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Swidler bleibt Chess960-Weltmeister

Aronjan begreift zu langsam beim 3,5:4,5

von FM Hartmut Metz, August 2004

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   Bei der Gerling Chess960-Weltmeisterschaft, bei der die Grundstellung der Schachfiguren vor der Partie ausgelost wird, hat Peter Swidler seinen Titel gegen Levon Aronjan verteidigt. In einem knappen Match behielt der Russe dank des Sieges in der letzten Partie mit 4,5:3,5 die Oberhand über den Armenier. Herausforderer Swidlers wird nächstes Jahr der Ungar Zoltan Almasi sein, der das Chess960 Open gewann. Aronjan brachte seine Niederlage kurz und bündig auf den Punkt: "Peter sah alles viel schneller als ich - deshalb kam ich ständig in Zeitnot." Swidler pflichtete bei: "Levon spielte besser, ich aber schneller." Nur in zwei der acht Begegnungen sei er gut gestanden. "Und diese beiden in der ersten und achten Runde habe ich auch gewonnen. Das gab den Ausschlag für den Gesamtsieg", urteilte der 28-Jährige.

 

Chess Classic Mainz 2004: Simultan Swidler

Peter Swidler fühlte sich wie erschlagen nach seinem Chess960-Simultan, in dem er nach eigener Ansicht "gute 17:3 Punkte" verbuchte. Hilton-Chefkoch Dirk Maus (rechts) hielt dieses Jahr länger durch als 2003.

 

Zwei Weiß-Siege zum Auftakt: Tag 1

Startstellung Chess960 1. Partie   Startstellung Chess960 2. Partie

   Peter Swidler kam in der ersten WM-Partie gegen Levon Aronjan früh zu großem zeitlichen Vorteil. Teilweise hatte der Russe neun Minuten auf der Uhr, während dem WM-Herausforderer nur noch ein paar Sekunden blieben. Dennoch mühte sich Swidler zum ganzen Punkt. "Ich machte mir das Leben selbst schwer. Dank des riesigen Zeitvorteils reichte es aber doch. Anfangs war ich überkreativ. Auf der h-Linie kam ich gut ins Spiel." Aronjan fühlte sich "im Mittelspiel überspielt. Ich wusste gar nicht, wie ich mich entwickeln soll und verbrauchte zu viel Zeit". Die war zu wenig, um ein schwieriges Endspiel mit Minusbauer zu retten. Die Rollen waren im zweiten Vergleich genau umgekehrt verteilt. Diesmal bestimmte Aronjan die Partie. "Da wurde ich überspielt", gestand Swidler. Er beklagte sich über eine falsche Schiedsrichter-Auskunft des Vorjahres. Die habe dazu geführt, dass er die Rochade so wie damals ausführen wollte. Sie war aber nicht erlaubt, weil der König dann über ein bedrohtes Feld rochiert hätte - aber nur der Turm darf das. Daher 1:1 nach zwei Partien.

 

Problemfall Rochade: Tag 2

Startstellung Chess960 3. Partie   Startstellung Chess960 4. Partie

   Aufregung und Unterbrechung bei der Gerling Chess960-WM: Levon Aronjan wollte rochieren, packte seinen Turm auf a8 und stellte diesen auf d8 - ohne jedoch den König nach c8 zu setzen. Dann wäre er nämlich umgehend mit Da8 matt gesetzt worden! Peter Swidler reklamierte sogleich den nicht korrekt ausgeführten Zug. Um die Konfusion aufzulösen, hielt der Chess960-Weltmeister die Uhr an und Schiedsrichter Sven Noppes eilte herbei. Dabei ging es aber nicht um die Frage, ob die Rochade erlaubt ist. Eine weiße Dame bestrahlte nämlich von c6 aus nur das Feld auf a8. Da der König aber von b8 nach c8 nicht über ein bedrohtes Feld rochieren würde, wäre die Rochade gestattet gewesen. Aronjan hatte aber seinen Turm als erste Figur angefasst und begehrte deshalb plötzlich Auskunft, ob der König dann auch noch bewegt werden müsse. Zumindest für ein paar Jahre lang war es laut FIDE-Regeln im normalen Schach egal, ob man erst Turm oder König anpackt und den Spezialzug ausführt. Noppes befand jedenfalls, dass Aronjan die Rochade auszuführen hat, sofern sein Kontrahent darauf beharrt. Mit dem Turmzug über den König habe er schließlich eindeutig seine Rochade-Absicht bekundet. Swidler erwies sich als äußerst fair und erlaubte trotz seiner schlechten Stellung Aronjan statt der Matt-Rochade einen Zug des Turms, der danach von a8 nach a7 gestellt wurde! Die Stellung war trotz des Fauxpas besser für Schwarz.

