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Das "Ungeheuer von Baku" verteilt Küsse

Kasparow findet Schwachstellen bei Computer-Weltmeister Deep Junior / Hickhack um WM-Titel entnervt Konkurrenten

von FM Hartmut Metz, Januar 2003

mehr Schachtexte von Hartmut Metz

 

   Abstoßend fand das Fachorgan "Schach" die Szene und widmete ihr das Editorial. Garri Kasparow hatte bei der Schach-Olympiade im slowenischen Bled Kirsan Iljumschinow den Bruderkuss auf die Wange gedrückt. Die Sympathiekundgebung ausgerechnet für den Mann, den der Weltranglistenerste seit der Inthronisation 1995 als Präsident des Schach-Weltverbandes FIDE gerne als Mafia-Paten beschimpft hatte.

 

Garri Kasparow

Garri Kasparow, Foto: Harald Fietz

 

   Konnte sich der Moskauer, der vor zehn Jahren den WM-Titel von der FIDE abspaltete und in eigener Regie vermarktete, solcherlei Affronts gegenüber dem Präsidenten der russischen Republik Kalmückien lange leisten, fließen inzwischen die Millionen spärlicher. Und noch schlimmer für das Ego des unbeliebtesten Großmeisters im Schachzirkus: Er kam nicht mehr an den WM-Titel heran. Wladimir Kramnik verweigerte Kasparow nach dem Sieg 2001 eine Revanche. Sein russischer Landsmann solle sich gefälligst regulär für diese qualifizieren, beschied der neue Weltmeister den alten. Der WM-Qualifikation in Dortmund blieb Kasparow jedoch fern. Stattdessen paktierte er mit Iljumschinow, beide gebärden sich plötzlich wie unzertrennliche Freunde.

   Leidtragender ist Ruslan Ponomarjow. Der offizielle Champion der FIDE bekam vom Weltverband die Pistole auf die Brust gesetzt. Auf dem Weg zur im April in Prag vereinbarten Titelvereinigung mit Kramnik soll der Ukrainer im Halbfinale zu den Bedingungen spielen, die Kasparow diktiert. Ponomarjow stellte jedoch auf stur. Er beharrt beispielsweise auf die kürzere Grundbedenkzeit von 90 Minuten plus 30 Sekunden je ausgeführten Zug, die die FIDE gegen die geharnischten Proteste vieler Großmeister bei der letzten WM eingeführt hatte.

 

Ruslan Ponomarjow

Ruslan Ponomarjow

 

   Bei Ponomarjow hinterließ das ganze Theater Spuren: Beim Topturnier in Wijk aan Zee war der wenig abgebrühte 19-Jährige völlig von der Rolle, kassierte gegen die 13 Gegner fünf Niederlagen und kam mit sechs Zählern lediglich als Drittletzter ins Ziel. Ponomarjows Sekundant Dimitri Komarow scherte die Schlappe an der holländischen Küste indes wenig: "Das ist jetzt alles egal", befand der Großmeister angesichts des Zwistes um die Titelvereinigung. Unbeschwert trumpfte derweil der Inder Viswanathan Anand in Wijk aan Zee auf, hielt sich der Ex-Weltmeister doch von Anfang an aus dem WM-Geschacher heraus. Mit 8,5 Punkten setzte sich der "Tiger von Madras" vor der ebenfalls ungeschlagenen Judit Polgar (Ungarn/8) durch. Auch Kramnik (7) schnitt als Achter schlechter denn je ab und verlor drei Partien. Den zweiten Weltmeister, dessen Titelrechte das englische Medienunternehmen Einstein hält, hatte während des Turniers die Kunde erreicht, dass die französische Milliardärin Nahed Ojjeh ihr Sponsoring aufgibt. Einstein hatte einen Teil der von Ojjeh gestellten 300.000 Dollar Preisgeld erst ein halbes Jahr nach dem Kandidatenturnier von Dortmund ausbezahlt.

