaft immer im Duell Baden-Oos gegen Emsdetten entschieden wird?

 

Antoaneta Stefanowa

Neuzugang in Emsdetten: Die frisch gebackene Weltmeisterin Antoaneta Stefanowa.

 

Metz: Sicher, der Spielstärkeunterschied zwischen den zwei Topteams und dem Rest ist enorm. Schon in der vergangenen Saison kanzelte Emsdetten alle anderen Mannschaften im Durchschnitt mit 4,7:1,3 ab.

Vollstädt: Ein wichtiger Punkt für mich ist dabei auch, dass die Mannschaft, die wir gegen Baden-Oos antreten lassen würden, nicht die gleiche wäre wie in den restlichen Liga-Spielen. So würde ein Teil der Spielerinnen die ganze Saison über kämpfen, um gegen teilweise deutlich schwächere Gegnerschaft das Endspiel gegen Baden-Oos zu ermöglichen. Und eben in diesem Spiel wären sie dann nicht dabei, weil wir Spielerinnen wie Lahno oder Stefanova einsetzen müssten. Zwar war es schon immer unsere Philosophie, dass zu unserer Mannschaft alle 14 gemeldeten Spielerinnen gehören und wir auch versuchen, während einer Saison möglichst viele einzusetzen - im letzten Jahr immerhin elf von 14 - aber die eben beschriebene Konstellation finde ich dann schon, sagen wir, etwas unglücklich. Zudem haben wir Stefanowa und Lahno nicht verpflichtet, um gegen Baden-Oos bestehen zu können. Beide spielen ohnehin lieber gegen männliche Konkurrenz. Unser Konzept ist ein anderes: Mit Pia Cramling, Judit Polgar und Katerina Lahno haben wir die über Generationen hinweg weltweit erfolgreichsten Frauen in einem Team vereint. Auf dieser einmaligen Konstellation bauen wir auf, mit der frisch gebackenen Weltmeisterin Antoaneta Stefanowa haben wir allein vier der Top-Ten-Spielerinnen im Verein!

 

Pia Cramling

Seit rund zwei Jahrzehnten eine der stärksten Frauen der Welt: Pia Cramling.

 

Metz: Ihr Rückzug sieht trotzdem eher nach Angst aus, dass man langfristig nicht mit Baden-Oos und dessen potentem Geldgeber Wolfgang Grenke mithalten kann.

Vollstädt: Wolfgang Grenke verfolgt mit der Einbindung des Sponsorings des SC Baden-Oos in sein Unternehmenskonzept ehrgeizige Ziele - und wie man sieht, sehr erfolgreich. Unser Verein richtet sich jedoch nicht danach, was andere tun. Vielmehr verfolgen wir unsere eigenen Ziele, die auf einem soliden sportlichen und finanziellen Konzept basieren. Wir finanzieren uns anders als Baden-Oos, verteilen die Lasten auf mehrere Schultern. Ich kann nicht sagen, welcher der bessere oder einfachere Weg ist. Es gibt bei beiden Formen sowohl positive als auch negative Beispiele nicht nur in Deutschland, wo Mannschaften und Vereine Jahrzehnte lang erfolgreich gefördert werden oder aber das eine oder andere Team über Nacht verschwindet. Unser Vorstand hat sich deutlich zu einer Fortführung des Leistungssports und zum Erhalt unserer Frauen-Mannschaft als solche bekannt. Und wir sind bereit, dafür zu investieren. Allerdings müssen wir adäquate sportliche Herausforderungen gegenüberstellen, die sich nicht auf ein Saisonspiel beschränken dürfen.

 

Metz: Wie viel Geld steckten Sie in das Damenteam in der vergangenen Saison? Ihr Konkurrent soll noch eine Schippe drauflegen.

Vollstädt: Genaue Summen möchte ich natürlich nicht nennen, aber es waren weit mehr als 15.000 Euro.

 

Metz: Bezogen auf andere Sportarten geradezu lächerlich wenig. Und in Baden-Oos wird offensichtlich deutlich mehr bezahlt. Vor allem Alexandra Kostenjuk gilt nicht als billig.