 

Levon Aronjan

Rieb sich zu früh die Hände: Nicht nur Probleme mit der Rochade brachten Levon Aronjan ins Schleudern.

 

   Aronjan verlor danach aber glücklicherweise völlig den Faden und den Punkt. "Glücklicherweise", weil der Verdacht im Raum steht, dass Aronjan während der Ausführung der Rochade bemerkte, dass er matt gesetzt würde - und dann zum Trick griff, sich dumm zu stellen. "Er hat im Vorjahr überragend im Open gespielt. Warum sollte er plötzlich nicht mehr wissen, wie die Rochade im Chess960 geht?", fragte Eric Lobron rein rhetorisch. Der Kommentator, der zusammen mit Artur Jussupow ein eingespieltes Team bei den Chess Classic bildet, nahm wie gewohnt kein Blatt vor den Mund und bezog klare Position: "Wenn Aronjan ein Gentleman wäre, hätte er aufgegeben oder sich matt setzen lassen", äußerte Lobron unmissverständlich. Hingegen nahm ausgerechnet Swidler Schwarz in Schutz: "Nein", schüttelte der Russe den Kopf, "ich glaube nicht, dass er bescheißen wollte. Aronjan hatte zu diesem Zeitpunkt nur noch 40 Sekunden auf der Uhr. Da kann das passieren." Ob seine Gelassenheit auch so groß gewesen wäre, wenn Aronjan seine Gewinnstellung zum 3:1 verwertet hätte nach Ta7?

 

Levon Aronjan gegen Chess960-Programm The Baron

Levon Aronjan (rechts) spielte sich vor dem Match gegen Richard Pijl und dessen Chess960-Programm "The Baron" warm. Endstand: 1:1.

 

   Aronjan trug den Ausgleich zum 2:2 in der Pressekonferenz mit Humor: "Ich wollte wie gegen den Computer betrügen", scherzte der Armenier mit Blick auf seine Partie gegen "The Baron". Gegen das Chess960-Programm des Niederländers Richard Pijl hatte der kurzzeitige deutsche Ranglistenerste 1:1 gespielt. Swidler war nach der Niederlage zum 1:2 übermotiviert. Swidler spielte "Königsgambit", das Schwarz annahm. Nach 1.e4 e5 2.f4 exf4 erlaubte die ausgeloste Grundstellung jedoch gleich den Rückgewinn des Bauern mittels 3.Dxf4. Steht Weiß im Königsgambit meist sehr gut, wenn er den Bauern zurückgewinnt, war das im Chess960 nicht der Fall. "Ich wurde wieder überspielt. Aronjan hatte den dominierenden Springer auf e6. Meine einzige Chance bestand darin, dem eingeklemmten König auf b8 ans Leder zu gehen. Allerdings klappte auch das nicht", berichtete Swidler. Zur Halbzeit plädierte Aronjan dafür, nur viermal die Stellungen auszulosen und dann jedem Akteur einmal Weiß und einmal Schwarz in derselben Startposition zu überlassen. Ein sehr guter Vorschlag, der das "Stellungs(auslosungs)glück" ausklammert.