 

Wladimir Kramnik

Wladimir Kramnik

 

   Trotz des Ärgernisses sieht Carsten Hensel, Manager von Kramnik wie Herausforderer Peter Leko, das Einstein-Match nicht in Gefahr: "Von sieben Interessenten sind drei übrig geblieben. Die erste Partie soll am 31. Mai gespielt werden und der Wettkampf am 20. Juni beendet sein, da die FIDE danach ihr Duell starten will." Die Vorgänge beim FIDE-WM-Zyklus will Hensel nicht kommentieren. Nur so viel: Beim Weltverband sollte endlich professionelles Management Einzug halten, und die Verträge müssten sich an "internationalem Recht orientieren". Dass Ponomarjow von der FIDE ausgebootet wird und Wassili Iwantschuk (Ukraine) nachrückt, bezeichnet Hensel als "unmöglich". Selbst Vizeweltmeister Iwantschuk hält den "Gedanken für irre, ein Match gegen Kasparow zu spielen".

   Die Leistungen aller Protagonisten leiden unter dem Hickhack - außer bei einem: Kasparow ging in New York gewohnt kaltblütig eine Revanche an. Nachdem er 1997 als erster Weltmeister gegen einen Computer, den IBM-Großrechner Deep Blue, mit 2,5:3,5 verloren hatte, schlug der Weltranglistenerste gestern Deep Junior. Das israelische Weltmeister-Programm ging bei der FIDE-Computer-WM in der ersten von sechs Partien nach nur 27 Zügen unter. "Ich fand eine Schwachstelle in ihrer Vorbereitung. Nicht in der Maschine selbst, sondern bei den Menschen dahinter", kommentierte Kasparow seinen Erfolg aus der Partieeröffnung heraus, für den er vom Publikum stehende Ovationen erhielt. Das egozentrische "Ungeheuer von Baku" strahlte - schließlich stand es wieder im Mittelpunkt und hatte bei einem anderen eine "Schwachstelle" ausgemacht. Weniger zufrieden war das egozentrische "Ungeheuer von Baku" mit dem zweiten Duell. Erneut stand der 39-Jährige besser, doch der Computer-Weltmeister fand nach einem voreiligen Schach des Russen ein Damenopfer, das dem Computer ein Remis durch Dauerschach sicherte. Nachdem Kasparow 1997 als erster Weltmeister gegen ein Elektronenhirn, den IBM-Großrechner Deep Blue, mit 2,5:3,5 verloren hatte, könnte dieses Mal gegen Deep Junior dennoch die Revanche gelingen.

 










Garry Kasparov - Deep Junior [D45]
Man vs Machine New York (1), 26.01.2003

 

1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sc3 Sf6 4.e3 e6 5.Sf3 Sbd7 6.Dc2 Ld6 7.g4 dxc4 8.Lxc4 b6 9.e4 e5 10.g5 Sh5 11.Le3 0-0 12.0-0-0 Dc7 13.d5 b5 14.dxc6 bxc4 15.Sb5 Dxc6 16.Sxd6 Lb7 17.Dc3 Tae8 18.Sxe8 Txe8 19.The1 Db5 20.Sd2 Tc8 21.Kb1 Sf8 22.Ka1 Sg6 23.Tc1 La6 24.b3 cxb3 25.Dxb3 Ta8 26.Dxb5 Lxb5 27.Tc7 1-0

 

 










Deep Junior - Kasparov,G (2847) [B42]
Man VS Machine New York (2), 28.01.2003

 

1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 a6 5.Ld3 Lc5 6.Sb3 La7 7.c4 Sc6 8.Sc3 d6 9.0-0 Sge7 10.Te1 0-0 11.Le3 e5 12.Sd5 a5 13.Tc1 a4 14.Lxa7 Txa7 15.Sd2 Sd4 16.Dh5 Se6 17.Tc3 Sc5 18.Lc2 Sxd5 19.exd5 g6 20.Dh6 f5 21.Ta3 Df6 22.b4 axb3 23.Txa7 bxc2 24.Tc1 e4 25.Txc2 Da1+ 26.Sf1 f4 27.Ta8 e3 28.fxe3 fxe3 29.Dxf8+ Kxf8 30.Txc8+ Kf7 1/2-1/2

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