Vollstädt: Es ist für mich unerheblich, wie viel Geld die Konkurrenten in ihre Mannschaften stecken, aber ich hätte mir schon gewünscht, dass mehr Vereine bereit gewesen wären, in ihre Frauen-Teams zu investieren. Dies ist aber auch in Zukunft, wie man unter anderem am Beispiel Meerbauer Kiel ersehen kann, mehr als zweifelhaft.

 

Metz: Gab die Niederlage im Stichkampf um den Titel den Ausschlag für den Rückzug?

Vollstädt: Nein, das Ergebnis des Stichkampfes hatte keinen Einfluss auf unsere Entscheidung.

 

Raimo Vollstädt

Die Niederlage im Stichkampf habe keine Auswirkungen auf Emsdettens Rückzug gehabt, betont Raimo Vollstädt.

 

Metz: Nach dem Abschied des einzigen Rivalen - immerhin blieb der SK Turm nach der regulären Meisterschaftssaison nach Brettpunkten sogar vor Baden-Oos - wird die Bundesliga an der Spitze gähnend langweilig. Fühlen Sie sich nicht auch schuldig, dass der Meister nun nicht einmal mehr in einem Match gefordert wird?

Vollstädt: Das ist wohl so, jedoch bin ich nicht verantwortlich für alle elf anderen Vereine der Frauen-Bundesliga. Manche verfolgen seit Jahren ganz andere Konzepte und das durchaus nicht ohne Erfolg. Man kann nicht von jedem Verein verlangen, dass er um die Meisterschaft kämpfen muss, obwohl ich mir natürlich stärkere Konkurrenz gewünscht hätte. Wir haben Spielerinnen, die haben in der letzten Saison 7 oder 7,5 aus 9 gemacht und mussten aufpassen, dass sie dabei ihre Elo-Zahl nicht noch verschlechtern! Aber - seien wir doch ehrlich - war denn die letzte Saison nicht bereits ähnlich langweilig? Sowohl Baden-Oos als auch wir wussten, wir müssen einfach alle anderen Spiele gewinnen, um das Finale zu erreichen. Stellen Sie sich vor, das reguläre Spiel wäre nicht 3:3 ausgegangen, was dann? Wenn das Spiel zwischen Baden-Oos und uns in der letzten Runde stattfände, wie ursprünglich für die nächste Saison geplant, würde sich die Situation dann ändern? Ich denke nicht. Alles davor wäre Schaulaufen, dann ginge es erst am Schluss zur Sache.

 

Metz: Meldet Emsdetten das Damenteam ganz vom Spielbetrieb ab oder spielen noch ein paar Frauen in der zweiten Damen-Bundesliga? Das böte den Vorteil, dass man umgehend ins Oberhaus zurückkehren könnte, wenn Sie Ihre Entscheidung überdenken.

Vollstädt: Das Frauen-Team als solches haben wir vom Spielbetrieb abgemeldet, aber die Spielerinnen bleiben unserem Verein erhalten. Sie werden sogar die Mehrheit unseres "Kombi"-Teams in der zweiten Bundesliga West bilden. Unsere Frauen haben ja bereits schon für unsere "Männer"-Mannschaften gespielt und werden dies auch in Zukunft tun. Für ein erneutes Engagement in der Frauen-Bundesliga sehen wir derzeit keine Möglichkeit. Gleiches gilt für ein "Parken" des Teams in der zweiten Frauen-Bundesliga, in der das Niveau ja noch deutlich schwächer ist.

 

Metz: Die Idee, ein fast komplettes Damenteam bei den Herren aufzubieten, besitzt natürlich Reiz.

Vollstädt: Wir haben ja bereits als bislang einziger Verein mit mehreren Frauen in der Herren-Bundesliga gespielt, warum also nicht einmal nur mit Frauen? Der Regelfall wird allerdings schon ein kombiniertes Team sein, wobei unsere Frauen sehr oft in der Mehrzahl sein werden. Dann müssen die Herren der Schöpfung erst mal zeigen, was sie so drauf haben.