Idiotischer Springer: Tag 3

Startstellung Chess960 5. Partie   Startstellung Chess960 6. Partie

   Die Gerling Chess960-WM bleibt bis zum letzten Zug spannend. Zwischen Weltmeister Peter Swidler und Levon Aronjan steht es nach sechs der acht Partien 3:3. Erneut ging der Herausforderer in Führung, wiederum glich Weltmeister Swidler in der zweiten Begegnung aus. Ein erstes Fazit zog bereits Organisator Hans-Walter Schmitt: "Viele Spieler sind von Chess960 begeistert", berichtete der Bad Sodener von der Resonanz der Großmeister. Zudem kündigte Schmitt an, dass "innerhalb der nächsten acht Monate eine Chess960-Datenbank" zur Verfügung stehe, die in den Niederlanden und Deutschland entwickelt werde. "Bloß nicht, das ist ja gerade der Vorteil von Chess960, dass es keine Datenbanken gibt!", ulkte Viswanathan Anand bei der Ankündigung. Schmitt will jedoch keine Eröffnungsdatenbank erstellen lassen, was angesichts der 960 verschiedenen Startpositionen (Nr. 518 ist die bekannte aus dem normalen Schach) illusorisch wäre. Ihm geht es nur darum, dass das Programm die Rochade im Chess960 akzeptiert. Dies verweigert die Chessbase-Datenbank, weshalb man derzeit pro Rochade ein weiteres Partiefragment (also bis zu drei je Duell) eingeben muss.

   Ihrer fünften Partie bescheinigten Aronjan und Swidler unisono "höhere Qualität" als der sechsten Schlacht. "Mit Schwarz konnte ich leicht ausgleichen. Ich machte einige ungenaue Züge und geriet dann in Schwierigkeiten. Nach dem Turmtausch von Peter wendete sich aber das Blatt. In Zeitnot unterliefen mir zwar weitere Fehler, aber dank des Patzers von Peter konnte ich doch noch gewinnen", resümierte Aronjan. Swidler war sich nicht sicher, ob sein Springer auf h5 gut oder schlecht ist. Letztlich habe sich jedoch herauskristallisiert, dass der Schimmel dort "wie ein Idiot" dasteht.

 

Peter Swidler

Ärgerte sich über einen idiotischen Springer: Peter Swidler.

 

   Dafür lief in der sechsten Begegnung alles nach Wunsch für den Russen. Nach einigen Abtauschaktionen erwies sich Swidlers Läuferpaar als beherrschende Kraft. Von g7 und g8 aus strahlte es bis nach a2 und a1 ins gegnerische Lager. Aronjans Springer behinderten sich dagegen auf e4 und f2 gegenseitig. Einmal hätte Swidler auf komplizierte Weise die Figur auf f2 gewinnen können. "Doch was sollte ich mit dem Springer? Der stand ja so schlecht", begründete der Weltranglistenneunte, warum er lieber seinen a-Bauern gen Umwandlungsfeld trieb. In erneut hochgradiger Zeitnot fand der armenische Herausforderer keine Verteidigungsmöglichkeit mehr und musste den Ausgleich zulassen.

Erstes Remis: Tag 4

Startstellung Chess960 7. Partie   Startstellung Chess960 8. Partie

   Das siebte Duell brachte das erste friedliche Ende! Eine positive Tendenz, für die Chess960 sorgt. "Ich stand auch da miserabel. In einem Moment hatte keiner meiner 14 Steine die Möglichkeit, mehr als ein, zwei Felder zu kontrollieren! Erstaunlicherweise entkam ich noch in ein ausgeglichenes Turmendspiel", wunderte sich Peter Swidler und schloss, "ich hatte Glück in diesem Wettkampf."

 

Peter Swidler, Levon Aronjan

Kampf war Trumpf zwischen Peter Swidler (links) und Levon Aronjan, die lediglich einmal remisierten.

 

   In der letzten Partie war wieder Levon Aronjans Uhr bis auf zehn Sekunden im 34. Zug heruntergetickt. Auch wenn immer wieder zehn Sekunden für einen Zug dazukamen (zu den anfänglichen 25 Minuten), reichte das nicht, um irgendwann länger in die Stellung zu schauen. Swidler pflückte (dank seiner fünf, sechs Minuten auf der Uhr) immer mehr Bauern, weshalb der künftige Kreuzberger Bundesligaspieler entnervt die Waffen streckte. Swidler bleibt Chess960-Weltmeister und wird seinen Titel gegen Zoltan Almasi, mit 9,5/11 souveräner Sieger im FiNet Chess960 Open, verteidigen. Aronjan wird dort nächstes Jahr einen erneuten Anlauf nehmen, um sich wieder für die WM zu qualifizieren.

 

Peter Swidler mit WM-Pokal

Behält den WM-Pokal: Peter Swidler.


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