 

Metz: Anfangs werden Sie sicher im Mittelpunkt mit einer Damenmannschaft bei den Herren stehen. Der Reiz könnte aber auch im zweiten oder dritten Jahr rasch verfliegen.

Vollstädt: Das glaube ich so nicht. Wir haben uns mit dem Aufstieg in die erste Bundesliga ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt. Für die Zukunft gibt es ausreichend Potenzial, ein solches Team langfristig erfolgreich zu positionieren.

 

Metz: Schafft die Mannschaft den Aufstieg aus der zweiten Bundesliga West ins Oberhaus?

Vollstädt: Ich kann nicht hellsehen, die Konkurrenz ist stark. Die Westgruppe ist die mit Abstand stärkste der vier Gruppen in der zweiten Liga. Wir haben uns für die kommende Saison das sportliche Ziel Aufstieg gesetzt. Unsere Spielerinnen und Spieler werden dafür ihr Bestes geben. An uns als Verein ist es, das nötige Umfeld zu schaffen. Eine Garantie gibt es freilich nicht.

 

Jordanka Micic

Jordanka Micic soll mit zum Aufstieg aus der zweiten Liga beitragen.

 

Metz: Mit welchem Kader gehen Sie ins Titelrennen bei den Herren?

Vollstädt: Die Planungen sind noch nicht hundertprozentig abgeschlossen, aber wir werden acht oder neun Frauen aufbieten. Die Namen brauche ich wohl nicht zu nennen. Natürlich sind bewährte Spieler wie Großmeister Alexander Berelowitsch und FM Christian Richter weiter dabei. Vielleicht gibt es ja auch beim "männlichen Teil" unseres Teams noch die eine oder andere Verstärkung.

 

Metz: Dürfen sich spielschwache FIDE-Meister auch bewerben? Wo muss ich unterschreiben? Spaß beiseite: Man kann sich vorstellen, dass mancher Mann gerne in diesem Team spielen würde … Wo sehen Sie die Grenzen im Falle des Aufstiegs? Mit den besten acht Frauen der Welt - auch inklusive der überragenden Judit Polgar, die Sie nun nicht mehr melden - wäre Emsdetten im Oberhaus "nur" Mittelmaß.

Vollstädt: Erst einmal müssen wir den Aufstieg schaffen, aber natürlich gehen unsere Planungen schon weiter. Langfristig wollen wir diese Mannschaft in der ersten Bundesliga etablieren, in der die Voraussetzungen für starke Gegnerschaft gegeben sind. Unsere Frauen finden dies übrigens sehr spannend und sind mit Feuerseifer bei der Sache. Sportlich werden wir natürlich nicht zu den Top-Teams der Liga gehören, auch nicht mit Judit Polgar, die nach ihrer Babypause wieder einsteigen wird. Ich kann mir vorstellen, dass wir mit unserer Mannschaft die Liga bunter gestalten werden.

 

Metz: Lockt Ihr neues Konzept Sponsoren an? Im Vorjahr zogen die Herren aus der ersten Bundesliga zurück, nun die Damen - das sieht auf den ersten Blick nicht gut aus.

Vollstädt: Wir haben unser Lehrgeld bezahlt. Zwei Mannschaften in der ersten Bundesliga waren für unseren Verein seriös nicht zu finanzieren. Wir haben mit dem Rückzug der Männermannschaft die Konsequenzen gezogen. Manchmal müssen solch unbequeme Entscheidungen getroffen werden. Keiner unserer Sponsoren hat uns deshalb den Rücken gekehrt. Im Gegenteil, viele fanden diese Entscheidung sehr mutig. Es gibt genügend gegenteilige Beispiele aus allen möglichen Sportarten, bei denen sich Vereine in den Ruin gewirtschaftet haben. Es ist eine alte Binsenweisheit, dass man nicht mehr Geld ausgeben kann, als man einnimmt. Für unsere Partner ist das solide Wirtschaften unseres Vereins Basis für die Zusammenarbeit mit uns. Unsere sportlichen Planungen sprechen wir eng mit unseren Sponsoren ab und entscheiden gemeinsam, was wirtschaftlich umsetzbar ist. Sie haben uns für unser Vorhaben ihre Unterstützung zugesagt.


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